Vor mir der Süden

Deutschland 2017-2020 Dokumentarfilm

Summary

Ahead of Me the South

In the summer of 1959, filmmaker Pier Paolo Pasolini in his Fiat Millecento embarked on a journey commissioned by "Successo" magazine, starting in the town of Ventimiglia near the French border. From there he drove around the Italian boot to Trieste - a total of over 3,000 kilometers. He was accompanied by the photographer Paolo Di Paolo. The texts and images that emerged on this journey have long been considered cultural-historical documents from an Italy that no longer exists in this form. In September and October 2017, director Pepe Danquart set out on Pasolini's trail with his cameraman Thomas Schneider and a small crew. For seven weeks, they followed his route - also in a Fiat Millecento - to retrace his impressions and at the same time paint a picture of Italy today. 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Pier Paolo Pasolini (Bologna 1922 – Ostia 1975) umrundete 1959 im Auftrag der Illustrierten „Successo“ in seinem Fiat Millecento der Form des Stiefels folgend einmal die italienische Küste, 3000 Kilometer von der französisch-italienischen Grenze über Neapel, Sizilien, Bari und Ancona bis nach Ravenna und Triest. Das im Zeichen des Wirtschaftswunders und des beginnenden Massentourismus prosperierende Italien beschrieb Pasolini in seiner Reisereportage „La lunga strada di sabbia“ („Die lange Straße aus Sand“) mit dem Untertitel „Italien zwischen Armut und Dolce Vita“.

In „Vor mir der Süden“ begibt sich Pepe Danquart im Sommer 2018 auf Pasolinis Spuren. Die damalige Umrundung unternimmt auch der deutsche Filmemacher im Millecento und blickt auf Umbrüche mit Auswirkungen auf unseren ganzen Kontinent. Pepe Danquart versteht sein Roadmovie „als Hommage an den Dichter, Filmemacher und Poeten Pier Paolo Pasolini“, angereichert mit so hellsichtigen wie empathischen Zitaten aus dessen tagebuchartiger Reportage durch den Sprecher Ulrich Tukur.

Nach einem Prolog am Strand von Jesolo, wo drei ältere Italienerinnen von den heute ausbleibenden deutschen Touristen schwärmen, und Auszügen aus einer Rede Pasolinis vor Studenten über sein kritisches Verhältnis zu Italien und den Italienern, startet der erste Teil („Von der Grenze bis Ostia“) in Ventimiglia, schon immer eine Zwischenstation für Migranten. Vor sechs Jahrzehnten für Süditaliener, die ihr Glück in den Industriezonen Nordeuropas suchten, heute für Flüchtlinge aus Afrika.

In Genua beklagt ein 51-jähriger Hafenarbeiter vor der gespenstischen Kulisse der eingestürzten Autobahnbrücke die Verschlechterung aller Verhältnisse durch die anhaltende Privatisierungspolitik der ständig wechselnden Regierungen. Und ein Fischer prophezeit: „Das Meer wird bald zur Wüste.“ Überall noch verblasste Zeugnisse von Pasolinis Reise an Wänden und in Vitrinen, natürlich auch in Ostia, wo er am 2. November 1975 von homophoben Jugendlichen brutal ermordet wurde.

Im zweiten Teil („Von Sperlonga bis Porto Palo“) geht es über Sabaudia, einer während des italienischen Faschismus erbauten Retortenstadt, nach Neapel. Während Pasolini beim Besuch Capris englische Touristen bestaunte, zeigt Danquart den heutigen Massentourismus, der auch dazu führt, dass Fischer zu Bootsführern in die Blaue Grotte mutiert sind. Die Amalfiküste, schon von Giovanni Boccaccio vor 600 Jahren als die schönste der Welt geschildert, und überhaupt Kalabrien ist heute bis auf die kurze Touristensaison im Sommer weitgehend entvölkert: Wenn das nächste Krankenhaus 50 Kilometer entfernt ist und vor Ort kein Arzt mehr praktiziert, ziehen nach den Jungen auch die Alten fort. Und in den schon von Pasolini gefilmten Wellblechsiedlungen hausen heute afrikanische Bootsflüchtlinge.

Auf Sizilien, im pulsierenden Palermo, das gleiche Bild: Weil die Jungen in den Norden gehen, stirbt das traditionelle Handwerk aus. Ganze Ortschaften sind verwaist. In Syrakus trifft Danquart auf die Schauspielerin Adriana Asti, die Pasolini sechzig Jahre zuvor im Shakespearschen „Wintermärchen“ bewunderte: Sie bestätigt den Eindruck, dass sich am krassen Gefälle zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden Italiens nichts geändert hat.

Der Schlussteil („Nach Norden bis Triest“) führt über Pasolinis „Banditendorf“ Cutro und Matera, wo zwei seiner Filme entstanden, nach Tarent. Vor einem Pasolini-Wandbild erinnert sich ein Rockmusiker an die vorausahnenden Warnungen des Regisseurs vor einem Wiederaufflammen des Rassismus. Durch Apulien immer am Ionischen Meer entlang nach Rimini, wie die ganze Adriaküste einst eine Hochburg der deutschen Touristen. Die Gesprächsthemen bleiben die gleichen: Keine Arbeit, Abwanderung, Altersarmut und Immigration.

Über das Bilderbuch-Städtchen Chioggia nach Venedig: Danquart blickt hinter die Kulissen des Massentourismus in einer Stadt, deren Einwohnerzahl sich in den letzten Jahrzehnten halbiert hat, weil die Besucher die Lebenshaltungskosten in unerschwingliche Höhen treiben. Am Strand Lazaretto bei Triest schrieb Pasolini einst: „Hier endet Italien, hier endet der Sommer.“ Auch für Pepe Danquart, der im Neue Visionen Presseheft resümiert: „Die Kritik und Bestandsaufnahme an den Ergebnissen oder Auswüchsen der Moderne, die wir Fortschritt nennen, oder Digitalisierung der Welt oder Globalisierung oder Massentourismus oder ökologischer Kollaps der Welt ist Gegenstand dieses Dokumentarfilms“.

Uraufgeführt am 29. August 2020 beim Fünf Seen Filmfestival in Starnberg, ausgezeichnet beim Los Angeles Documentary Film Festival 2020 als bester internationaler Dokumentarfilm, wird „Vor mir der Süden“ am 18. Juli 2022 von Arte erstausgestrahlt.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Titles

  • Originaltitel (DE) Vor mir der Süden
  • Untertitel (DE) Durch Italien auf den Spuren von Pier Paolo Pasolin
  • Weiterer Titel (ENG) Ahead of Me the South
  • Weiterer Titel (IT) Davanti a me il sud

Versions

Original

Duration:
117 min
Format:
DCP
Video/Audio:
Farbe, Ton
Censorship/Age rating:

FSK-Prüfung (DE): 21.07.2020, 200430, ohne Altersbeschränkung / feiertagsfrei

Screening:

Kinostart (DE): 01.07.2021