1986

Deutschland 2017-2019 Spielfilm

Inhalt

Elena ist Studentin in Minsk, Weißrussland. Sie hat eine intensive, aber zunehmend zerstörerische Liebesbeziehung mit Viktor. Als ihr Vater verhaftet wird, muss sie, um seine illegalen Geschäfte weiterzuführen, immer wieder in die gesperrte Zone von Tschernobyl fahren. Sie ist fasziniert von der trügerischen Schönheit – doch bald scheint ihr Leben kontaminiert von einer zerstörerischen Kraft…

Quelle: 53. Internationale Hofer Filmtage 2019

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Heinz17herne
Heinz17herne
Eine junge Frau steht auf dem Balkon ihrer Studentenheim-Bude und blickt auf die sie umgebende hässliche Plattenbau-Siedlung: „Ich wollte dich einfach nur gerne sehen“ spricht sie ins Handy, doch ihr Gesprächspartner will lieber Volleyball spielen – ganze drei Stunden lang. Elena studiert internationale Wirtschaft in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, glaubt aber den Elogen der Dozenten über das Wirtschaftswunder Belarus kein Wort. Wie sie auch ihrem Freund Viktor misstraut – völlig zurecht, wie sich bald herausstellt.

Ihre eigentliche Leidenschaft gehört der hier noch analogen Fotografie. Mit einer Spiegelreflex und einer selbstgebauten Camera obscura macht sie intelligente Bilder, so ihre Galeristin (Anna Anissenko), aber zu düster, um sie verkaufen zu können. Außerdem fehle ein schriftliches Konzept zur besseren Vermarktung. Elena fühlt sich alleingelassen und schlendert am Ufer des Flusses Svislac, bevor sie sich in einer Disko den Frust von der Seele tanzt. Mit dem attraktiven Ljosha (Aleksei Filimonov), den sie vom Eislaufen her kennt.

Auf staubigen Pisten geht’s mit dem Auto aufs Land, genauer gesagt an die Grenze zur Ukraine ins nach dem 1986er Super-Gau des Atomkraftwerks Tschernobyl verlassene Holzhaus ihrer Großmutter (Tatiana Markhel). Dort findet Elena Papiere ihres wegen Steuerhinterziehung verhafteten Vaters (Vitali Kotovitski), der den Gewinn aus illegalen Geschäften offenbar in Immobilienprojekte investiert hat, die heute nur noch wertlose Bauruinen sind.

Als sie zusammen mit ihrer Mutter (Helga Filippova) den Vater im Gefängnis besucht, verspricht sie ihm, auch gegen seinen Willen alles dafür zu tun, dass er die verlangte Summe aufbringen kann, um eine zehnjährige Haftstrafe zu verhindern. Auch dessen bester Freund Andrei (Vjacheslav Shakalido) warnt Elena: Ihr Vater habe sich mit den falschen Leuten angelegt und müsse froh über seine Sicherheit hinter Gittern sein. Wenn schon Handel, dann lieber mit wasserdichten Digitaluhren aus der Türkei, die seien gerade der große Schwarzmarkt-Hit.

Ein Geschäftsmann (Aleksei Kravchenko) bietet ihr 2.500 Dollar für den Laster ihres Vaters, doch Elena ist fest entschlossen, dessen gefährliche Fahrten in die „Verbotene Zone“ fortzusetzen: Sie transportiert über abenteuerliche Wald- und Wiesenpfade mit Schneidbrennern abgetrenntes Metall über die Grenze zu Weißrussland. Und steht bald rivalisierenden Gruppen gegenüber, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

Dennoch findet Elena, die sich kaum mehr auf ihr Studium konzentrieren kann, immer wieder Gelegenheit, die vielfach morbide Schönheit dieser menschenleeren Grenzgegend zu fotografieren. Nachdem sie sich bei einer besonders gefährlichen Tour, die ihr allein 7.000 Dollar einbringen soll, von Viktor begleiten ließ, der ihr nicht nur Halt gab, sondern auch den streikenden LKW-Motor wieder flott machte, ist sie ihren Job los: zu viele unsichere Mitwisser gefährden aus Sicht der Auftraggeber das lukrative Geschäft.

Als Viktor ihr per Handy den Laufpass gibt, zeigt sich Elena auch ihrer Kommilitonin und besten Freundin (Alexandra Gribko) gegenüber untröstlich. Immerhin wird ihr noch eine letzte Tour gewährt…

„1986“, der Filmtitel steht für das Datum der Atomkatastrophe von Tschernobyl, ist eine düstere Mischung unterschiedlichster Genres wie Gangsterfilm, Liebes- und Emanzipationsgeschichte. Und nicht zuletzt eine Sozialstudie eines nach dem Zusammenbruch des Ostblocks vorübergehend post-sozialistischen Staates, der sich mit dem Kapitalismus nach westlichem Muster nicht anfreunden konnte und sich nun nach stalinistischen Verhältnissen zurücksehnt.

Sprunghaft in der Chronologie der Ereignisse wie in der ungewöhnlichen Bildgestaltung ist dem in Freiburg/Breisgau geborenen und in Paris aufgewachsenen Regisseur Lothar Herzog ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt in russischer Sprache gelungen. Sein auf 16mm gedrehter Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ist am 30. September 2019 beim Züricher Filmfestival uraufgeführt worden und wird am 6. Juli 2022 auf Arte erstausgestrahlt.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Titel

  • Arbeitstitel (DE) Wälder
  • Originaltitel (DE) 1986

Fassungen

Original

Länge:
77 min
Format:
DCP, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Aufführung:

Aufführung (DE): 23.10.2019, Internationale Filmtage, Hof;
Kinostart (DE): 09.09.2021

Auszeichnungen

achtung berlin 2020
  • new berlin film award, Beste Kamera Spielfilm
Internationale Filmtage Hof 2019
  • Hofer Goldpreis, Beste Regie
FIRST STEPS Awards 2019
  • No Fear Award, Beste Produktion