Die 1950er Jahre

Vom Kino in Trümmern zum Wirtschaftswunder

"Wiederaufbau" hieß das Schlagwort in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und auch für die Kinobranche war dies wortwörtlich zu nehmen. Nur rund 1.000 Lichtspieltheater, viele von ihnen in der wenig zerstörten Provinz, spielten Ende 1945, häufig in provisorisch hergerichteten Gebäuden. Wer ein Kino betreiben wollte, brauchte eine Lizenz von den Militärbehörden, brauchte Bezugsscheine für Eisen, Holz und Leim. Weil Heizmittel knapp waren, brachten Zuschauer Briketts mit, um sich die Wochenschauen der Alliierten und – je nach Zone – hauptsächlich Hollywood-Filme, britische oder französische Produktionen in Originalfassung mit deutschen Untertiteln anzusehen; außerdem liefen auf den Leinwänden von "Trizonesien" sogenannte Reprisen, deutsche Filme, die vor 1945 entstanden waren und die die Zensur der Militärbehörden passiert hatten. Das von den Alliierten bestimmte Kinoprogramm diente auch Zwecken der Umerziehung, der re-education: Den Filmbildern von der Befreiung der Konzentrationslager sollten sich möglichst viele Deutsche aussetzen, weshalb der Nachweis des Kinobesuchs mancherorts an die Ausgabe der Lebensmittelkarte gekoppelt war.

 

Trümmerkino und Heimatfilme

Quelle: DIF
An der Außenfront des Luitpold-Theaters: Werbung zur Wiederaufführung von "Das indische Grabmal" (1937)
 

Kinos in Trümmern / Trümmerkino: Den Filmen, die wie z.B. Peter Lorres Regiedebüt "Der Verlorene" (1951) das aktuelle Leben in den zerstörten Städten schilderten und die jüngste Vergangenheit reflektierten, war wenig bis gar kein Erfolg beschieden – das hungernde Publikum verlangte Ablenkung von den Existenzsorgen und der eigenen Vergangenheit. Deshalb nahm das Unterhaltungsangebot beträchtlich zu, auch weil nach der Währungsreform 1948 der bundesdeutsche Markt für die amerikanischen Verleiher lukrativ wurde. Bereits 1950 hatten knapp 4.000 Kinos geöffnet (was dem Vorkriegsstand entsprach) und zogen Besuchermassen an: 487 Millionen Bundesdeutsche gingen in jenem Jahr ins Kino. Mangels Alternativen in der Freizeitgestaltung und fehlender Mobilität erhielt das "Kino an der Ecke" seinen festen Platz im Wochenablauf der Familie mit Kindervorstellung, Jugendvorstellung, Hauptprogramm und Spätvorstellung. Hatten bis 1950 die US-Filme die Leinwände dominiert und durch ihren Realismus das Publikum bisweilen auch schockiert, gelang der damals so genannten "Neuen deutschen Filmproduktion" 1950 ein entscheidender Durchbruch: "Schwarzwaldmädel" und in seinem Gefolge "Grün ist die Heide" (1951) erwiesen sich als derart überragende Kassenerfolge, dass sie eine ganze Welle von Heimatfilmen auslösten, in denen die drängenden bundesdeutschen Probleme (z.B. Integration von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern, vater- oder mutterlose Kinder, Armut der Mittelschicht, Ausgleich sozialer Unterschiede) harmonisch, in konservativen Familienstrukturen und in heiler Landschaft gelöst wurden. Noch liefen in der Theatersaison 1951/52 nur 65 bundesdeutsche Spielfilme gegenüber 226 US-amerikanischen, aber im Laufe der 1950er Jahre sollte sich der einheimische Anteil ständig erhöhen. In der Saison 1955/56, die im westdeutschen Nachkriegs-Kinoboom den Höhepunkt mit 817 Millionen Besucherinnen und Besuchern markierte, gab es die beachtliche Zahl von 124 deutschen Produktionen, während 211 aus Hollywood zu sehen waren. Die Zahl der Leinwände stieg im Bundesgebiet zwischen 1950 und 1959 von knapp 4.000 auf über 7.000 an.

Wirtschaftswunder

Quelle: DIF
Sonja Ziemann und Rudolf Prack in "Schwarzwaldmädel" (1950)
 

Volle Häuser, volle Kassen – die Kinos wurden zu lohnenden Investitionsobjekten. In den Wiederaufbaujahren, in denen sich viele Städte wie Hannover oder Frankfurt am Main für einen radikalen Neuanfang entschieden und noch vorhandene alte Bausubstanz zerstörten, entstanden auch neue, große Kinobauten im Stil der Zeit: mit geschwungenen asymmetrischen Sälen, deren Wände mit gefaltetem Stoff bespannt und raffiniert angestrahlt waren; mit weit in den Raum ragenden Galerien und freitragenden, bogenförmigen Treppen in den großzügigen Foyers, die von schwebenden Lichtbändern beleuchtet waren und mit ihren eleganten Süßwarenständen und Garderoben eher an Wandelhallen erinnerten. Verspieltes war angesagt: italienische Glasmosaiken, leichtes 1950er-Jahre-Kunsthandwerk an den Wänden, Farborgeln und Wasserspiele vor den üppigen Vorhängen. Das Kino, gestern noch eine Art Notunterkunft in schwerer Zeit, wurde zum Palast der Wirtschaftswunder-Gesellschaft.

Quelle: DIF
Magda Schneider (links) und Romy Schneider bei der Premiere von "Wenn der weiße Flieder wieder blüht" (1953)
 

Dieses Ambiente der großen Erstaufführungstheater der Innenstädte, die häufig mehr als 1.000 Plätze boten, bildete den idealen Rahmen für festliche Premieren. Weil Filme nur mit wenigen Kopien starteten, wurden die Uraufführungen in Berlin, München, Hannover, Frankfurt oder Düsseldorf häufig durch die Anwesenheit der Schauspielprominenz aufgewertet. Auf Verbeugungstourneen quer durchs Land nahmen Stars wie Dieter Borsche, Ruth Leuwerik, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Maria Schell, O.W. Fischer, Peter Alexander, Liselotte Pulver, Paul Hubschmid oder Curd Jürgens samt ihren Regisseuren den Beifall des Publikums persönlich entgegen. In den aufwändig geschmückten Foyers gaben sie Autogramme, ließen sich meist im "Ersten Haus am Platze" von der lokalen Presse befragen, zeigten sich zum Greifen nah. Auf solche von den Verleihern organisierte Tuchfühlung musste man jedoch in den Stadtteilen, in den Außenbezirken und der Provinz verzichten: erst Wochen, bisweilen Monate später liefen hier die so feierlich beworbenen Filme an, und winkende Stars waren nur aus den Wochenschauen bekannt. Solange sich das Publikum nicht daran störte, Filme mit beträchtlicher Verspätung im Kino seiner Nachbarschaft vorgeführt zu bekommen, hatte diese Vermietungspraxis Bestand – und mit ihr das kleine Stadtteil- oder Provinzkino.

Marketing

Quelle: DIF
Werbeplakat für eine Vorstellung in Anwesenheit beliebter Filmstars
 

Hier wie in den Innenstädten glänzte das Filmprogramm durch Vielfalt. "Der richtige Film ins richtige Haus" lautete die Devise der Verleiher, deren Vertreter in ständigem Kontakt zu den Kinobesitzern standen. Diese wiederum hatten eigene Vorlieben oder kannten den Geschmack "ihres" Publikums sehr genau. Es gab Häuser, die sich auf Western, amerikanische B-Pictures oder "anspruchsvolle" Filme spezialisiert hatten. Die großen Titel wiederum gingen an die miteinander konkurrierenden Innenstadt-Kinos, die anders als heute nicht denselben Film spielen durften.Mit Hilfe von Teilungslisten suchten die Verleiher sie zufriedenzustellen: Die Besitzer der Erstaufführungshäuser hatten von Jahr zu Jahr wechselnd die "Erstwahl" unter den in einzelne Blöcke unterteilten Staffeln, die sie "blind", also ohne sie zu kennen, buchten. Um das Risiko dieses Blind- und Blockbuchens möglichst gering zu halten, setzten die Kinobesitzer auf zugkräftige Namen und Sujets. Deshalb waren auch für sie, und nicht nur für das Publikum, die Stars von enormem Wert.

Ende des Familienkinos

Quelle: DIF
Filmpost-Filmprogramm: "Der Herr vom andern Stern" (1948)
 

Der Vielfalt des Angebots entsprach die Bandbreite der einzelnen Vorstellung: Diese bestand nicht nur aus Werbung, Trailern und Hauptfilm, sondern darüber hinaus aus der Wochenschau und aus Kulturfilmen. Illustrierte Filmprogramme, die zu jedem Hauptfilm erschienen und an der Kasse erhältlich waren, wurden beliebte Erinnerungs- und Sammelobjekte.Der Niedergang dieser Kinokultur, die so selbstverständlich zum Alltag der ganzen Familie gehört hatte, begann sich Ende der 1950er Jahre abzuzeichnen. Die zunehmende Verbreitung des Fernsehens gilt als Hauptursache, aber auch die Erhöhung der Mobilität besonders Jugendlicher und eine Erweiterung des Freizeitangebots waren für die einsetzenden Veränderungen verantwortlich. Der sich etablierenden Jugendkultur suchte die Filmwirtschaft mit zielgruppenorientierten Filmen entgegenzukommen – dass die Älteren jedoch dem Fernsehen den Vorzug vor dem Kino gaben, führte in den 1960er Jahren zum Zusammenbruch des bundesdeutschen Star-Systems. Das große Kinosterben begann.

 

 

 

 

 

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Dieser Artikel basiert auf den Texten von Claudia Dillmann und Thomas Möller zur Kinogeschichte des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater e. V. (HDF) "50 Jahre Kino in Deutschland"