Neuer Zug auf alten Gleisen

Kurt Maetzig über die Ufa-Tradition und die DEFA-Gründung

  
Wenn wir damals in der ersten Nachkriegszeit über die Ufa sprachen, dann meinten wir die Ufa, wie sie uns besonders in den Kriegsjahren bis 1945 aus den Kinos bekannt war. In der jungen DEFA wollten wir eine deutliche Abgrenzung gegenüber dieser Ufa-Tradition, wie sie uns damals erschien.

Wir wollten geistig und künstlerisch einen Neuanfang. Uns bewegte eine strikt antifaschistische Haltung, wir strebten danach, auch mit der Filmkunst zur Demokratisierung beizutragen. Daß wir aber zugleich durch unsere eigene Vergangenheit verbunden waren mit alter deutscher, also auch mit Ufa-Tradition, ist uns damals viel weniger bewußt gewesen.

Unmittelbar nach dem Krieg war es für mich fast eine Selbstverständlichkeit, dort arbeiten zu wollen, wo die Chance eines radikalen Bruches mit der Entwicklung, die zum Faschismus geführt hatte, in praktischer Filmarbeit verwirklicht werden konnte. Das war hier im Osten. Es gab dafür hier anfangs einen großen Freiraum.

Meine ersten Filmarbeiten waren einige kleine Dokumentarfilme und besonders die Schaffung der Wochenschau "Der Augenzeuge". Dieser Anfang war logisch. Die technischen Voraussetzungen konnten in verhältnismäßig kurzer Zeit geschaffen werden, was beim Spielfilm viel schwieriger war und das Bedürfnis nach filmischer Information war sehr groß. Es gab ja noch kein Fernsehen, keine illustrierten Zeitungen, niemand wußte, wie es im Lande aussah. Es herrschte nicht nur körperlicher Hunger, sondern auch "Hunger nach Bildern". Die Chancen für eine Wochenschau waren also gut. Aber das sollte keine Neuauflage alter Wochenschauen sein, wir strebten eine Wochenschau neuer Art an, denn uns dröhnten noch die Siegesfanfaren, das hohle Pathos und die Lügenmeldungen in den Ohren.

Die Wochenschau bekam von Marion Keller und mir ihren Namen "Der Augenzeuge" und den Slogan "Sie sehen selbst — Sie hören selbst — urteilen Sie selbst". "Der Augenzeuge" sollte selbst der personifizierte Zuschauer werden. Schon sein Name war etwas anderer als "Die Deutsche Wochenschau" oder ähnliches. Er wollte sich inhaltlich und formal deutlich unterscheiden von dem, was den Zuschauern insbesondere in den Kriegsjahren vorgeführt worden war. Und dies bedeutete Abkehr vom Pathos, hin zu einer nicht suggestiven, eher etwas distanzierten, leiseren Bild- und Tonsprache und vor allen hin zum Appell an den Zuschauer, sich selbst von der Wahrheit zu überzeugen, nicht auf Parolen von oben zu hören. Das waren Dinge, die uns trennten von dem, was die Wochenschau in der Nazizeit gewesen war, die aber, wenn man es von jetzt aus sieht, auch in ebenso großem Widerspruch standen zu dem, was später, als die stalinistische Kulturpolitik zu greifen begann, aus diesem "Augenzeugen" gemacht worden ist.

Und doch gab es de facto Anknüpfung an Ufa-Traditionen. Sie zeigte sich zum Beispiel in den künstlerischen Ausdrucksmitteln meines ersten Spielfilms "Ehe im Schatten", die diesen Film trotz geistiger Distanzierung und trotz allen inhaltlichen Gegensatzes, in seinem Erscheinungsbild einem Ufa-Film ähnlich machten.

Die Distanzierung verstanden wir damals vor allem in zweierlei Richtung: Zum einen selbstverständlich von den Durchhalte- und militaristischen Filmen, die die Ufa in der Kriegszeit beigesteuert hat, zum anderen aber auch in Distanzierung von den vom realen gesellschaftlichen Leben abgehobenen, sogenannten reinen Unterhaltungsfilmen, deren Zweck in Ablenkung bestand. Uns schien es damals so, als hätten wir damals einen radikalen Bruch vollzogen. Doch in Wirklichkeit war das nicht so. Viele Traditionslinien, negativer und positiver Art sind mit eingeflossen und haben sich lange Zeit fortgesetzt.

Ich möchte es an einem Beispiel illustrieren: Mir wurde bald bewußt, daß zum Beispiel die Kameraarbeit in "Ehe im Schatten" idealisierend war. Die traditionelle Beleuchtung, die ein so erfahrener Kameramann wie Friedl Behn-Grund anwandte, um Personen ins Licht zu setzen (er galt als ein besonders guter Frauen-Fotograf, weil er die Frauen mit dem Licht verschönte), dieser Effekt der Glättung, der Verschönerung, war in der Tat nur eine Überschmierung von Widersprüchen und stand einer realistischen Filmkunst im Wege. Uns wurde allmählich bewußt, daß das, was wir "Ufa-Stil" nannten, immer mit Idealisierung, Überschminkung, Verfälschung der Lebenswirklichkeit zu tun hatte. Das waren Stilmittel der Schönmalerei, die eine illusionäre heile Welt vorspiegeln sollten.

Ich habe diese Art der Fotografie damals teils aus Unsicherheit, teils aus Rücksicht auf die Sehgewohnheiten der Zuschauer, die ich erreichen wollte, zugestimmt, aber schon bei meinem zweiten Film, "Die Buntkarierten", habe ich versucht, eine eigene Ausdruckssprache zu entwickeln. Sich von solchen Traditionen, auch wenn man sie nicht mag, zu lösen, ist gar nicht so leicht. Jahrzehnte habe ich noch im Studio gegen Schönfärberei durch Kostüm, Schminke, Puder und Perücke gekämpft.

Bekannt ist, daß Wolfgang Staudte beim ersten DEFA-Film, "Die Mörder sind unter uns", sogleich den Ausweg versuchte, durch bewußten Rückgriff auf expressionistische Traditionen der Filmkunst und der Malerei. Andere nahmen diese Arbeit auf dem Gebiet der Schauspielkunst in Angriff, denn auch dort gab es das, was man Ufa-Stil nannte. Das war eine bestimmte Sprachmodulation, ein "überhöhter", skandierender Ton, es mischt sich oft sehr viel wienerische Schauspielschule hinein. Auch die Schüler der Schauspielschule von Hilde Körber hatten etwas kunstvoll Künstliches in ihrer Sprache und Gestik, das ich ebenfalls zu den Stilmitteln der Ufa-Filme zählen möchte. Regisseure wie Erich Engel oder Slatan Dudow mühten sich sehr, diesen Stil zu überwinden.

Die Ufa-Tradition zeigte sich aber noch in einem anderen Gebiet, und zwar von einer ganz anderen Seite, nämlich der wirtschaftlich-organisatorischen Grundstruktur. Die Ufa — ich beschränke mich hier bewußt auf den Produktionssektor — war ein großer Filmproduktionsbetrieb mit eigenem großen Gelände, mit Ateliers und kompletter technischer Basis mit festen Angestellten, die über lange Zeit feste Stäbe bilden und auf diese Weise auch unterschiedliche künstlerische Handschriften entwickeln und pflegen konnten.
All dies haben wir eigentlich auch an gestrebt, ohne uns immer der Wurzel dieser Tradition bewußt zu werden.

Es gab bei der DEFA schließlich auch die Produktionsgruppen, wie sie bei der Ufa existierten. Diese Organisationsform empfanden wir als zweckmäßig, gut und bewahrenswert. Mir sträubten sich deshalb auch sogleich die Haare, als man unter dem Einfluß der stalinistischen Kulturpolitik begann, die DEFA übertrieben zu zentralisieren. In einem Aufsatz im Jahre 1956 trat ich für eine dezentralisierte Struktur mit Produktionsgruppen ein. Es findet sich der der Satz: "Wir haben im Sozialismus nicht das Recht, uns primitiver zu organisieren als dies im Kapitalismus bereits der Fall war." Wenn man diesen Artikel heute neu liest, dann spürt man, daß nicht nur DEFA und Filmbetrieb gemeint waren. In diesen Artikel wird prinzipiell die überzentralisierte Form einer primitiven Planwirtschaft kritisiert und der Versuch unternommen wenigstens auf dem Gebiet, auf das wir selbst Einfluß hatten, zu Strukturen zu kommen, wie sie die Ufa schon einmal entwickelt hatte.

Insgesamt glaube ich, daß die Organisationsstruktur des deutschen Films, so wie sie Ende der 20er Jahre beschaffen war, sehr zweckmäßig war. Sie hat sich auch über die Nazizeit hinweg konserviert. Die DEFA ist mehr oder weniger bewußt dieser Linie gefolgt. Ich meine damit insbesondere das Prinzip, eine technische Basis aufzubauen, bestehend aus Ateliers, Apparaturen und ganz besonders aus hochspezialisierten Fachleuten, die über Jahrzehnte einen der mehr als 50 Filmberufe ausgeübt und im gleichen Atelier gearbeitet haben. Die Effektivität einer Filmproduktion kann natürlich nicht ausschließlich oder auch nur erstrangig auf ökonomischem Gebiet gesucht werden, denn da es sich um eine Massenproduktion auf künstlerischem Gebiet handelt, muß die geistig-künstlerische Qualität und Produktivität den ersten Platz einnehmen. Und da ist eben die Produktionsstruktur solcher Großbetriebe, wie sie die Ufa entwickelt hat, wie sie aber auch bei der Tobis, Terra oder Bavaria anzutreffen war, sehr zweckmäßig. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß diese Organisationsform auch dirigistischem Zugriff, mag er vom Staat oder anderen Machtgruppen ausgeübt werden, leichter zugänglich ist. Wahrscheinlich war dies der Hauptgrund für die Zerstörung der Produktionsstruktur der DEFA nach 1990, obwohl diese unter der Behauptung zu geringerer Effektivität geführt wurde.

Jedenfalls kommt jetzt die Filmproduktion auf dem alten Ufa-DEFA-Gelände in Babelsberg viel mühevoller in Gang als nach 1945. Ich entsinne mich an ein Gespräch, das ich kurz nach dem Krieg, im Jahre 1946, mit Erich Pommer, dem ehemaligen Produktionschef der Ufa, führte, der aus Amerika als Filmoffizier herübergekommen war. Er sagte mir, daß er uns in der sowjetischen Zone dafür beneide, daß wir schon anfangen könnten zu produzieren. Er selbst hatte damals auch Pläne, in Deutschland wieder Filme herzustellen, meinte aber, dazu würde es wohl noch lange Zeit nicht kommen, denn die Amerikaner hätten noch Tausende von unausgewerteten Filmen, die sie erst einmal zeigen wollen, bevor hier an eine eigene Filmproduktion zu denken wäre.

Das hat sich aber ganz anders entwickelt, denn unter dem Einfluß der sehr schnell in Gang kommenden Filmproduktion in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone mußten die Westmächte nachziehen und vergaben sehr bald Produktionslizenzen. Aber zu der Zeit, als ich das Gespräch mit Pommer führte, war dies noch nicht abzusehen.

Die erklärte Absicht der Alliierten war 1945 die Zerschlagung aller großen, wichtigen Konzerne, darunter auch der Filmindustrie. Pommer sprach auch von den Problemen, die dieses Prinzip für die Filmindustrie mit sich brachte. In den Anfangsjahren wurde es nämlich im Westen ernster genommen als im Osten. Vielleicht ist der Gegensatz so zu erklären, daß man in den westlichen Ländern in erster Linie an die Zerschlagung der Produktionsformen gedacht hat, während im Osten die geistige Zerschlagung des Faschismus, die Überwindung von Militarismus, Rassismus, imperialistischer Denkungsart und Nazidiktatur Priorität hatte. Wahrscheinlich spielte aber hier auch schon bald die Rolle, daß sich ein Großbetrieb besser in den angestrebten zentralistisch-dirigistischen Staatsaufbau einpaßte.

Für mich war das Gespräch mit Pommer sehr aufschluß- und lehrreich. Ich erfaßte deutlicher, was es bedeutete, daß auch der Produktionschef der Ufa 1933 vor den Nazis flüchten und als Emigrant in den USA leben mußte, ja, daß er Ufa-Traditionen verkörperte, die in scharfem Kontrast zu dem standen, was die Ufa nach 1933 produzierte. Es war klar, daß uns mit diesem Antifaschisten vieles verband. Er selbst hatte auch keine Aversionen gegen uns und war ein gern gesehener Gast bei der Premiere des ersten DEFA-Spielfilms "Die Mörder sind unter uns".

Mein Spielfilmdebüt "Ehe im Schatten" knüpfte nicht nur stilistisch, wenn auch unbewußt, an Ufa-Traditionen an. Ich drehte den Film auch mit Filmkünstlern, Technikern und Handwerkern, die aus den alten Betrieben, darunter der Ufa, kamen. Woher sollten sie auch sonst kommen? Es gab damals einen enormen Run von Schauspielern, Regisseuren, Kameraleuten, Technikern und Filmhandwerkern auf die junge DEFA, denn sie war die erste Produktionsfirma, die nach den Kriegszerstörungen zu arbeiten begann. Man konnte also auswählen. Bei der Ausgrenzung derjenigen, die Handlanger der Nazis gewesen waren, beschränkten wir uns auf wenige Personen, hauptsächlich Autoren und Regisseure.

Das entsprach auch der allgemeinen Stimmung in Deutschland damals. Ich entsinne mich daran, wie Veit Harlan, der Regisseur von "Jud Süss" bei der Premiere von "Ehe im Schatten" im Hamburger Waterloo-Theater auftauchte und von empörten Zuschauern aus dem Saal gewiesen wurde. Mit ihm hätten wir ganz bestimmt nicht zusammengearbeitet. Es gab auch keinen Kriterienkatalog für politische Belastung. Wir haben im Einzelfall überlegt, ob man mit jemandem zusammenarbeiten kann, und wir haben es fast immer bejaht und weitherzig entschieden. Das ging so weit, daß ich zum Beispiel bei "Ehe im Schatten" mit dem Komponisten Wolfgang Zeller zusammenarbeitete, der die Musik zu ausgesprochen nazistischen Filmen gemacht hatte. Aber nun suchte auch er einen neuen Anfang, und er wurde ihm ermöglicht.

Wie die meisten Liegenschaften, Gebäude, Akten, Geräte der Ufa lag auch das zentrale Verwaltungsgebäude der Ufa in der Berliner Krausenstraße im sowjetischen Sektor. Es stand genau auf der Sektorengrenze, war also von beiden Seiten zugänglich. Neben der Ufa-Verwaltung waren dort auch technische Abteilungen, Schneideräume usw. untergebracht. In den ersten Monaten nach dem Kriege, als Vieles noch unklar und dies Gebäude auch noch nicht der DEFA als Verwaltungssitz zugewiesen worden war, haben Ufa-Leute aus dem Haus alles entfernt, was zu entfernen war, so daß nur ganz wenige Reste in diesem, zum großen Teil zerstörten Gebäude zurückblieben.

Als die DEFA bereits eingezogen war, kamen dann diese Leute nochmals und sagten, es gäbe im Keller einen Tresor. Das war ein Raum von der Größe mehrerer Zimmer. Dort lagerten Ufa-Akten, die man in die Westsektoren mitnehmen wollte. Sie wiesen sich durch den Besitz der Tresorschlüssel aus. Wir ließen sie herein und sie nahmen die Akten mit. Das war damals möglich, denn Berlin war noch eine Einheit. Die Konfrontation kam später.

 

Rechtsstatus