Der letzte Kuss

BR Deutschland 1977 Kurz-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Im 25-minütigen Kurzfilm „Der letzte Kuss“ eines feministischen Kollektivs an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) Berlin, der im Forum der Berlinale uraufgeführt wurde und inzwischen von der Berliner Filmgalerie 451 auf DVD veröffentlicht worden ist („Riki Kalbe – 15 Filme“), analysieren drei Filmstudentinnen im 2. Studienjahr und ihre Dozentin die Arbeitsbedingungen der ungelernten Arbeiterinnen, darunter viele türkische „Gastarbeiterinnen“, im Berliner Dickmann-Werk für Schokoküsse: „Die Frauen kleben an der Schokolade. Sie haben nichts lernen können und sie sollen hier nichts lernen. Sie wissen, dass sie in der Fabrik keine Chance haben und deshalb kommen sie nicht in Versuchung, die Interessen des Fabrikanten für die ihren zu halten“, so Jeanpaul Goergen, Kurator der Reihe „Berlin-Dokument“, bei der Vorführung des ursprünglich auf 16mm gedrehten Films am 9. April 2019 im Zeughauskino.

Ursprünglich war, und so auch mit Dickmann besprochen, ein Film über „Negerküsse“ speziell für Kinder geplant: „Wie sie, aus was sie, und wo sie gemacht werden, wer sie herstellt und unter welchen Bedingungen. In der Fabrik sind wir zuerst fasziniert von den zarten, zerbrechlichen Gebilden; warmer Schokoladenduft, der Geschmack von frischen Negerküssen, Kindheitserinnerungen.“ Doch bald stehen nur noch die „Frauen, die Fabrikarbeit nicht kaputt gemacht hat“ und ihre Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt der Dreharbeiten. „Fabrikarbeit – das ist Hetze und Langeweile am Fließband, Lärm, Unterordnung und schlechte Bezahlung für sie“ schreiben die vier Filmemacherinnen zum Inhalt in die dffb-Filminformation.

„Die Frauen haben nichts anderes gelernt und haben deshalb in der Fabrik keine Chance. Im Gegensatz zu den Männern identifizieren sie sich nicht mit den Interessen des Betriebes. Sie wollen nicht besser funktionieren als die Maschinen. Diese Frauen sind, trotz allem, ziemlich nah bei sich, und sie sind fähig, untereinander Beziehungen zu entwickeln. Redend, rumalbernd, singend bringen sie sich gemeinsam durch den 8-Stunden-Tag in der Fabrik“: Eine arg optimistische Beschreibung des feministischen Kollektivs, die einer Überprüfung gut vierzig Jahre später nicht standhält.

„Es stinkt hier und heiß ist es auch“: Offene Worte einer der wenigen des Deutschen mächtigen Arbeiterinnen, die sicherlich nicht für einen mehr oder minder werbenden Film aus der Süßwaren-Produktion geeignet wären. Trotz maschinellen Einsatzes verrichten die Frauen noch viel Handarbeit – und die klebrige Masse, eine Million Schokoküsse verlassen täglich die Berliner Fabrik, ist kaum von den Fingern zu bekommen. Bei neunzigprozentigem Frauenanteil überrascht es schon, dass der Betriebsratsvorsitzende ein Mann ist. Soviel zum vielbeschworenen Selbstbewusstsein der Frauen. Die in der überwiegenden Mehrzahl aus der Türkei stammen und kein Deutsch sprechen, weshalb den Filmemacherinnen die Entscheidung, auf Interviews zu verzichten, leicht gefallen sein muss. Der besserwisserische Off-Kommentar ist heute als Zeitdokument der politisch bewegten 1970er Jahre von Interesse. Die Musik übrigens stammt von einer Gruppe namens „Flying Lesbians“.

Riki Kalbe und Kolleginnen zum Thema: „Warum wir diesen Film gemacht haben“ (in: dffb-Filminformation Nr. 146 vom Februar 1977): „Die Frauen, die an den Bändern arbeiten, empfangen uns als willkommene Abwechslung, erzählen uns viel und gerne von sich. Obwohl sie aus einem anderen Land kommen, eine andere Erziehung erfahren haben und eine völlig andere Arbeit verrichten, haben sie ähnliche Probleme wie wir mit ihrer Doppelrolle Beruf/Hausfrau, mit ihren Kindern und Ehemännern. Das sind die alltäglichen Probleme fast aller Frauen, egal welcher Klasse und Bildung. Wir haben gesehen, dass die Männer die bessere Arbeit haben und auch mehr Geld dafür kriegen. Ihr Verhalten zu den Frauen ist bezeichnend für die Struktur unserer Gesellschaft. Die Frauen haben sich noch nicht ganz vor den Karren unserer Leistungsgesellschaft spannen lassen. Das gefällt uns. Wir machen keinen Kinderfilm. Wir haben in diesem Film eine Dokumentarfilmform ausprobiert, die bewusst auf Interviews verzichtet, sich weitgehend auf die Wirkung der Bilder verlässt und Kommentar nur dort verwendet, wo eine Information über die Bilder hinaus notwendig ist.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
25 min
Format:
16mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton

Titel

  • Originaltitel (DE) Der letzte Kuss
  • Arbeitstitel Negerküsse
  • Weiterer Titel Sweet Sticky Stuff

Fassungen

Original

Länge:
25 min
Format:
16mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton