Elementarteilchen

Deutschland 2005/2006 Spielfilm

Frauen sind lieb

Oskar Roehlers Verfilmung von Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" will die Männer trösten



Jens Jessen, DIE ZEIT, 16.02.2006

Noch bevor Oskar Roehlers Verfilmung der "Elementarteilchen" überhaupt zu sehen war, meinten schon die ersten Kritiker, er werde Michel Houellebecqs berühmten Roman gewiss gründlich verfehlen, weil er auf Druck des Produzenten der todtraurigen Geschichte ein Happy End verpasst habe. Davon kann jedoch keine Rede sein. Oskar Roehler hat dem Buch kein Happy End verpasst, er hat es von Anfang an als Geschichte des Trostes inszeniert. Von Houellebecqs provozierender These, dass Sex die Quelle aller Aggression sei und erotische Beziehungen das Schlechteste aus den Menschen herauskitzeln, weshalb es besser sei, ihre Fortpflanzung gentechnisch zu organisieren, sind in dem Film nur noch einige unverständliche Zitate geblieben.

Daraus kann man dem Regisseur jedoch keinen Vorwurf machen. Roehler will den Kulturpessimismus Houellebecqs gar nicht plausibel machen, er will ihn widerlegen. Er übernimmt zwar die Lebensgeschichte der Brüder Michael (Christian Ulmen) und Bruno (Moritz Bleibtreu), die von der Liebe und den Frauen nichts Gutes mehr erwarten, nachdem ihre Mutter sie als Kinder im Stich ließ, um sich in wechselnden Hippie-Kommunen zu vergnügen. Er steigert diese Mutter (Nina Hoss) sogar zu einer Schlampe von geradezu satanischer Größe; doch die Kulturkritik, die er daran knüpft, richtet sich nur gegen die schein-emanzipatorischen, in Wahrheit egoistischen Ideale der 68er. Houellebecqs polemische Pointe bestand aber darin, dass sich die uranfängliche Liebesenttäuschung der Brüder im Laufe des Buches als völlig zutreffendes Indiz für den allgemeinen Weltzustand erweist. Bruno und Michel sind unglücklich, gehemmt und verzweifelt auf der Suche nach Liebe – aber sie können die Liebe gar nicht finden. Es gibt keine Therapie. Ihr Unglück ist der Vorschein der Wahrheit.

Der Plot, den Oskar Roehler verfilmt, lautet dagegen: Zwei unglückliche und peinlich gehemmte Männer suchen verzweifelt die Liebe – und finden sie auch! Nur in ihrer Verblendung (in einer wahrscheinlich durch übermäßige Houellebecq-Lektüre ausgelösten Verblendung) fühlten sie sich als Verlierer auf dem erotischen Markt. Doch zeigt sich, dass der gefürchtete Sex ohne Liebe nur eine Mode ihrer Kindheit war. Auch die Frauen sind längst wieder besser als ihr Ruf! Jedenfalls sind sie viel besser als die Mütter, die sich im Rausch der Selbstbefreiungs- und Selbstverwirklichungsobsessionen aller Herzenswärme entschlagen haben.

Davon handelt Roehlers Film: Wie man den Erbfluch der 68er loswerden und eine stabile Zweierbeziehung aufbauen kann. Das gelingt Michael besser, der sich nach langem Zögern von seiner Kinderliebe (Franka Potente) erobern lässt, als Bruno, der sich von einer ebenfalls endlich gefundenen Freundin (Martina Gedeck) in die Welt der Swinger-Glubs entführen lässt. Denn diese Freundin wird bald sehr krank, weil sich unter ihrem Steißbein eine Nekrose gebildet hat (wahrscheinlich durch übermäßigen A-tergo-Verkehr in besagten Clubs), sie stürzt sich am Ende sogar aus dem Fenster. Und warum? Weil Bruno zu spät angerufen hat! Weil er seine Verantwortung nicht rechtzeitig eingesehen hat. Weil er in tragischer Verkehrung von Unglücksursache und Wirkung noch einmal Sex ohne Liebe gesucht hat.

So endet Bruno in der Psychiatrie, wo er seiner knapp verpassten Lebenschance hinterherfantasiert. Trotzdem hat auch er den Vorschein des Glücks gesehen und den Verdacht eines metaphysischen Unheilszusammenhangs widerlegt. Oskar Roehler, der sonst in seinen Filmen ein Meister der Vergrößerung ins Übermenschliche ist, zeigt sich hier als Meister der Verkleinerung ins Private. Von dem kosmischen Unglück Houellebecqs bleibt nur ein Unglücksfall.

© Jens Jessen

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