Atempause

Deutschland 2016/2017 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Hannes, der neunjährige Sohn von Esther und Frank Baumann, ist ein so begabter Torwart, dass er vom Trainer erstmals bei den um drei Jahre älteren „Großen“ zwischen die Pfosten gestellt wird. In einem Moment der Ablenkung, er erkennt seine 'mal wieder zu spät gekommene Mutter auf der Tribüne, trifft ihn ein scharf geschossener Ball mit voller Wucht am Kopf, sodass Hannes bewusstlos liegen bleibt.

„Wird schon nicht so schlimm sein“ beruhigt Frank, zumal sein Sohn wieder bei Bewusstsein ist. Statt einen Krankenwagen zu rufen, fahren ihn die Eltern im eigenen Kombi ins Krankenhaus. Wo die Diagnose des Leiters der Kinderstation, Dr. Heller, niederschmetternd ist: Bei Hannes ist ein offenbar angeborenes Aneurysma festgestellt worden. Es ist durch das Aufpralltrauma geplatzt. Die Blutung im Hirngewebe des wieder bewusstlosen Jungen, der künstlich beatmet werden muss, ist so stark, dass eine Operation nicht mehr möglich ist.

Weil Hannes' punkige Schwester Tina (Sarah Mahita) 'mal wieder nicht ans Handy geht, macht sich Frank auf den Weg, um sie in die Klinik zu holen. Er weiß im Gegensatz zu seiner Frau, dass sie einen neuen Freund hat und wo sie zu finden ist. Und er hat längst erkannt, dass das Leben seines Sohnes nicht mehr zu retten ist. Als die völlig entsetzte Tina hilflos am Krankenbett ihres kleinen Bruders steht, wird sie Zeugin, wie sich ihre Eltern förmlich zerfleischen, indem sie sich gegenseitig die Schuld für den Zustand ihres Sohnes geben.

Tina flüchtet sich auf das Klinikdach, wo sie von Samet aufgespürt wird, dem Bruder des im gleichen Zimmer wie Hannes liegenden Yusuf Eroglu. Dem eine neue Leber implantiert worden ist und der ständig von seiner deutsch-türkischen Großfamilie um den fürsorglichen Vater Bülent umgeben ist. „Manchmal bewundere ich euch Moslems, irgendwie. Ihr habt Kopftücher und so'n Mist. Aber wir haben gar nichts mehr, woran wir glauben. Gott ist kein Thema“ legt Tina vor. Und Samet antwortet: „Aber dafür wird an euch nicht ständig rumgezerrt. Guck dir mal an, was die im Namen Allahs alles machen. Kopf abschneiden und so'n Scheiß.“ Samet ist es leid, sich ständig für seinen Glauben rechtfertigen zu müssen.

Während Esther nicht loslassen kann und darin auch noch von ihren arroganten Eltern bestärkt wird, die die Qualifikation der Klinikärzte in Frage stellen, haben die Krankenschwester Lisa und ihre erfahrenere Kollegin Maria auf der Kinderintensivstation alle Hände voll damit zu tun, Wogen zu glätten, Mitgefühl zu zeigen, aber auch Grenzen zu setzen. Was Lisa zunehmend Probleme bereitet: Wer Empathie zeigt, gerade auch mit Eltern schwerstkranker Kinder, kann bei aller erworbenen Routine nicht zur Tagesordnung übergehen. Oder gar nach Dienstschluss komplett abschalten. Bei einer Zigarettenpause draußen spendet die Ältere Trost: „Für mich ist doch das Ganze hier viel intensiver gelebt. Ich finde, dass hier ist 'ne ehrliche Welt.“

Während Yusufs Großfamilie für Catering und gute Laune sorgt, werden die Risse in der Familie Baumann immer deutlicher. „Ich kann sie nicht ertragen“: Mutter Esther hat sich mit ihrer Tochter Tina überworfen und Franks Schreinerei ist pleite. Da ihn die Schwiegereltern Günter und Frieda ohnehin stets für einen Versager gehalten haben und die Ehe nur noch auf dem Papier existiert, will er auf einer kleinen Bootswerft seines besten Freundes in Südfrankreich noch einmal von vorn anfangen.

Doch dann kommt alles anders. Esther beruhigt erst Jonas, der den Ball auf Hannes geschossen hat und sich schuldig fühlt, und tröstet dann Yusufs Mutter, als der Körper ihres Sohnes Abwehrreaktionen auf die Spenderleber zeigt. Schließlich erinnert sie sich an die Worte Franks: „Wir haben zwei Kinder“, und sucht Tina auf, die am Ort des Geschehens auf ihre Weise um ihren hirntoten Bruder trauert. Esther kann endlich loslassen und steht einer Organspende nicht mehr im Wege: „Das Herz“, so Frank, „kann mit ihm sterben oder weiterleben.“

„Atempause“ ist ein erwartet berührender Film, aber kein Melodram. Manche Kritiker haben der Berliner Regisseurin Aelrun Goette, die 52-Jährige hat selbst als Krankenschwester in der Psychiatrie gearbeitet, vorgeworfen, sich nicht auf die Baumann-Familie, auf den Schmerz der Eltern und der Schwester sowie die Reaktion des Umfeldes konzentriert zu haben. Aber das Autoren-Trio Christian Schnalke, Sven Halfar und Joyce Jacobs tat gut daran, eine ihren Glauben praktizierende muslimische Kontrastfamilie daneben zu stellen. Denn im säkularen Deutschland der 1968er-Enkelgeneration dürfen transzendente Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod offenbar nur dem Mainstream entsprechend aufgeworfen werden. Und da liegen exotische Religionen oder esoterische Alternativen ganz weit vorn, das Christentum dagegen spielt bei den letztlich einsamen Selbstverwirklichern keine Rolle mehr.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Duration:
90 min
Format:
16:9
Video/Audio:
Farbe, Dolby
Screening:

TV-Erstsendung (DE): 14.06.2017, ARD

Titles

  • Originaltitel (DE) Atempause

Versions

Original

Duration:
90 min
Format:
16:9
Video/Audio:
Farbe, Dolby
Screening:

TV-Erstsendung (DE): 14.06.2017, ARD