Das Freie Orchester

DDR 1988 Kurz-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Muttern sind keine“ bedauert die Schraubenverkäuferin in der Markthalle am Alexanderplatz. Und: „Holzschrauben nur bis siebzig, länger is nich.“ Bärbel Rossow (alias Bärbel Willner), Sängerin der legendären Ost-Berliner Avantgardeband „Das Freie Orchester“, kann gut mit den Kunden, obwohl die Liste fehlender Waren unglaublich lang ist. Einmal sei sie schon als „Beste des Monats“ ausgezeichnet worden – als Präsent sprang ein Deoroller heraus.

Bärbel beim Schaufensterbummel des Bekleidungshauses „Treffpunkt“ am Alex. Die Kamera (Jürgen Hoffmann und Michael Lösche) schwenkt vom S-Bahnhof Alexanderplatz in die Katakomben eines Heizungskellers. Jörg Thomasius alias „Tomato“, Keyboarder der Mitte der 1980er Jahre gegründeten Elektrosound-Band, ist Hausmeister im Zentrum für Kunstausstellungen. Nachdem er Braunkohle in die funkensprühende Feuerstelle geschaufelt hat, raut er mit einer Schleifmaschine eine Metallplatte auf, die als Plakatträger fungieren soll.

In einer Autowerkstatt ist ein Trabant aufgebockt. Dieter Zobel alias „Didier Leboz“, Gitarrist der Gruppe und Dank einer westdeutschen Großmutter Spender der Soundmaschine Yamaha CX5M, gibt auf Petra Tschörtners Frage, wie lange man auf einen Reparaturtermin warten müsse, eine für die DDR typische Antwort: „Fünf bis sechs Wochen.“ Das sei eine Frage des Materials, nicht der Werkstattkapazität. Später wird Dieter einen Trabi durch die Autowaschanlage fahren, in welcher der Drummer Gui Gust arbeitet, den die Kameraleute aber nicht vors Objektiv bekommen, stattdessen aber mit geradezu künstlerischen Aufnahmen seines Arbeitsplatzes überraschen.

Gerade hat er noch mit seinem Schweißbrenner ein U-Eisen durchtrennt, da steigt der Bauschlosser Carsten Spindler auch schon aufs Fahrrad, um in den Prenzlauer Berg zu radeln. Im Jugendclub Erich Franz (der heutigen Kulturbrauerei) steigt eine sehr dadaistisch anmutende Session der angesagten Gruppe „Das Freie Orchester“. Spindler ist der Experimentator der Band, spielt auf selbstgebastelten Instrumenten. Alle sind offenbar mit großem Spaß dabei, als Frontfrau Bärbel mit dem die Materialknappheit in der DDR aufs Korn nehmenden Song „Ham wa nich“ durch die Menge tanzt, grölt – und blockflötet: Krautrock made in German Democratic Republic kurz vor ihrem Ende.

Kurz nach der Wiedervereinigung, 1992, hat sich die Band aus Arbeitern, die sich in der Musik eine eigene, anarchische Welt geschaffen haben jenseits ihres zumeist tristen Alltags, aufgelöst. Petra Tschörtners am 10. März 1989 in den Kinos angelaufene Kurzdokumentation (PL Hans-Christian Johannsen und Peter Mansee) ist so vor allem ein wichtiges Zeitdokument zur Subkultur im Prenzlberg, die sich wie auch in diesem Fall häufig an der West-Berliner Szene der 1970er Jahre anlehnte. Analog zu ihrer Babelsberger HFF-Kommilitonin Helke Misselwitz hat Petra Tschörtner Beiträge für die „Defa Kinobox“ gedreht, welche Anfang der 1980er Jahre die hausbacken-ideologische Wochenschau „Der Augenzeuge“ ablöste.

Der Abspann führt die Filmemacher in einer Texteinblendung ohne Funktionszuweisung kollektiv auf: „Ein Film von Heiko Koinzer; Wolfgang Hirschke; Johanna Jürschik; Angelika Arnold; Ulrich Fengler; Henner Golz; Peter Mansee; Hans-Christian Johannsen; Michael Lösche; Jürgen Hoffmann; Jochen Wisotzki; Petra Tschörtner.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
460 m, 17 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 10.03.1989;
Aufführung (DE): 28.04.1996, Oberhausen, IFF - Sonderprogramm [DEFA-Dokumentarfilme]

Titel

  • Originaltitel (DD) Das Freie Orchester

Fassungen

Original

Länge:
460 m, 17 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 10.03.1989;
Aufführung (DE): 28.04.1996, Oberhausen, IFF - Sonderprogramm [DEFA-Dokumentarfilme]

Digitalisierte Fassung

Länge:
17 min
Format:
DCP 2k, 1:1,37
Bild/Ton:
Farbe, Mono