Schaut auf diese Stadt

DDR 1961/1962 Dokumentarfilm

Inhalt

Dokumentation zum Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961. Titelgebend sind die Worte des Westberliner regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter zu Zeiten der Berlinblockade 1948, die durch die "Luftbrücke" der Amerikaner überwunden wurde. Die Bilder sollen belegen, wie durch die Politik der Westmächte die Schließung der Grenzen zwischen West- und Ostdeutschland, West- und Ostberlin zwingend wurde.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“ ruft Ernst Reuter am 9. September 1948 vor dem Reichstagsgebäude der freien Welt zu auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges: Die Sowjetunion blockierte vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 alle Landwege nach West-Berlin, sodass die Westalliierten USA, Frankreich und Großbritannien die Bevölkerung mittels einer Luftbrücke versorgten. Das Ziel der Sowjets, West-Berlin auszuhungern und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der späteren DDR, einzuverleiben, misslang.

Dieser Hilfsappell des West-Berliner Bürgermeisters zieht sich, vom historischen Kontext gelöst, wie ein Roter Faden durch einen der übelsten Propagandastreifen der Defa, zu dem der spätere „Schwarze Kanal“-Moderator Karl Eduard von Schnitzler den Kommentartext geliefert hat (Sprecher: Eberhard Mellies): „Dieser Film“, erklärt als Prolog eine Rolltext-Einblendung vor dem Hintergrund des Buchenwald-Denkmals Fritz Cremers, „ist entstanden aus Sorge um die Erhaltung des Friedens - gemäß dem historischen Auftrag der DDR, dafür zu sorgen, daß niemals wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgeht. Wir widmen ihn allen Menschen, die in Ruhe leben wollen - in Westberlin, in beiden deutschen Staaten, in der ganzen Welt.“

Mit Duke Ellingtons „Take The A Train“ und Easy Listening-Sound der Ray Conniff Big Band unterlegt paradieren US-Soldaten am jährlichen „Tag der Alliierten“ durch die Westsektoren der geteilten, aber noch offenen Stadt. O-Töne der populären Sender AFN (American Forces Network Europe) und RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) begleiten die Veranstaltung mit dem „Regierenden“ Willy Brandt.

Dagegen geschnitten sind Bilder aus der friedliebenden, weil antifaschistischen und weltoffenen DDR: Studenten an der Universität, Buna-Werke Schkopau, Braunkohlen-Tagebau bei Leipzig, der Rostocker Hafen und eine Werft in Wismar, Dresden und das Elbsandsteingebirge. Aber auch die Grenzstation Marienborn: der Transitverkehr wird „gewissenhaft und korrekt“ kontrolliert. Denn alle Wege nach West-Berlin führen durch die DDR: „Westberlin ist eine Insel“.

West-Berliner Straßennamen sind Bekenntnisse: Die Clayallee und die John Foster-Dulles-Allee erinnern an US-Generäle, die West-Berlin zur „Frontstadt“ erklärt haben. Woran das Schild „Straße des 17. Juni“ erinnert, verschweigt der in der DDR nur „Ede“ genannte Schnitzler wohlweislich. Im „anderen“ Deutschland dagegen sind Gedenkstätten Bekenntnisse – wie das Sowjetische Ehrenmal in Treptow, das an den Blutzoll der Roten Armee bei der Befreiung von der Hitler-Diktatur erinnert. Nach historischen Aufnahmen vom Endkampf um die „Reichshauptstadt“ werden US-Soldaten gezeigt, die das Mahnmal betreten „wie Touristen“: ohne Ahnung von seiner geschichtlichen Bedeutung.

„Auferstanden aus Ruinen“: Mit der späteren DDR-Hymne unterlegt werden erste Aufbauaktivitäten der offiziell für ganz Deutschland zuständigen Sowjetischen Militäradministration (SMAD) gezeigt und kommentiert: Es geht darum, auf neue Art zu leben, „demokratisch und frei für ein neues Berlin, ein neues Deutschland“. Ende 1946 wird die erste Wahl unter alliierter Kontrolle abgehalten, ahistorisch collagiert mit Aufnahmen vom erst drei Jahre später abgehaltenen Vereinigungsparteitag von Kommunisten (KPD) und Sozialdemokraten (SPD) zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

Der erste noch gemeinsame Magistrat, der im „Neuen Stadthaus“ unweit des Alexanderplatzes tagt, wird bald gesprengt durch Politiker aus den drei West-Bezirken, die separat im Rathaus Schöneberg zusammenkommen und damit, so der Film-Kommentar, sowohl die Beschlüsse der Krimkonferenz im Februar 1945 in Jalta als auch die des Potsdamer Abkommens im August 1945 im Schloss Cecilienhof missachten. Sie setzen damit die Spaltungspolitik Konrad Adenauers fort: Bundeswehr- und Nato-Gründung, Aufrüstung und Einführung der D-Mark in West-Berlin als „Verschwörung gegen die Sowjetunion“.

„14 Jahre lang durfte Adenauer gegen die deutsche Nation regieren, zum Bundeskanzler gewählt von Großgrundbesitzern, von Militaristen, von Ostlandreitern, Faschisten, Monopolisten, Revanchisten“: Gesteuert u.a. von der Organisation Gehlen und vom RIAS kam es zu Sabotageaktionen u.a. gegen die Deutsche Reichsbahn und das Haus des Rundfunks. Und 1955 schließlich zur Ausarbeitung der „Operation Deco II“ des Bundeswehr-Generals Adolf Heusinger, einst Hitlers Generalstabschef, für die Nato.

Der blühende Schwarzhandel von Ost nach West (Plauener Spitzen, Meißner Porzellan, Uhren aus Glashütte, Kameras aus Jena) bedeutete einen enormen materiellen Verlust, von der medialen Beeinflussung durch Schundroman-Heftchen, gewaltverherrlichende Kinofilme und Sex-Zeitschriften ganz abgesehen: „Soviel politische Heuchelei und Verworfenheit, das muss zwangsläufig zum moralischen Verfall führen, einst hieß das Symbol des Niedergangs Chikago, heute heißt es Westberlin.“ Was zusätzlich durch Werbeanzeigen einschlägiger Clubs, Bars und Striptease-Lokale in Publikationen des Evang. Kirchentags im Juli 1961 belegt wird.

So war der von Walter Ulbricht kurz zuvor noch weit von sich gewiesene Bau der Berliner Mauer nur konsequent: „Am 13. August 1961 erfuhr der deutsche Imperialismus, hier ist kein Durchkommen mehr, hier sind die Grenzen seiner Macht, von hier geht seine endgültige Niederlage aus. Hier ist die DDR, in der zum ersten Mal in Deutschland der Frieden zum Regierungsprogramm erhoben ist.“

Noch vor der Präsentation beim Int. Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm im November 1962 lief „Schaut auf diese Stadt“ zum ersten Jahrestag des Baus der Berliner Mauer in den Kinos an (offizielle Uraufführung war am gleichen Tag im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz). Die 81-minütige polemische Montage von Karl Gass, der zunächst Wirtschaftsredakteur beim Nordwestdeutschen Rundfunk in Köln war, bevor er 1948 in die Sowjetische Besatzungszone Berlins zog und mit weit über 100 Filmen zum bedeutendsten politischen DDR-Dokumentaristen wurde, ist am 13. November 1962 im Deutschen Fernsehfunk erstausgestrahlt worden. Bemerkenswerterweise erhielt der Film, der auf Anweisung des Volksbildungs-Ministers Alfred Lemmitz in allen Oberstufen-Klassen sowie den Berufsschulen gezeigt werden musste, keine staatliche Auszeichnung, sondern nur das Prädikat „Künstlerisch besonders wertvoll“.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
2327 m, 86 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Kinostart (DD): 13.08.1962;
Aufführung (DD): November 1962, Leipzig, IFF

Titel

  • Originaltitel (DD) Schaut auf diese Stadt
  • Arbeitstitel (DD) Westberlin

Fassungen

Original

Länge:
2327 m, 86 min
Format:
35mm
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Kinostart (DD): 13.08.1962;
Aufführung (DD): November 1962, Leipzig, IFF