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Der Kurzfilm dokumentiert einen von der neuen Regierung Pinochet angeordneten Gottesdienst in Chile kurz nach dem Putsch im September 1973. Die Worte des Geistlichen werfen Fragen nach der politischen Rolle der Kirche in der chilenischen Gesellschaft auf. Aus dem Chile-Zyklus von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann.
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Neben Pinochet und den führenden Köpfen der Junta wie der Oberbefehlshaber der Polizei, Cesar Mendoza, und Admiral José Toribio Merino, die von schwerbewaffneten Soldaten umgeben immer wieder ins Bild gerückt werden, nehmen mit Gabriel González Videla, Jorge Alessandri Rodríguez und Eduardo Frei Montalva auch drei ehemalige Präsidenten der Republik am traditionellen Te Deum zum Nationalfeiertag teil.
Der große Aufmarsch von Soldaten mit automatischen Waffen im Umfeld der Kirche und im Gotteshaus selbst belegt, dass der Staatsstreich aus Sicht der Usurpatoren noch längst nicht in trockenen Tüchern ist. Der Kardinal-Bischof bittet „für all‘ die, die leiden und beten, oder die sich in Konfliktsituationen befinden, oder die in angstvoller Einsamkeit leben, damit sie befreit, getröstet und befriedet werden. Flehen wir den Herrn an! Herr, wir flehen Dich an, erhöre uns! Herr, wir flehen Dich an, erhöre uns!“
Der per Rolltext in deutscher Sprache lesbare Text kann im Gegensatz zu den Filmemachern, die sich jeden Kommentars enthalten, aber durch ihre bekannt suggestive Montage die politische Rolle der Kirche in der chilenischen Gesellschaft nach dem Putsch, der mit dem nach wie vor ungeklärten Tod Allendes einherging, hinterfragen, auch anders gelesen werden: Als verklausulierte Fürbitte für die Verfolgten des Regimes. Diese rücken Heynowski und Scheumann in der Absicht, den Gottesdienst als Propagandashow zu entlarven, vor dem akustischen Hintergrund der Predigt ins Bild: Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Leibesvisitationen und ein halbes Dutzend Leichen.
Am Ende des nur knapp sechsminütigen Kurz-Dokumentarfilms klopfen sich die neuen uniformierten Herren nach dem Gottesdienst auf dem Vorplatz der Kirche demonstrativ gegenseitig auf die Schultern – per Rolltext konterkariert mit dem Text der Verse 42 und 43 des 18. Psalms: „Sie rufen zum Herrn; aber er antwortet ihnen nicht. / Ich will sie zerstoßen wie Staub vor dem Winde; / ich will sie wegräumen wie den Kot aus der Gasse.“
Im Kino-Beiprogramm am 28. Juni 1974 angelaufen und am 29. Dezember 1974 im Fernsehen der DDR erstausgestrahlt, erhielten die beiden Dokumentaristen noch im gleichen Jahr die Johannes-R.-Becher-Medaille in Gold des DDR-Kulturbundes „für hervorragende Leistungen“. Nach der bundesdeutschen Erstaufführung am 8. Mai 1975 bei den 21. Westdeutschen Kurzfilmtagen Oberhausen gabs den Hauptpreis der internationalen Jury.
Pitt Herrmann