Florentiner 73

DDR 1971 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
Berlin, Hauptstadt der DDR. Das Centrum-Warenhaus am Alexanderplatz offeriert ein riesiges Angebot, die Reihe der Einkaufswagen scheint schier unendlich. Eine junge, attraktive Blondine ist aber nur am Zeitungsstand interessiert, und da sieht es vergleichsweise mau aus. Sie blättert die Kleinanzeigen der „Berliner Zeitung“ durch – und ist schnell damit fertig. Wieder nichts. Da rät ihr ein anderer Kunde, doch gleich um die Ecke zu „Anzeigen-Emil“ (Gerd E. Schäfer) zu gehen. Der hat vielleicht etwas passendes im Karteikasten – noch vor der Veröffentlichung.

Gesagt, getan. Brigitte Platz (Edda Dentges) heißt die aufregende Schönheit, ist seit kurzem Chefsekretärin im DDR-Außenhandel – und schwanger. Weshalb sie von zuhause aus- und in ein möbliertes Zimmer einziehen möchte. Was erst auf den zweiten Blick erklärbar ist: Brigitte hat sich mit ihrer Mutter (Carola Braunbock) überworfen, die ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass sie den Vater des Kindes noch vor der Entbindung heiratet. Zumal der ebenso naturgemäß dazu bereit ist.

Doch Brigitte will das Kind, nicht aber den Kerl. Und lieber ausziehen, als sich von der Mutter weiter Vorhaltungen machen zu lassen. „Anzeigen-Emil“ schickt sie 'rauf nach Pankow, in die Florentinerstraße 73. Ein Altbau, stark renovierungsbedürftig, aber voller Kinder-Leben schon im Treppenhaus. Eher düstere Hinterhof-Atmosphäre, aber nur 35 Mark Miete mit Familienanschluss. Was ihr Frau Klucke (Paraderolle für Agnes Kraus) freilich verschwiegen hat: beim angeblich ruhigen Refugium handelt es sich um ein schwer vermietbares Durchgangszimmer. Und das rund um die Uhr, denn die betagte Dame muss auch nachts auf dem Weg zum Klo bei Brigitte „durch“.

„Das ist kein bewohnbares Zimmer, das ist ein Verschiebebahnhof“: Brigitte bemüht sich als erstes um eine neue Bleibe, nun über das Unternehmen, bei dem sie beschäftigt ist, mit seinen vielfältigen Beziehungen, zumal auch der Krippenplatz rechtzeitig gesichert werden muss. Eines ist ihr klar: sie will auch mit Kind auf eigenen Beinen stehen und sich nicht auf Zwangskompromisse einlassen. Doch als sie vom Arbeitstag, den sie künstlich verlängert hat mit einem Spaziergang über den belebten Alexanderplatz, in die Florentiner 73 zurückkehrt, sieht schon einiges anders aus. Vor allem ihr Zimmer: das haben die beiden benachbarten Alten, Frau Klucke und Frau Knatter (Steffie Spira) auf Vordermann gebracht.

Allmählich lernt Brigitte die anderen Hausbewohner kennen – und schätzen. Da ist vor allem mit Marina Maass (Jessy Rameik) eine ebenfalls junge, attraktive und selbstbewusste Alleinerziehende mit gleich drei Kindern von drei verschiedenen Männern „in bunter Kollektion“. Kein Wunder bei ihrem Job: Dolmetscherin. Und ihrem Vorbild: Josephine Baker. Die hat, ganz praktische Möglichkeit der Völkerverständigung, gleich ein Dutzend Kinder aus aller Herren Länder adoptiert. Brigitte verspricht, wenn einmal Not am Kindermädchen ist, auf das muntere Jungens-Trio aufzupassen, das ansonsten im ganzen Haus zuhause zu sein scheint.

Bei den Hartmanns (Hertha Thiele und Erich Petraschk) etwa, die ihren inzwischen in den Vierzigern stehenden Sprössling Sohni (Günter Sonnenberg) nicht ziehen lassen wollen – und zusammen mit dessen Dauer-Verlobten Helga Riechert (Anne Wollner) schon gar nicht. Und bei den Reglers (Gudrun Ritter und Arnim Mühlstädt), dem Gastwirt-Ehepaar, das sich seit langem vergeblich um eigenen Nachwuchs bemüht. Wenns brennt, ist auch Frau Engel (Liselott Baumgarten) zur Stelle, deren Sohn Wolfgang (Norbert Speer) seinem Namen alle Ehre macht: der angehende Mediziner ist die Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft selbst.

An den Wochenenden komplettiert Hugo (Friedrich Richter) die Hausgemeinschaft. Dann tauscht er das Altenheim mit der Knatterschen Wohnung und lässt sich von der Witwe verwöhnen – und das schon seit 18 Jahren. Schließlich hat er im Krieg unter Lebensgefahr gleich mehrere Brandbomben vom Dach befördert – und so allen das Dach überm Kopf erhalten. Die große Fete zu seinem 75. Geburtstag sollte freilich seine letzte werden: Infektion, Lungenenzündung, Tod.

„So wat wi dir hab ick mir immer jewünscht“: Muttern Klucke kümmert sich rührend um Brigitte, die die Wohnungssuche rasch wieder eingestellt hat. Und sich vom jungenhaften Wolfgang Engel in den Plänterwald zum Medizinerball einladen lässt: „Hätte mir auch ein paar Monate vorher über den Weg laufen können.“ Beide kommen sich näher, als ihr lieb sein kann – mit dem Baby unter dem Herzen. Über die „stille Post“ im Treppenhaus weiß es inzwischen jeder, dass Brigitte schwanger ist – im sechsten Monat. Nur die beiden Menschen, die ihr am nächsten stehen, bleiben ahnungslos – und sind entsprechend getroffen über den Mangel an Vertrauen. Während Wolfgang Engel seinem Schmerz ausgerechnet auf Hugos Geburtstagsfete lautstark Ausdruck verleiht, gibt sich die nach außen oft so hart erscheinende Mutter Klucke butterweich: sie tauscht mit ihrer Untermieterin das Zimmer und kümmert sich sogleich um die Aussteuer.

„Ich bin keineswegs allein, ich hab 'ne ganz schön große Familie“: Auch den Krippenplatz, den ihr das Außenhandelsunternehmen besorgt hat, benötigt Brigitte nicht mehr. Wolfgang Engel hat sich bei ihr entschuldigt, sie schreibt einen Versöhnungsbrief an ihre Mutter. Und „die“ Klucke hat den Weihnachtsbaum diesmal besonders üppig geschmückt. Der erste Neuzugang kann bereits begrüßt werden: die Reglers haben jetzt eine Waise als Wochenendkind aufgenommen und strahlen voller Elternglück. Der zweite lässt noch etwas auf sich warten, aber als die Wehen einsetzen, kloppen die Männer Skat, die Frauen glucken zum Kaffeeklatsch bei der Klucke und Wolfgang Engel begleitet Brigitte im Taxi zur Klinik...

„Florentiner 73“, eine Defa-Produktion für den Deutschen Fernsehfunk, schlug bei der Erstausstrahlung am 6. Februar 1972 ein wie eine Bombe – und machte aus Agnes Kraus eine der beliebtesten Fernsehschauspielerinnen („Schwester Agnes“) der Adlershofer Jahrzehnte. Bis 1980 wurde sie von den Zuschauern achtmal zum DDR-Fernsehliebling gewählt. Dabei gehörte die Berlinerin des Jahrgangs 1911 ursprünglich ganz dem Theater: Leopold Jessner sah sie als große Tragödin, an der Berliner Volksbühne reichte es aber bis Kriegsausbruch nur zu kleineren Rollen. 1951 wurde sie von Bertolt Brecht und Helene Weigel ans legendäre Berliner Ensemble verpflichtet, dem sie mehr als zwei Jahrzehnte angehörte.

„Florentiner 73“ kam am 19. Mai 1972 auch in die Kinos, wo Klaus Gendries' Adaption der 1967 erschienenen Erzählung „Das Durchgangszimmer“ der 1935 geborenen Berliner Autorin Renate Holland-Moritz nicht weniger erfolgreich lief. Wer zwischen den Zeilen las und sah, und das war der Volkssport Nummer Eins im sozialistischen Deutschland, wird sich über eine kleine, feine kritische Episode gefreut haben. Einmal davon abgesehen, dass in der Florentinerstraße 73 das Versorgungsprinzip der SED-Ideologen von der Wiege bis zur Bahre gleich im Kollektiv höchst anarchisch unterminiert wird, hat auch der Pankower Funktionär, der offenbar seit geraumer Zeit auf Granit stößt bei seiner Forderung nach Gründung einer „HGL“ genannten Hausgemeinschaftsleitung, keine Chance: seine floskelhafte Kurzansprache zu Hugos 75. Geburtstag ist allen nur peinlich und sie drehen rasch wieder die Musik an (für die im Film übrigens Rolf Kuhl verantwortlich zeichnet).

Der drei Jahre später beinahe mit dem gleichen Team (mit Eberhard Borkmann hinter der Kamera statt Hans-Jürgen Reinecke) erneut in Babelsberg gedrehte Nachfolger „Neues aus der Florentiner 73“ hat es dann aber nicht mehr in die DDR-Kinos gebracht.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Aufführung:

TV-Erstsendung (DD): 06.02.1972, DDR-TV

Titel

  • Originaltitel (DD) Florentiner 73

Fassungen

Original

Aufführung:

TV-Erstsendung (DD): 06.02.1972, DDR-TV