Heuwetter. Geschichten aus Hohenselchow 1972 und 1963

DDR 1972 Dokumentarfilm

Kommentare

Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!

Heinz17herne
Heinz17herne
Gänse schnattern vorbei, als ein älterer Herr am Dorfteich aus der Chronik Hohenselchows vorliest. In der Uckermark im Nordosten Brandenburgs gelegen tauchte der Sprengel 1240 erstmals urkundlich auf. Zu DDR-Zeiten zum Kreis Angermünde bzw. zum Bezirk Frankfurt/Oder gehörend war Hohenselchow bis 1945 preußisch. Über 900 Einwohner zählte der Ort, als Karl Gass 1963 die Probleme der selbständigen Bauern mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild dokumentierte.

Hühner gackern, ein Storch klappert hoch oben auf dem Nest: Eine Idylle auf den ersten Blick. Gerda Nickels Gesprächspartnerin vor Niko Pawloffs Kamera, die Bäuerin Frieda, aber weiß es besser: Es war ein langer, steiniger Weg bis zu einer florierenden Landwirtschaft. Womit nicht nur die Felsbrocken gemeint sind, die mit der Hand aus den Ackerflächen entfernt werden mussten. Futterqualität, Stallhygiene, Mechanisierung sind die Stichworte. Und früher nicht gekannte soziale Leistungen wie Schul- und Hochschulbildung der Kinder, Krankengeld, Mutterschutz und Urlaub.

1963 ging es hoch her im Wirtshaus. Der stark kritisierte, weil offenbar hilflose Vorsitzende der noch jungen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) stellte sich selbst in Frage: sinkende Arbeitsmoral und Alkoholmissbrauch der einst selbstbewussten, nun zu angestellten Arbeitern degradierten Bauern mündeten in eine Misswirtschaft und riefen den SED-Bezirkssekretär aus Frankfurt/Oder auf den Plan. Der sich aller Mittel der Beredsamkeit bedienen musste, um die Wogen zu glätten: Kein Blick zurück, Schluss mit der unfruchtbaren Vergangenheitsbewältigung, sondern Blick nach vorn. Und vor allem: solidarisches Handeln im sozialistischen Kollektiv.

„Vorwärts immer – rückwärts nimmer“: Neun Jahre später steht mit Fritz Krause ein junger, agiler LPG-Vorsitzender vor Gitta Nickel. Der die Pflanzenproduktion auf Vordermann gebracht hat, die nun der Rinderzucht qualitativ hochwertiges Futter liefert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: die LPG steht im Bereich des Milchkombinats Angermünde quantitativ und qualitativ an erster Stelle. Die einst morastige Dorfstraße ist gepflastert, schmucke Siedlungshäuser haben städtischen Komfort und es bleibt Zeit für gemeinschaftliche Aktivitäten – wie in Maßen kritische Büttenreden beim Karneval. Und selbst ein einstiger „Herr“ hat die SED-Parole „Junkerland in Bauernhand“ wörtlich genommen und sein Land in die LPG eingebracht.

Probleme? Mit der Jugend. Die Zehntklässler zieht es in die Stadt, sie wollen vor allem technische Berufe erlernen, aber nicht aufs Dorf zurückkehren. Jedenfalls in der überwiegenden Mehrzahl ist ihren das Leben auf dem Land nicht attraktiv genug: im Sommer überlange Arbeitszeiten, im Winter Langeweile. Und der Weg zum nächsten Kino ist weit…

„Heuwetter“ ist am 21. November 1972 auf der 22. Berlinale im Westen uraufgeführt worden, kurz vor der DDR-Premiere auf der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche. Wo es die „Silberne Taube“ gab, der sich im Jahr darauf der Förderpreis der 19. Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen anschloss. Die 45-minütige Dokumentation, die am 15. Dezember 1972 in den Kinos der Bezirksfilmdirektionen anlief, singt ein Hohelied auf die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der DDR und hat sich ganz im Sinne der SED-Ideologen zum Exportschlager in den kapitalistischen Westen entwickelt.

Gemäß des Parteiauftrags für die Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche 1972, welche die „Überlegenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft auf allen Gebieten der fortschreitenden sozialistischen Integration mit künstlerischen Mitteln erlebbar machen“ und „die weltverändernde Kraft des Marxismus-Leninismus ausstrahlen“ soll. Im Gegenzug war allerdings keine Öffnung erwünscht. Die Leipziger Leitung schrieb am 14. Dezember 1972 an das Zentralkomitee der SED, sie werde nicht den Antrag auf Anerkennung als A-Festival stellen, „um den Repräsentanten antisozialistischer Ideologien die Möglichkeit zu nehmen, auf der Grundlage eines internationalen Reglements in das Festival einzudringen und sich dort langfristig zu etablieren“.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
1236m, 45 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DE): 21.11.1972, Berlin/West, IFF;
Aufführung (DE): April 1973, Oberhausen, Westdeutsche Kurzfilmtage

Titel

  • Originaltitel (DD) Heuwetter. Geschichten aus Hohenselchow 1972 und 1963
  • Arbeitstitel (DD) Hohenselchow

Fassungen

Original

Länge:
1236m, 45 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DE): 21.11.1972, Berlin/West, IFF;
Aufführung (DE): April 1973, Oberhausen, Westdeutsche Kurzfilmtage

Auszeichnungen

Leipziger Kurz- und Dokumentarfilmwoche 1972
  • Silberne Taube, Kino-Wettbewerb