Pension Boulanka

DDR 1964 Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Berlin, Hauptstadt der DDR, in den 1960er Jahren. Auf dem Schießstand der Volkspolizei gibt Hauptmann Brückner turnusmäßig mehrere Schüsse ab und wird von seinem Kollegen, Leutnant Born (der populäre „Blaulicht“-Star Bruno Carstens), auf den „Fall Gruyter“ angesprochen. Ja, bestätigt Brückner, der sei schon etwas Besonderes gewesen. Schnitt. In der renommierten Künstlerpension von Emmi Boulanka ist eine internationale Artistentruppe untergebracht, die gerade im Metropol-Theater am Bahnhof Friedrichstraße an einem neuen Showprogramm probt. Eine junge Frau gehört zu den Gästen, die sich offenbar das Leben nehmen will: sie dreht das Gas am Herd auf und legt sich schlafen. Wie wir später erfahren, heißt sie Lore Hansen und gehört mit Gina und Alti zu Roberts Sporelli-Truppe.

Der nur „Colli“ genannte Zauberer Colanta, der in Kurt Bortfeldts Vorlage, dem 1964 im Verlag Das Neue Berlin erschienenen Roman „Künstlerpension Boulanka“ von Fritz Erpenbeck, Colonta heißt, verfolgt vom Admiralspalast aus einen Mann bis in den 3. Stock der Pension, wo dieser vor der verschlossenen Tür Lore Hansens steht. Und sich danach halsbrecherisch über das Dach Zugang durch das Fenster zu ihrem Zimmer verschafft, das Gas abdreht und die bereits Betäubte mit Milch und Weinbrand zu neuem Leben erweckt. Dabei entpuppt sich ihr Retter, der belgische Künstleragent Jan Gruyter, mit dem sie vor kurzem noch liiert war, zugleich als die Ursache ihrer Verzweiflung: Lore Hansen hat vergeblich versucht, von ihm aus ihren Knebelverträgen entlassen zu werden.

Colanta beklagt sich derweil bei Frau Boulanka über seine berufliche Situation: die staatliche Künstleragentur vermittelt ihn seit geraumer Zeit nur noch für „Tagesgeschäfte“ wie unersprießliche Betriebsfeiern. Dass er Jan Gruyter bis hierhin gefolgt ist, verrät er der Vermieterin nicht. Und schon gar nicht, dass er auf ein Telegramm aus Brüssel wartet. Als dieses eintrifft, sucht Colanta Rat bei einem alten Freund und Kollegen, dem Clown Ulf. Der war früher ein Weltklasse-Dompteur, hat aber alle seine Tiere im Krieg nach einem Großbrand des von Bomben getroffenen Zirkus verloren. Die Rede ist von alten Rechnungen, die noch beglichen werden müssen. Es geht offenbar um einen drei Jahre alten Konflikt „drüben“ in Westdeutschland mit einem gewissen Fred Zumpe.

Am Tag vor der Premiere im Metropol-Theater herrscht allseits große Aufregung. Eine unbekannte Dame, die sich später als Else Päschke, eine frühere Artistin, herausstellt, fragt mehrfach vergeblich nach Gruyter und droht, diesen bei der Polizei anzuzeigen. Was Emmi Boulanka ebenso merkwürdig vorkommt wie ein Anrufer zu nächtlicher Stunde, der ihren belgischen Stammkunden als Betrüger beschimpft. Und dann sitzt Jan Gruyter erdrosselt im Schreibtischstuhl seines Zimmers. Die ermittelnden Beamten, neben dem Leiter Brückner noch Oberleutnant Becker und Leutnant Lorenz, erfahren in der Pension nur Gutes über das Opfer: charmant sei er gewesen, von jeher ein Frauenliebling, sein letztes Engagement habe er in Magdeburg gehabt.

Hans Wolter, dem Gruyter Geld schuldet und der sich beruflich verändern will, überbringt Lore Hansen nach der Premierenvorstellung am Admiralspalast die Nachricht vom Tod Jan Gruyters. Bei den Verhören stoßen die VP-Kriminalermittler bei den Artisten auf wenig Kooperationsbereitschaft, nachdem Medizinalrat Dr. Vollmer bei der Obduktion festgestellt hat, dass die Wäscheleine um den Hals des Ermordeten nur ein Täuschungsmanöver war: Gruyter ist mit dem seltenen, Atemlähmung hervorrufenden Gift des japanischen Kugelfisches getötet worden, das dem Weinbrand beigemischt war. Wer hat den erst post mortem Erdrosselten in der Mordnacht besucht?

Brückner und seine Leute erfahren, dass nicht nur Lore Hansen, die außerdem mit Wolter eine Trampolin-Nummer einstudiert, sondern auch die gastweise aus Bremen nach Berlin gekommene Hundedresseurin Sievers ein Verhältnis mit dem Ermordeten hatte. Und dass sich neben Hans Wolters auch der Clown Ulf, der Papiere aus dem Zimmer des Toten mitgenommen hat, von Gruyter übers Ohr gehauen fühlt. In den Polizeiakten wird der Zauberer als „VdN“ geführt, als Verfolgter des Naziregimes. Darauf angesprochen, deckt „Colli“, welcher der illegalen KPD angehörte, die wahre Identität des angeblichen Belgiers auf: Fred Zumpe hat 1942 in Paris als SS-Spitzel in der Artistentruppe seiner Familie gearbeitet, Colantas Eltern und Geschwister auf dem Gewissen und den Namen eines im gleichen Jahr von den Deutschen erschossenen Artisten angenommen. Immer mehr Puzzlesteinchen fügen sich zu einem Bild zusammen, doch der Schlüssel, dieses zu entziffern, findet sich erst zufällig in einer Seifendose des Vergifteten – und im Halsband des Pudels Sherry…

Der in Schwarzweiß gedrehte, über 101 Minuten hochspannende Politkrimi, der zusätzlich Tempo aufnimmt durch in die von Hauptmann Brückner retrospektive erzählte Handlung geschnittene rasante artistische Einlagen, ist vorzüglich besetzt, genannt seien noch Kurt Böwe als kryptischer „Verfolger“, der in einer Telefonzelle nur den einen Satz „Ich weiß, wo sie ist“ in den Hörer spricht, und Agnes Kraus als Emmi Boulankas Haushilfe Anna Böhme. Außer dem Ballett des Berliner Friedrichstadt-Palastes mit den Solisten Emöke Pöstenyi, Elke Rieckhoff und Rolf Pfannenstein wirken u.a. auch die Jongleure „Gitta Elsis & Co“, die Trampolingruppe „Gandoras“, die Exquilibristen „2 Simeks“, die Kaskadeure „Jack und Web“, der Musikclown „Mr. Malheur“ sowie die „Dorantos“ mit ihrer Pudelgruppe mit.

Uraufgeführt am 3. Dezember 1964 im Berliner Kino Kosmos wurde „Pension Boulanka“ am 16. Juni 1976 im Fernsehen der DDR erstausgestrahlt. Ost-Berliner erkannten auf den ersten Blick, dass neben dem Rosenthaler Platz, dem Oranienburger Tor und dem Metropol-Theater der auf Stelzen stehende U-Bahnhof Schönhauser Allee Drehort war, den man im Film warum auch immer als S-Bahnhof umetikettiert hat. Dass auch Tatmotiv und Täter gegenüber der Vorlage geändert wurden, erkennen dagegen nur Kenner des Romans von Fritz Erpenbeck (1897-1976), dem langjährigen Chefredakteur von „Theater der Zeit“, Mitbegründer des (Ost-) Berliner Henschelverlags und Chefdramaturg der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
2757 m, 101 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 03.12.1964, Berlin, Kosmos

Titel

  • Originaltitel (DD) Pension Boulanka

Fassungen

Original

Länge:
2757 m, 101 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 03.12.1964, Berlin, Kosmos