Das Queer Cinema und die Bedeutung lesbisch-schwuler Filmfestivals

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Monika Treut im Interview mit Skadi Loist

Monika Treut ist queere Filmemacherin der ersten Stunde und als bekennende Wahlhamburgerin langjährige Freundin der Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg (LSF). Mit ihren bahnbrechenden, bisweilen kontrovers aufgenommenen Filmen hat sie die Welt der Filmfestivals bereist. Sie hat ihre Filme auf den LSF präsentiert, Filmemacher/innen und Gäste wie Susie Bright und Elle Flanders in Filmtalks vorgestellt und die 19. Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg eröffnet. Wer wäre also besser geeignet, um über Geschichte, Trends, Entwicklungen und Zukunft des queeren Kinos und die Bedeutung LesBiSchwuler Filmfestivals zu reden?

Skadi Loist: Monika, die Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg werden 20. Das ist doch ein guter Grund, mit dir über die Geschichte des queeren Films und LesBiSchwuler Festivals zu reden. Die LSF fanden das erste Mal im Sommer 1990 statt. Deine eigene Beziehung zum queeren Film und zu queeren Filmfestivals geht aber noch weiter zurück. Was sind deine Erinnerungen an die frühe Zeit des queeren Kinos und der LesBiSchwulen Festivals?

Monika Treut: 1985, also vor fast einem Vierteljahrhundert, habe ich die amerikanischen Festivals mit dem Film "Verführung: Die grausame Frau" zum ersten Mal betourt: Frameline in San Francisco, den Vorläufer von Outfest in L. A. – was damals noch Los Angeles Lesbian and Gay Film Festival hieß – und das New York Gay Film Festival (den Vorgänger vom heutigen NewFest, dem New York LGBT Film Festival).

Die queeren amerikanischen Festivals haben mich damals sehr ermutigt, bestärkt und aufgebaut. Denn in Deutschland gab es noch viel Unverständnis. Das Spiel um sadomasochistische Phantasien, eine lesbische Domina als Hauptfigur, passte noch nicht ins deutsche Kulturklima der 1980er Jahre.

Die Regisseurin und Kamerafrau Elfi Mikesch, meine damalige Partnerin, und ich haben "Verführung: Die grausame Frau" zusammen produziert, Koregie gemacht und auch das Drehbuch zusammen geschrieben. Wir sind in Deutschland für den Film heftig kritisiert worden und hatten eine skandalumwobene Premiere auf der Berlinale – damals noch im Forum, weil das Panorama noch nicht existierte –, wir wurden richtig abgeschlachtet. Es gab ein Massen-walkout, der Film war ausverkauft im Delphi Filmpalast, und es kamen dann immer noch Leute, die vorher keine Tickets gekriegt hatten, rein, wenn andere rausgingen. Es war sehr turbulent, und dann gab es eine sehr aggressive Diskussion. Das war für Elfi undmich schon sehr schwierig. Die deutschen Teilnehmer/innen der Berlinale haben uns gemieden, wir waren das "Duo Infernale", und es war auch erst mal kein Verleih in Sicht. Wir wurden komplett geschnitten, auch von der deutschen Presse, aber plötzlich kamen zwei Journalistenvon der traditionsreichen amerikanischen queeren Zeitschrift "The Advocate" auf uns zu und meinten: "Super Film! Hat uns sehr gefallen. Wir haben auch schon einen positiven Artikel geschrieben, der Film wird sicherlich auf viele Festivals eingeladen." – "Ach so, ja?", dachten wir. Wir waren ja ein bisschen naiv damals, wir hatten einfach den Film gemacht, den wir machen wollten, und gar keine Zeit gehabt, uns Gedanken zu machen, wer denn die Zielgruppe ist.

Tatsächlich regnete es internationale Festival Einladungen, auch Toronto, Montreal, Kapstadt, Sydney, Edinburgh zeigten ihn. Aber die enthusiastischsten waren die gay & lesbian festivals in den USA. Zuerst ging es nach L. A., und bei der Queer Community dort war der Film plötzlich zu Hause und wurde direkt verstanden. Frameline in San Francisco war unmittelbar danach. Auch dort eine vollkommen andere Aufnahme von "Verführung" als in Deutschland. Der Camp-Aspekt kam an, der Film wurde nicht tierisch ernst genommen. Der schwule Kritiker der L.A. Times schrieb: "Sacher-Masoch meets Andy Warhol."

Man könnte also sagen, dass euer Film für Deutschland seiner Zeit 5 bis 10 Jahre voraus war, während er inden USA gut ankam. In Deutschland gab es erst 1987 auf der Berlinale den Teddy, den ersten schwul-lesbischen Filmpreis. Das war für euren Film zwei Jahre zu spät.

Als Manfred [Salzgeber] dann seine Panorama-Schienezusammen mit Wieland [Speck] aufgebaut hat, veränderte sich das Klima so ganz langsam auch hier. Aber für 1985 waren wir noch viel zu shocking.

"Verführung: Die grausame Frau" war ein großer Erfolg in den USA, und ein paar Jahre später kamen dann noch zwei Filme. 1988 ist "Die Jungfrauenmaschine" entstanden, gefolgt 1991 von "My Father is Coming". Diese Filme, teilweise in den USA gedreht, haben eine bestimmte queere Subkultur nach Deutschland transportiert. Hat das funktioniert?

Die Uraufführung von "Die Jungfrauenmaschine" beim Festival in Hof im Herbst 1988 war im Grunde eine Wiederholung des Berlinale-Erlebnisses mit "Verführung: Die grausame Frau". "Die Jungfrauenmaschine" hatte schon Festivaleinladungen nach San Francisco, nach Toronto, nach Montreal bekommen. Der deutsche Verleih des Films wollte gerne eine Uraufführung in Hof haben, und der Festivaldirektor, der bewährte Heinz Badewitz, platzierte "Die Jungfrauenmaschine" auf dem prominentesten Platz: Samstagabend 20 Uhr im großen Kino. Ich ahnte schon, dass das nicht gut geht, dass das Hofer Publikum – deutsche Kinomacher und Verleiher – nicht das Zielpublikum ist. Sie sind dann auch unter großem Protestgeschrei rausmarschiert und riefen: "Das ist der schlechteste deutsche Film, den wir je gesehen haben!" Am Ende kam Heinz Badewitz unerschrocken mit riesigen Blumensträußen auf die Bühne und versuchte den Bayerischen Rundfunk daran zu hindern, die leeren Stuhlreihen zufilmen. Es gab wütende Kritiken. Unter anderem schrieb ein Kritiker in der Zeit: " 'Die Jungfrauenmaschine' vernichtet das Kino." Es sprang dann noch der deutsche Verleih ab, und ich wollte nur noch weg aus Deutschland.

Währenddessen hatten sich in den USA mehrere Verleiher um "Die Jungfrauenmaschine" gerissen. Ich konnte also auswählen, wen ich nehme. "Die Jungfrauenmaschine" kam super gut an. Auch in Toronto, er war dort Eröffnungsfilm der Internationalen Reihe. Dann habe ich gedacht: "So, jetzt gehe ich nach Amerika!", und habe mir eine Wohnung in New York gesucht und dort das Dehbuch für "My Father is Coming" geschrieben. Auch im Nachhinein war das eine gute Entscheidung. Ich hab dann von 1989 bis1992 in New York gelebt und dort zwei Filme gemacht.

Und in der Zeit, als du dann hauptsächlich in den USA lebtest, warst du da zwischendurch auch immer mal wieder in Hamburg?

Nur zur Erholung.

Und hast du da irgendwas mitgekriegt von den Anfängen der Lesbisch Schwulen Filmtage?

Nicht wirklich. Ich war ja nur im Sommer, wenn es zu heiß und stressig in New York wurde, sozusagen zur Kur in Hamburg. Im Herbst bin ich wieder zurück nach New York. Ich hab tatsächlich die Anfänge der Lesbisch Schwulen Filmtage nicht mitbekommen.

1993 warst du dann aber dabei. Zwei Teile aus der Kompilation "Female Misbehaviour" – "Dr. Paglia" und "Max" – sind bei den LSF gelaufen. "Max" lief in der Reihe zum Schwerpunktthema Transsexualität, "Dr. Paglia" vor der Filmperformance "All Girl Action" von Susie "Sexpert" Bright. In dieser und einer weiteren Show ("How to Read a Dirty Movie") hast du Susie Bright vorgestellt und mit Übersetzung unterstützt.

Ich erinnere mich noch, dass es da ziemlich heftige Diskussionen gab. Susie zeigte und kommentierte ihre Diashow über Pornographie. Und mischte darin Beispiele aus lesbischer, schwuler und heterosexueller Pornographie. Susie hat das in ihrer amerikanischen Art unterhaltsam und witzig präsentiert, und ich glaube, dass das deutsche Lesbenpublikum damals noch nicht vorbereitet war, Pornographie mit Witz und Humor zu verbinden.

Zwei Jahre später, 1995, hast du bei den LSF wieder geholfen. Du hast die amerikanische Filmemacherin Michelle Handelman und ihren Film "Bloodsisters", über die lesbische S/M- und Leder-Community, vorgestellt.

Mit Michelle und einigen ihrer Protagonist/innen hatte ich mich in San Francisco angefreundet. Das war ein sehr schöner Abend im Alabama-Kino, Michelle hat ihn damals auch sehr genossen.

Nach deinen Spielfilmen Anfang der 1990er hast du eine Reihe von Dokumentarfilmen gemacht, die sich mit devianter Sexualität und Identitäten auseinandersetzen."Didn’t Do It for Love" über Eva Norvind. Einige Jahre später, 1999, kam dann dein Dokumentarfilm "Gendernauts" raus, der zu einem absoluten Klassiker geworden ist und auch heute noch gern von Queer-Theory-Studierenden geguckt wird.

Nicht nur von denen. Ich bekomme immer noch Briefe von Trans-Menschen aus allen möglichen Ländern, denen "Gendernauts" geholfen hat, sich in ihrem Leben zu orientieren. Es war auch ein großes Vergnügen, diesen Film zu drehen. Die Gendernauten sind von selbst auf mich zugegangen – ich musste als Filmemacherin nicht um ihr Vertrauen betteln, sondern durch den Kurzfilm "Max" hatte ich bereits ihr Vertrauen und ihre Zuneigung gewonnen.

Fünf Jahre nachdem bei den LSF 1993 Transsexualität thematisiert wurde, war Transsexualität/Transgender erneut ein Schwerpunkt des Festivals. Es waren z. B Hans Scheirl mit "Dandy Dust" und Kristiene Clarke mit einem Filmprogramm, u. a. mit "Sex Change, Shock! Horror! Probe!", zu Besuch. Im selben Jahr lief auch "The Brandon Teena Story" auf der Berlinale und den LSF. Ein Jahr später, 1999, erschien "Boys Don’t Cry", für den Hilary Swank einen Oscar bekam. In diesen Zeitraum fällt auch "Gendernauts". War dieses Thema gerade im Mainstream angekommen?

Transsexualität lag damals in Amerika sehr stark in der Luft, und hierzulande wurde es dann vonFestivals wie eurem – da ihr auch immer schon avantgardistisch wart – schon recht früh aufgenommen. Wobei "Gendernauts" noch einen Schritt weiter gegangen ist. Im Film wird ja der Aspekt von "transgender" thematisiert, also nicht nur das Überwechseln von der einen Gender- Identität in die andere, sondern es geht auch um die große Bandbreite des Dazwischen, also sich zwischen den Polen männlich und weiblich zu bewegen. Außerdem weist der Film, ohne die Schwierigkeiten der Veränderungen zu leugnen, auf geglückte Formen von Transgender-Identität hin, er zeigt auch eine Utopie auf. Anfang der 1990er Jahre war das Wissen noch viel weniger ausgeprägt.

Als wir 1992 den Kurzfilm "Max" drehten, war das eins der ersten Porträts eines "female-to-male"-Transsexuellen (FTM). Für mich war das alles auch noch neu. Annie Sprinkle, die damals noch in New York lebte und einmal im Monat in ihrem "Sprinkle-Salon" eine Unterstützer-Gruppe für FMTs organisierte, lud mich ein. Für mich war das sehr faszinierend, FMTs und ihre Angehörigen kennen zu lernen und ihre Geschichten zu erfahren. Es war schon mindblowing, diese bärtigen, muskulösen Transmänner zu erleben und zu erfahren, dass keiner von ihnen als Mann geboren war. Max kannte ich schon aus San Francisco, als er noch eine Lesbe war und Anita hieß. Und dann erzählten mir Freundinnen aus San Francisco: "Weißt du, was Anita jetzt macht?" Das war so in derselben Zeit. Dann hab ich mit Anita/Max telefoniert. Da war Max so in der ersten Phase, und ich habe ihn eingeladen, nach New York zu kommen und seine Veränderungen filmisch zu dokumentieren. Das war für mich auch ein spannender Lernprozess. (Max hat übrigens vor drei Jahren ein fantastisches Buch über seine Transformation veröffentlicht, "The Testosterone Files: My Hormonal and Social Transformation from Female to Male".

Nachdem deine früheren Filme meist ihrer Zeit voraus waren – in einem Interview mit Tobias Nagl hast du mal gesagt, deine Filme verhalten sich eben "antizyklisch zum Zeitgeist" –, könnte man jetzt provokant sagen, mit "Gendernauts" war dein Schaffen mal zeitgleich mit der Diskussion zusammengekommen. Ist deswegen dann so etwas wie eine Pause in der queeren Thematik in deiner Arbeit entstanden? Oder war das Zufall?

Das hatte mehrere Gründe. Zum einen hatte ich das Gefühl, durch die lange intensive Beschäftigung mit Transgender-Identitäten war mein Bedürfnis nach Auseinandersetzung erst mal gesättigt. Zum anderen war ich im selben Jahr auf einer längeren Festival-Tournee mit "Gendernauts",außer bei den queeren Festivals von Turin, São Paulo, Frameline in San Francisco und Outfest in L.A. unter anderen bei den internationalen Filmfestivals wie Vancouver und The Hamptons. Die Erfahrungen auf der Reise haben mich in eine neue Richtung blicken lassen.

1999 war auch das Jahr der digitalen Revolution. Es gab überall Workshops über digitales Kino. "The Blair Witch Project" war im selben Jahr rausgekommen, und viele Filmemacher fingen plötzlich an, mit kleinen Digitalkameras zu arbeiten, und hofften, sie machen jetzt das nächste "Blair Witch Project" für 10.000 Dollar und nehmen dann 20 Millionen ein. Überall blitzten die Dollarzeichen in den Augen. Die Festivals kommerzialisierten sich, es war auch der Beginn der Finanz- und Immobilienblase. Die Mieten in Kalifornien und New York stiegen. Ich habe die Zeichen der Zeit da schon ein bisschen gesehen, als Vorschein von dem, was sich jetzt erst im letzten Herbst (2008) in der Finanzkrise entladen hat. Da habe ich noch mal so eine Art linke Politisierung erfahren.

Und genau zu dieser Zeit lernte ich über eine gemeinsame Freundin in New York die brasilianische Menschenrechtlerin Yvonne Bezerra de Mello kennen, die ein bahnbrechendes Projekt mit Straßenkindern in den Slums von Rio de Janeiro initiiert hatte und mich einlud, darüber eine Dokumentation zu machen. Glücklicherweise konnte ich sofort nach Brasilien reisen, weil Mix Brasil mich zu einer Retrospektive einflog, sodass ich einen Abstecher nach Rio machen konnte und Yvonnes Projekt, Projeto Uere, vor Ort anschauen konnte. Projeto Uere hat mich so überzeugt, dass ich es dokumentieren wollte. Dann habe ich in Rio ausgiebig recherchiert, und 2000/2001 haben wir daraus "Kriegerin des Lichts" gemacht. Einen Film, auf den ich besonders stolz bin, denn er hat viel Unterstützung für Projeto Uere mobilisiert und mitgeholfen, dass das Projekt weiterhin Hunderten von Kindern eine Lebensperspektive geben kann. Ich bin auch immer noch mit dem Projekt verbunden und habe eine Patentochter dort.

Nach Brasilien beginnt dann ein neuer thematischer Abschnitt in deinem Filmschaffen, die Faszination für Taiwan. Es entstehen zwei Dokumentarfilme: "Made in Taiwan", eine Fernsehdoku für die 3sat-Reihe "Mädchengeschichten", und "Den Tigerfrauen wachsen Flügel".

Wie oft bei mir, ist diese neue Perspektive durch eine Filmfestivalreise inspiriert worden: eine Einladung nach Taiwan zum Women Make Waves Festival, das 2002 eine Retrospektive meiner Filme zeigte. Es waren faszinierende zehn Tage, in denen ich sehr viel erlebt und viel über diese mir bis dahin weitgehend unbekannte Kultur gelernt habe. Am Ende meines Aufenthalts hat mir der dortige einzig öffentlich-rechtliche Fernsehsender angeboten, für ihn einen Dokumentarfilm über Taiwan sozusagen mit den Augen einer Fremden zu machen.

Wie kam es dann, dass du mit diesen neu gefundenen Taiwanwurzeln dann doch wieder den Bogen zurückgeschlagen hast zu queeren Themen – zuletzt mit deinem aktuellen Spielfilm "Ghosted", der zwischen Hamburg und Taipeh spielt? Kam da sozusagen Monika Treuts queerer Kern doch wieder durch?

Tja, vielleicht in meiner Identifikation mit Taiwan, mit einem Land, das um seine Identität kämpft im Schatten des großen China. Und einer Kultur, die in Aufbruchstimmung und in ständiger Veränderung begriffen ist. Die traditionelle taiwanische Kultur ist konfuzianisch und familienorientiert. Da gibt es große Spannungen. Und dieser Reibungspunkt ist sehr interessant. Du findest dort extreme Gegensätze, findest eine richtig gute Queer Community, du findest auch Lesbenbars in Taipeh – also sogar drei, mehr als in Hamburg sozusagen. Dann hast du aber das andere Extrem, dass die Lesben und Schwulen nicht geoutet sind den eigenen Familien gegenüber. Sodass wirklich Parallelwelten existieren, obwohl es in der gesellschaftlichen Realität eigentlich sehr offen ist. Es gibt in Taiwan als einem der ganz wenigen Länder in Asien eine Gay Parade, wo auch der Bürgermeister mitmacht.

Wenn du jetzt noch mal rückblickend in einem größeren Bild sagen solltest, was die Tendenzen des Queer Cinema gewesen sind, was ist dir aufgefallen, was fandest du spannend, was war eher schwierig?

Die Entwicklung hat sich über die Zeit und die Zeittendenzen immer wieder geändert, was ja auch schön ist. Ich fand die queeren Filmfestivals z. B. als Ausdruck einer Bewegung immer besonders spannend, wenn sie auch eine Mission hatten. Z. B. in der Zeit, als in Amerika das Bewusstsein für HIV stärker nach vorne kam, hatte das auch eine viel stärkere Politisierung für das Queer Cinema zur Folge, und es war im Grunde auch eine Plattform, um politische Veränderungen nach vorne zu treiben. In solchen Zeiten, wo sich quasi der politische Zeitgeist und die befreiende Seite der Queer-Bewegung stärker berühren, finde ich meistens auch die Produktionen interessanter und lebendiger. Im Austausch zwischen Zuschauer/innen und Filmemacher/innen passiert einfach mehr, da werden mehr Kontakte geknüpft, da geht’s vom Filmscreening dann auch wieder weiter in andere Bereiche. Und ich denke mal, dass es für jedes Land natürlich einen anderen Rhythmus gibt, aber in einer gewissen Weise ist es eigentlich in allen Ländern und Kulturen ähnlich. Je stärker Queer Cinema an einen politischen Zeitgeist angebunden ist, desto spannender sind eigentlich auch die Filme und die Festivals. Wenn es nur darum geht, Nabelschau zu betreiben, finde ich es nicht so interessant.

Könntest du da einige Beispiele nennen, an die du dich erinnerst?

Ich denke an die Zeit Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Ende der 1980er ist in Amerika das Bewusstsein um HIV richtig nach vorne gekommen. Das fingdurch die Filme schon früher an, z. B. "Parting Glances" etc. Da waren die Filme wirklich Medien, um sich zu verständigen, um Schmerz auszuleben, gemeinsam zu trauern, neue Konzepte zu entwickeln. Das war besonders stark in der Zeit in New York, als ACT UP sich gebildet hat. Das waren eigentlich die berührendsten Festivals und auch, das war ja in Amerika immer ganz schön, dieses Angebundensein an den Gay Pride March. Ich bin ja nicht jemand, der nahe am Wasser gebaut ist, aber ich stand im Village und hab Rotz und Wasser geheult. Gay Pride war ein Schweigemarsch von HIV-Infizierten, den Freunden, zum Teil auch den Eltern, die sich zum ersten Mal richtig zu ihren Kindern bekannt haben. Ein bewegendes Manifest gegen die finsteren Jahre der Reagan-Politik, die ja absolut nichts getan hat, um etwas zu verändern. Eine Demonstration, die sagte: "Wir sind viele, und wir nehmen das nicht hin, was uns hier geboten wird!" Das war sehr beeindruckend; das werde ich nie vergessen, ich habe in der Zeit ja auch viele Freunde verloren.

Was ist seitdem passiert?

Aus meinem eingeschränkten Blickwinkel kam mir das Jahr 1999 wie ein Spaßjahr vor, vor allem in Los Angeles. 1999 fand ich schon fast, dass die Filme zu harmlos wurden. Viele romantische Komödien und dating movies, auch grade bei den schwulen Filmemachern. Da gab es einen Abschlussfilm vom Outfest. Das war eine schwule Dating - Komödie, die war bei den Männern sehr populär, und ich erinnere mich noch daran, dass ich mit meiner alten Freundin Greta Schiller im Anschluss auf der Abschlussparty war. Greta und ich kommen also dahin und denken: "Huch, was ist denn hier los?" Es waren nur Hunderte von schwulen Männern da, und wir haben dann mit Mühe und Not noch irgendwo am Rande zwei Tischchen mit Frauen entdeckt. Das war sehr eigenartig, dass es auch gendermäßig total separat auseinanderlief. Und das fanden wir beide nicht so richtig gut. Ich würde das mit Schlagworten benennen wie Kommerzialisierung, Entpolitisierung und Gusto-Filme.

Meinst du, wir sind immer noch in dieser Phase drin, oder tut sich was?

Ich denke, wir haben jetzt auf jeden Fall eine größere Vielfalt und viel mehr Produkte. Das ist ja immer zu begrüßen. Wir haben jetzt eigentlich mehr von allem. Wir haben mehr unterhaltsame Filme, kommerzielle Filme, experimentelle Filme, wir haben auch eine Differenzierung unter den Dokumentarfilmen mit viel größerer Themenvielfalt, wenn man das vergleicht mit den Anfängen von vor 25 Jahren.

Zum 15. Jubiläum der LSF 2004 gab es eine Podiumsdiskussion zum Thema "Was wird aus dem Queer Cinema im 21. Jahrhundert?", an der – neben Filmemacher Jochen Hick, LSF-Programmer Joachim Post, Filmjournalist Axel Schock, Björn Koll von Edition Salzgeber und Moderatorin Manuela Kay – auch du beteiligt warst. Die Zukunftsprognosen fielen damals eher negativ aus. Was würdest du heute zur Zukunft des Queer Cinema sagen?

Wo wir hingehen, das kann ich dir nicht sagen. Also ich wünsche mir immer noch eine andere Politisierung. Ich wünsche mir auch ein bisschen mehr Wissen der Zuschauer/innen über Vertriebswege und über die Produktionsweisen. Das ist ja auch schon viel besser geworden, und da habt ihr beim Festival hier auch eine ganz tolle und wichtige Rolle, indem ihr auch Workshops macht und Publikumsgespräche. Davon kann es eigentlich nicht genug geben. Das ist in Amerika stärker ausgeprägt, dass die Leute mehr Bescheid wissen, was Produktion ist. In Deutschland wundere ich mich oft, wie wenig Ahnung das Publikum darüber hat, wie Filme hergestellt werden, wie ein Film ins Kino kommt oder was es bedeutet, wenn ein Mainstreamfilm mit 500 Kopien ins Kino kommt, im Gegensatz zu einem Independentfilm, der vielleicht mit 10 Kopien anläuft. Wie Kinos gebucht werden, wie Artikel in Zeitungen kommen, wie Anzeigen geschaltet werden, also dieser ganze Apparat. Da ist in Deutschland relativ wenig Wissen vorhanden.

Ich finde es wichtig, eine bewusste Konsumentenhaltung zu haben. Da berührt sich der Filmbereich mit dem allgemeinen Bereich, wie man sich in der Gesellschaft verhält. Dass man Bescheid weiß, wo das Essen herkommt, wo die Filme herkommen. O.k., natürlich kann man heute Filme aus dem Internet runterladen, man kann auch die Piratenpartei mal fragen, wie sie das Copyright behandeln, ob es nicht zu Lasten der Künstler/innen geht, wenn sie Filme zum freien Download anbieten. Ich finde es auch wichtig zu wissen, was z. B. unsere Fernsehanstalten für eine Rolle spielen, und sie zu erinnern an ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag. Es wäre schön, wenn das zum Allgemeinwissen gehören würde, und das wird in Deutschland noch eher als Spezialwissen behandelt.

Zum Abschluss eine Frage, die du wahrscheinlich schon 20 Jahre lang gehört hast. Brauchen wir heute noch queere Filmfestivals?

Ich denke, zurzeit mehr denn je sogar. Vor allem in Ländern, in denen Homosexuelle immer noch verfolgt werden, wie Indonesien, wo das Q! Film Festival eine sehr mutige Arbeit macht. Das ist ein ganz anderes wichtiges Thema. Aber auch bei uns, in unseren so genannten freiheitlich - westlichen Demokratien, brauchen wir heute immer noch queere Filmfestivals. Das hängt mit anderen unschönen Dingen zusammen. Z. B., dass auch in unserem Land die Programmkinos immer weniger werden, dass die Vertriebswege komplizierter werden, dass wir eine Monokulturhaben im Unterhaltungsindustriebereich und dass bestimmte Produkte eben ohne solche Orte, die da geschaffen werden, gar kein Publikum, also keine Öffentlichkeit mehr finden. Ich denke, das liegt tatsächlich im Bereich Stichwort Kinosterben, Stichwort Kommerzialisierung und Mainstreamisierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Es ist extrem wichtig, wieder Filme zeigen zu können, die in diesen kommerzialisierten Schienen keinen Ort finden. Das ist das eine. Und das andere, was ja auch zurückgeht in der Konsumentenkultur, die wir haben, ist der gemeinsame Austausch. Die Leute sitzen am Computer und gucken sich da ihre DVDs an, die Vereinzelung also von der Rezeptionsseite, die schreitet ja auch unglaublich voran. Und diese lebendigen Orte von Öffentlichkeit, Austausch, Diskussion, Kennenlernen, Netzwerke bilden, das ist ein ganz wichtiger Faktor. Den können im Filmbereich heutzutage fast nur noch Festivals bieten. Von daher finde ich queere Festivals extrem wichtig.

Das ist sicher trotz voranschreitender DVD-Vermarktung wirklich der Punkt: dass Leute den Austausch aktiv suchen.

Ja. Also das habe ich grade bei eurem Festival wieder erlebt. Da habt ihr auch ganz tolle Arbeit geleistet. Das LSF ist ja wirklich ein wunderbares Publikumsfestival, das für viele ein Highlight des Jahres ist. Es gibt ja sogar etliche Zuschauer/innen, die sich jedes Jahr eine Woche frei nehmen, um euer Festival voll genießen zu können. Das ist wirklich grandios. Ein größeres Kompliment kann man eurem Festival eigentlich gar nicht machen.

Quelle: Dorothée von Diepenbroick & Skadi Loist (Hrsg.): bild:schön. 20 Jahre Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg. Hamburg: Männerschwarm Verlag, 2009.

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