Scheusal

Deutschland 1992 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
Corinna (Christina Schorn) wirbelt mächtig Staub auf, als sie mit achtzig Sachen durch die vom Braunkohlen-Abbau hinterlassene Wüste brettert, bis sie irgendwo in einem Krankenhaus landet, wo ihre Mutter Gerda liegen soll. Ein entsprechendes Telegramm haben auch ihre Schwestern Carla (Jutta Wachowiak), Christiane (Ursula Werner) und Constanze (Walfriede Schmitt) erhalten, die in den 1950er Jahren als populäres Schlagerquartett „Altmarkspatzen“ im neuen Medium Fernsehen auftraten und durch die ganze DDR tourten. Mit bewusst verharmlosenden Songs wie „Was willst du denn in Rio?“: die Liebe sei im kapitalistischen Ausland schließlich auch nicht anders als bei uns zuhause. Was kürzlich erst Thema einer Fernsehsendung war, in der sie mit dem Moderator (Wilfried Pucher) über gute alte Zeiten im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat sprachen.

Corinna ist nun Inhaberin einer „Antiquitätenboutique“ in Berlin, die so gut läuft, dass sie über Filialen in Dresden und Weimar nachdenkt. Carla ist als promovierte Journalistin viel unterwegs, schon damals in der DDR auch im westlichen Ausland, während Christiane ihr Glück als Hausfrau und Mutter gefunden zu haben scheint. Nur Constanze ist dem Metier erhalten geblieben – als Schauspielerin. Freilich nur in einem Provinztheater, weil ihr Gatte (Peter Hladik) in der Hauptstadt keine Dozentenstelle erhielt. Nun ist er Professor und nimmt sich Seitensprung-Auszeiten, während sie bereits am Nachmittag in Familienvorstellungen ihr Bestes geben muss.

Als alle mit Trabi, Bus und Bahn in der Klinik eingetroffen sind, erfahren die von einem Arzt (Alexander Höchst), dass alles ein Irrtum sein muss: eine Gerda Pfeiffer gehöre nicht zu seinen Patienten, wohl aber ein Alfons Rudolf Pfeiffer (Werner Dissel). Was nur eine nicht überrascht: Corinna. Die hat heimlich Kontakt zu ihrem als „Scheusal“ verschrienen Vater, der seine Gattin samt vier Kindern vor 37 Jahren schnöde sitzen gelassen hat, um mit seiner naturgemäß jüngeren Geliebten in die Lausitz zu ziehen. So jedenfalls die Geschichte der Mutter. Nun soll er in vier Tagen aus der Klinik entlassen werden, weigert sich aber, ins Pflegeheim zu gehen.

Schwüle Hitze, gewaltige Rauchwolken nach Selbstentzündung der Kohle und eine der hohen Waldbrandgefahrenstufe geschuldete Straßensperre hindern das Quartett nicht, über Umwege nach Goldberg (nicht der reale Ort in Mecklenburg-Vorpommern, sondern ein fiktiver in der Tagebau-Region Leipzig/Bitterfeld) zu fahren: Corinna hat die Schlüssel des ihnen noch unbekannten väterlichen Hauses. In der Bruchbude gibt’s kein sauberes Wasser, aber Strom – und reichlich Schnaps. „Ich kann mich ja nicht mal an ihn erinnern“ bekundet Christiane, als es darum geht, wer sich künftig um den bisher verschollen geglaubten Vater kümmern soll.

In dieser Nacht werden alte Wunden wieder aufgerissen, die wohl seit früher Kindheit aufeinander eifersüchtigen Schwestern schenken sich nichts, um die Lebenslügen der jeweils anderen aufzudecken. Eine neue Wunde ist das Ergebnis von Carlas Nachforschungen in alten Unterlagen: nach einer Denunziation ist Alfons Pfeiffer wegen Verfassens feindlicher Rundschreiben für fünf Jahre hinter berüchtigten Bautzener Gitterstäben verschwunden. Der angebliche Hurenbock und Strauchdieb war in Wirklichkeit ein politischer Gefangener – und seine Gattin Gerda hat 1954 die Scheidung eingereicht und das alleinige Sorgerecht für die vier Kinder zugesprochen bekommen. Welche sie aus eigenem Ehrgeiz beim Talentwettbewerb angemeldet und weiter gefördert hat. Die alkoholkranke, von Schlaflosigkeit und Alpträumen geplagte Constanze resümiert ihre Kindheit: „Keine Freunde, keine Freizeit, kein eigenes Ich.“

Die größte Überraschung aber erwartet drei der vier Schwestern nach durchzechter Nacht am anderen Morgen in der Klinik: Corinna hat mit Hilfe des Rechtsanwalts und Notars Dr. Wurzer (Karl-Heinz Oppel) Nägel mit Köpfen gemacht – und sich als das wahre Scheusal erwiesen…

„Scheusal“ ist eine späte, vielleicht gar die letzte „Überläuferproduktion“ des Deutschen Fernsehfunks (Produktionsleitung: Ingeborg Trenkler). Der 90-minütige Fernsehfilm, in der unmittelbaren Wendezeit konzipiert, gedreht und 1991 fertiggestellt, lief am 6. Mai 1992 nur noch unter dem Label „Mitteldeutscher Rundfunk“ erstmals in der ARD. In dem metaphorisch-düsteren, die persönlichen Schicksale der Protagonistinnen etwas zu offenbar mit der chaotisch-unklaren politischen Situation verknüpfenden Psychodrama brillieren vier große DDR-Schauspielerinnen. In einer Mini-Episodenrolle als Christianes Mann Heinz ist mit Peter Mäbert ein erfolgreicher Produktionsleiter des Fernsehens der DDR („Trompeten-Anton“, „Jeder träumt von einem Pferd“, „Weiße Kreide für Franziska“) zu sehen.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Aufführung:

Uraufführung (DE): 06.05.1992, ARD

Titel

  • Originaltitel (DE) Scheusal

Fassungen

Original

Aufführung:

Uraufführung (DE): 06.05.1992, ARD