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Gundula, 24 Jahre alt, ist Krankenschwester in einem Alten- und Pflegeheim in Neubrandenburg und alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter. In ihrer Freizeit singt sie in einer Band. In Gesprächen erfährt man, wie die junge Frau dieses große Pensum bewältigt und was sie gedanklich beschäftigt. Das können ganz existentielle Fragen der Erhaltung des Friedens sein, oder auch, resultierend aus dem alltäglichen Zusammensein mit den alten Menschen, die eigene Haltung zum Altwerden, obwohl es noch in weiter Ferne zu liegen scheint.
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Diese heißt Gundula, ist 24 Jahre jung, alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, welche zumeist bei den Großeltern lebt, und im Hauptberuf examinierte Krankenschwester. Die sich vor einiger Zeit aus dem Drei-Schicht-Betrieb Krankenhaus in ein neueröffnetes Vorzeige-Feierabendheim hat versetzen lassen, damit sie weiter Musik machen kann – jedenfalls die nächsten Jahre.
Gundula will „die rosarote Kuh fliegen lassen“: bloß arbeiten und abends nach Hause gehen, ist nicht ihr Ding, der schnöde Alltag „füllt mich nicht aus“. Schnitt. Anfahrt zum Arbeitsplatz mit dem Bus, kollektives Ankleiden: blaue Kittel, Sandalen und weiße Haube auf die Haare gesteckt. Zunächst eine Runde Kaffee, dann Frühstück, danach Körperpflege. Auch medizinische Aufgaben wie die Blutabnahme gehören zu Gundulas Aufgaben, die sich bemüht, bei allem Stress – schon am frühen Morgen begegnen ihr Bewohner mit durchnässter Hose – für jeden noch ein freundliches Wort zu haben. Manchmal reicht die Zeit zum Zuhören oder gar für ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, auch wenn die Akkordeon-Gruppe in die Tasten greift, hört sie gerne zu.
Der Zwei-Schicht-Betrieb im Feierabendheim kommt ihrer musikalischen Berufung entgegen, welche sich freilich nicht mit einer Diplom-Weiterqualifizierung vereinbaren lässt. In einem Gespräch mit ihren Vorgesetzten wird deutlich, dass nicht alles rund läuft bei Gundulas Anspruch, Dienste zu tauschen für Auftritte der Band. Auch auf den Proben mit den rein männlichen Kollegen muss sie einiges einstecken und es verblüfft aus heutiger Sicht schon, welch‘ rauen Ton diese sich ihr gegenüber leisten – vor laufender Kamera.
Und dann kommt die Band „Trend“ zum bunten Tanzabend ins Heim und die Bewohner lernen eine ganz andere Gundula kennen: Ihr Lied „Bis ans Ende dieser Welt“, der sich wie ein Roter Faden durch den Film dreht, hat durchaus eine gewisse kommentierende Funktion, wobei sich Gitta Nickel jeglichen eigenen Kommentars enthält und die Bilder für sich sprechen lässt.
So ist der am 4. März 1983 in den Kinos angelaufene Film der Künstlerischen Arbeitsgruppe Effekt über ein vermeintlich vorbildliches Feierabendheim weit mehr als eine Dokumentation, weshalb der Szenarist Wolfgang Schwarze auch ein Drehbuch geschrieben hat statt wie bei Dokumentationen üblich eine Konzeption. Uraufgeführt Mitte Oktober 1982 beim V. Nationalen Festival Dokumentar- und Kurzfilme der DDR für Kino und Fernsehen in Neubrandenburg, das von 1980 bis 1984 von Gitta Nickel als Präsidentin geleitet wurde, und dort mit dem Hauptpreis „Der Findling“ ausgezeichnet, offenbart er die Distanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus aus der Sicht Gundulas als Konflikt zwischen Pflicht und Neigung.
Mathias Barhausen von CineGraph Babelsberg, Ko-Kurator der Dokument-Reihe im Berliner Zeughauskino, hat anlässlich einer Aufführung am 20. Juni 2025 die Vermutung geäußert, dass der Arbeitstitel „Bis ans Ende dieser Welt“ bewusst in „Gundula, Jahrgang ‘58“ geändert wurde, um einen Zusammenhang mit dem V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) herzustellen.
Dort behauptete Walter Ulbricht Mitte Juli 1958 vollmundig, bis 1961 das kapitalistische Westdeutschland bezüglich des Verbrauchs wichtiger Lebensmittel und Konsumgüter nicht nur einzuholen, sondern zu überholen als Zeichen für die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Zugleich verkündete er – in unerklärter Anlehnung an die zehn Gebote Gottes – zehn Merksätze einer sozialistischen Moral und Ethik des neuen sozialistischen Menschen.
Darin geht es um die die internationale Solidarität der Arbeiterklasse, um die Liebe zum sozialistischen Vaterland, die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht, um gute Taten für den Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit, um den Schutz des Volkseigentums und die Festigung der sozialistischen Arbeitsdisziplin, um die Kindererziehung im Geiste des Friedens und des Sozialismus und die Achtung der Familie und schließlich um die Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern.
Gitta Nickel, mit dem Defa-Dokumentaristen Karl Gass verheiratet, hatte als Regieassistentin im Defa-Studio für Spielfilme begonnen, bevor sie 1963 in Dokumentarfilm-Studio wechselte und zwei Jahre später mit „Wir verstehen uns“ ihren ersten Film realisierte. Auch nach der Wende, nun als freiberufliche Dokumentaristin, blieb die Arbeitswelt ihr thematischer Schwerpunkt unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Frauen. 2004 hat sie mit „Gundula – Solo für eine Krankenschwester“ einen Nachfolge-Film über ihre 1982er Protagonistin gedreht, der am 8. März 2005 im Potsdamer Filmmuseum gezeigt worden ist.
Pitt Herrmann