Die Heimkehr des Joachim Ott

DDR 1979 TV-Film

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Heinz17herne
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Ein Mann mit merkwürdig-winterlicher Kopfbedeckung beobachtet aus gesicherter Entfernung, wie eine Frau nach Feierabend von einer Großbaustelle kommt, einen Jungen aus dem Kindergarten abholt, mit diesem Einkäufe tätigt und dann offenbar nach Hause geht, wo beide noch vor der Haustür auf der Straße von einem offensichtlich sehr vertrauten Mann geradezu überschwänglich empfangen werden.

Der Mann mit der Fellkappe heißt Joachim Ott (Gunter Schoß) und ist Anfang der 1950er Jahre nach langer sowjetischer Kriegsgefangenschaft in eine Stadt zurückgekehrt, die einmal sein Zuhause und das seiner Familie gewesen ist. Doch nun muss er zusehen, wie seine Frau Bettina (Renate Blume), Laborantin auf besagter Baustelle, und sein kleiner Sohn Jochen (Falko Schreiber) mit einem anderen Mann (Hanns-Jörn Weber) zusammenleben.

Ott ist zutiefst betroffen, geradezu niedergeschlagen, war doch der lang ersehnte Moment des Wiedersehens mit Bettina der einzige Halt, der ihn im berüchtigten Lager Workuta über die ganze schlimme Zeit am Leben erhalten hat. Dennoch kann er seine Frau nicht verurteilen, weiß er doch, dass sie von ihm sechs Jahre lang kein einziges Lebenszeichen erhalten konnte und so annehmen musste, dass er im Krieg an der Ostfront gefallen sei und nie mehr zurückkommen werde.

Ott sucht sich auf einem der größten Bauvorhaben der noch jungen Republik Arbeit – und bekommt rasch heraus, dass der „Neue“ seiner Frau Peter Marzell heißt und die Brigade am neuen Hochofen leitet. Auf der grünen Wiese, wo vor noch nicht langer Zeit Gurken geerntet worden sind, entsteht ein gigantisches Industrierevier zur Herstellung von Roheisen – Symbol für den Aufschwung des Arbeiter- und Bauernstaates und die Hoffnung, das kapitalistische Deutschland im ökonomischen Wettstreit besiegen zu können. Zehn Hochöfen sollen einst im neuen Hüttenwerk stehen, gerade wird der Abstich am ersten vorbereitet.

„Wenn die Freunde Sie begnadigt haben“: Baustellenleiter Theuerkauf (Eberhard Mellies), ein KZ-Überlebender mit dem Winkel am Revers, teilt Ott einer bunt zusammengewürfelten Hilfsarbeitertruppe des Betonwerks zu. Die schwere Handarbeit weitgehend ohne maschinelle Hilfe macht Ott weniger zu schaffen als sein fehlender Glaube an eine bessere Zukunft im besseren Deutschland: Verbittert ob der aus seiner Sicht grundlosen Verbannung in den Gulag, der Leutnant war an den Kriegsverbrechen seiner Wehrmachts-Kompagnie in der Ukraine nicht unmittelbar beteiligt, mag er die Sowjetunion nicht als Freund bezeichnen.

Ott nächtigt in einer Männer-Baracke zusammen mit anderen Arbeitern, muss sich gegen die Zumutungen seines Hochbett-Nachbarn aber erst gewaltsam durchsetzen. Fred Bolz (Klaus Bamberg) vermittelt in dem Streit, er ist so etwas wie der Vorarbeiter der Gruppe, der wie der unschwer an seiner Sprache als Ostpreuße erkennbare Leschek (Dieter Wien) auch Heimatvertriebene angehören, welche höchst unzufrieden sind mit der politischen Ausrichtung des sozialistischen Deutschland.

Als Bettina auf der Baustelle erscheint, um Peter das Mittagessen zu bringen, erkennt sie ihren Mann Joachim – und lässt vor Schreck den Topf auf den Boden fallen. Es ist ein freudiger Schreck, sie fällt Ott sogleich weinend um den Hals. Doch der ist nicht bereit, nach Hause zurückzukehren und gibt Bettina vielmehr zu verstehen, dass sie sich nicht an ihn gebunden fühlen solle. Eine nur scheinbar der Realität geschuldete großherzige Geste. Denn weder für Bettina noch Sohn Jochen, der ein altes Foto vom Vater in Wehrmachtsuniform aus der Schublade herausholt, ist dieses Kapitel abgeschlossen, und für Peter Marzell schon gar nicht, der Ott heimlich durch das Fenster der Baracke beobachtet. Vom Kollegen Lustig (Carl-Hermann Risse) ermuntert, um Bettina zu kämpfen, verspricht Theuerkauf, sich um eine bessere Wohnung zu bemühen.

Doch gerade steht Marzell beruflich stark unter Druck: der erste Hochofen-Abstich steht kurz bevor. Während sich Theuerkauf und die beiden anderen Chefs, der nur „Professor“ genannte Bauleiter Holzmann (Hansjürgen Hürrig) und der erfahrene „Eisendoktor“ (Herwart Grosse), mit Materialproblemen herumschlagen, muss sich Peter seit geraumer Zeit mit ständig betrunkenen Arbeitsverweigerern auseinandersetzen. Auch der einzelgängerische Ott gerät unter Verdacht, mit aus dem Westen eingeschleusten antikommunistischen Agitatoren in Verbindung zu stehen. Als es zu offenbaren Sabotageakten mit Eierhandgranaten aus Wehrmachtsbeständen kommt, wirft der junge, gerade von der Parteischule gekommene SED-Kader Köberle (Eberhard Kirchberg) dem Genossen Peter Marzell die „Verletzung revolutionärer Wachsamkeit“ vor.

Besonnener und vor allem menschlicher reagiert der Parteisekretär Vollmer (Bruno Carstens). Als erstes erkundigt er sich in der Klinik nach der im Gesicht schwer verletzten Carola (Rita Feldmeier), bevor er harte Maßnahmen ergreift: alle Arbeiter werden unter Generalverdacht gestellt nun nach Schichtende vom Werkschutz kontrolliert, was neues böses Blut hervorruft. Der alte „Eisendoktor“, der stets vor Problemen mit Menschen und Material gewarnt hat, schmeißt hin und haut in den Westen ab. Als auch Ott plötzlich verschwunden ist und zwei Wochen lang keine weiteren Sabotageakte mehr vorkommen, scheint klar zu sein, wer der Täter ist.

Peter Marzell, der inzwischen eine Wohnungseinweisung für sich, Bettina und Jochen erhalten hat, gibt diese an Lies Schönborn (Doris Otto) und ihre drei Kinder weiter. Er zieht bei Bettina aus und kommt zunächst beim Kollegen Lustig unter, bis er zum Studium delegiert wird. Bettina hat sich ihm gegenüber zu Ott bekannt, der nach zwei Wochen wieder auf die Baustelle zurückgekehrt ist, will mit ihr noch einmal von vorn anfangen – obwohl sie keinen Zweifel daran lässt, dass sie Peter liebt. Der wird sich um Carola kümmern, doch zuvor gilt es, die Agenten des Westens zu entlarven: Fred Bolz, ein einstiger SS-Offizier, ist der Anführer der Saboteure, zu denen auch der Ostpreuße Leschek gehört. Dem ersten Hochofen-Abstich steht nun nichts mehr im Wege…

„Die Heimkehr des Joachim Ott“ ist so etwas wie das DDR-Gegenstück zu Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrer-Drama „Draußen vor der Tür“ und es finden sich erstaunliche Parallelen zwischen dem zuerst als Hörspiel herausgekommenen Drama und dem 15 Jahre später erschienenen Roman „Die Heimkehr des Joachim Ott“ von Fritz Selbmann. Der einstige KPD-Reichstagsabgeordnete, KZ-Überlebende, Mitglied im Zentralkomitee des SED, Industrieminister und Vizepräsident des DDR-Schriftstellerverbandes hatte sich am 17. Juni 1953 als einer der wenigen Parteikader aus voller Überzeugung den angeblich konterrevolutionären Aufständischen gegen die Normerhöhung gestellt – und musste 1958 seine politischen Ämter aufgeben.

Der mutige Film, gedreht in einer aufgelassenen Ziegelei in Zehdenick, der Hochofenabstich jedoch in Eisenhüttenstadt, thematisiert Tabuthemen wie Heimatvertriebene und sowjetische Gulag-Umerziehungslager erstaunlich offen: Vor dem Stalin-Porträt im Büro Theuerkaufs fällt das No-Go-Wort Workuta – eine kleine Sensation. Unmittelbar nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und dem damit verbundenen erheblichen Aderlass an prominenten Künstlern bis hin zu Manfred Krug haben die Zensoren wohl einige Augen zugedrückt. Die Auftragsproduktion des Defa-Studios für Spielfilme, PL Irene Ikker, für das Fernsehen der DDR nach dem Szenarium von Rolf Gumlich ist eine sehr realistische Darstellung des DDR-Alltags zu Beginn der 1950er Jahre, wozu nicht zuletzt die Musik von Werner Pauli und Manfred Rosenberg beiträgt.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
2680 m, 98 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
Orwocolor
Aufführung:

Uraufführung (DD): 20.04.1980, DDR-TV

Titel

  • Originaltitel (DD) Die Heimkehr des Joachim Ott

Fassungen

Original

Länge:
2680 m, 98 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
Orwocolor
Aufführung:

Uraufführung (DD): 20.04.1980, DDR-TV