Konfrontation - Rekonstruktion eines Dichters. Erich Weinert

DDR 1977 TV-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Paare und Passanten an der nach dem „Arbeiterdichter“ Erich Weinert (1890 – 1953) benannten Straße im schon zu DDR-Zeiten rummeligen Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Unterlegt von Straßenlärm und Peter Gotthardts zunächst schlagerhaft-unterhaltsamer, dann zunehmend enervierender elektronischer Musik blicken Regisseur Konrad Herrmann und sein auch für die Montage verantwortlicher Kameramann Lutz Körner auf das recht graue Alltagsleben vor bröckelnden Altbau-Fassaden, an denen noch Zeugnisse des 1945er Straßenkampfes um die „Reichshauptstadt“ sichtbar sind.

Ein Bäckermeister steht in der Tür seines Geschäftes und wartet auf Kundschaft, ein Haushaltswarenhändler breitet seine Waren vor seinem Laden aus, Altstoffhändler gehen ihrer körperlich anstrengenden Tätigkeit nach. Was auch für den Kohlenhändler gilt, der mit einer Kiepe Braunkohlen-Briketts auf dem Rücken in einem dunklen Hauseingang verschwindet. Schwer zu schleppen hat auch der Träger eines großen Eisblocks für die Kühlkammer einer Metzgerei: der technische Fortschritt lässt noch Mitte der 1970er Jahre im Arbeiter- und Bauernstaat, der das ökonomische Duell mit dem kapitalistischen Klassenfeind längst verloren hat, auf sich warten.

Die Weinert-Büste Anna Franziska Schwarzbachs aus dem nahen Park, der den Namen des kommunistischen Satirikers und Schriftstellers trägt, rückt ins Bild, ebenso die Gedenktafel an der Kunstgewerbeschule Magdeburg, wo der gelernte Schlosser und spätere akademische Zeichenlehrer erstmals mit der Bildenden Kunst in Berührung kam. Zur Biographie des KPD-Mitglieds, Spanienkämpfers und Präsidenten des 1943 in der Sowjetunion aus antifaschistischen Kriegsgefangenen gebildeten Nationalkomitees Freies Deutschland kein Wort: Zwei Jahre zuvor ist dazu von Claus und Wera Küchenmeister ideologiekonform genug gesagt worden in Volker Koepps gut halbstündiger Defa-Doku „Er könnte ja heute nicht schweigen.“

Geschwiegen wird zu den Bildern des aktuell dem Verfall preisgegebenen alten Friedrichstadtpalastes sowie Fotos und Agitprop-Plakaten aus dem Dritten Reich aber nicht in „Konfrontation“: Auf der leeren Bühne mit Blick auf das offenbar noch gut erhaltene Parkett trägt Ekkehard Schall vier satirisch-politische Gedichte Ernst Weinerts vor, die auch ohne jeden Off-Kommentar in enormem Kontrast zur tristen Realität des real existierenden Sozialismus stehen. In „Ackerdemokrat“ wird ein selbsternannter Rebell verspottet, der unter Rücksicht auf seine Vorgesetzten nur zuhause die Revolution am eigenen Herd ausruft. In „Der Kaktusverein“ wirft der in der DDR hochdekortierte „Kampfgefährte“ von Johannes R. Becher, Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck einen ironischen Blick auf die kleinbürgerlich-spießige Vereinsmeierei und ihre „kaktologische Kleinarbeit“. In der „deutsches Volkslied“ untertitelten Satire „Der Führer“ wundert sich Weinert, dass sich das deutsche Volk diesen „Hindenburgumschwänzler“ und „Selterswassergötzen“, der noch nicht ‘mal mit Weibern kann, zum Kanzler erwählt hat. Und in „Der Fortschrittsdeutsche“ beklagt er die Obrigkeitshörigkeit des folgsamen Schrebergärtners, der, wenn es ums Ganze geht, zuhause bleibt und sich verbarrikadiert.

Dazwischen beinahe apokalyptisch zu nennende Bilder abgestorbener Bäume in einem Sumpfgebiet, umgestürzter Engelfiguren und, chorisch mit Kyrie eleison unterlegt, einer Kirchenruine, vermutlich am Gendarmenmarkt aufgenommen. Am Ende des knapp dreißigminütigen „Experimentalfilms“, so Konrad Herrmann nach der Wende auf der Homepage seiner Berliner Dokfilmproduktion, die Sprengung eines ganzen Wohnblocks: Von Zukunftsoptimismus kann bei dieser, so der Regisseur, „Demontage eines kommunistischen Dichters“ keine Rede sein. Weshalb es nicht verwundert, dass „Konfrontation“ im Adlershofer Giftschrank verschwand und erst am 27. Mai 1990 im Deutschen Fernsehfunk erstausgestrahlt werden konnte – nach der Uraufführung am 21. April 1990 bei den Int. Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
29 min
Bild/Ton:
s/w + Farbe
Aufführung:

Uraufführung (DE): 21.04.1990, Oberhausen, IFF - Sonderprogramm: Verbotene Filme;
Erstaufführung (DD): 27.05.1990, DFF1

Titel

  • Originaltitel (DD) Konfrontation - Rekonstruktion eines Dichters. Erich Weinert

Fassungen

Original

Länge:
29 min
Bild/Ton:
s/w + Farbe
Aufführung:

Uraufführung (DE): 21.04.1990, Oberhausen, IFF - Sonderprogramm: Verbotene Filme;
Erstaufführung (DD): 27.05.1990, DFF1