Die Frau und der Fremde

DDR 1984 Spielfilm

Die Legende von einer verlorenen und gewonnenen Identität


Fred Gehler, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 3, 1985

Die Substanz der von Leonhard Frank 1926 geschriebenen Erzählung "Karl und Anna" braucht sicher keine neuen Fürsprecher. Zitieren wir aus dem Lob eines Zeitgenossen: Alfred Polgar hielt Franks Geschichte für ein "von zartestem Gefühl durchatmetes Meisterwerk, in dem die Liebe als Urgewalt auf den Plan tritt, mit ihrem geheimnisvollen Übersinn den Sinn menschlicher Beziehungen verwirrend".

Eine erneute Lektüre bestätigt die schier ideale Synthese von linearer Fabel, schlicht und einfach strukturiert, mit dem sinnfälligen Gleichnis, der großen existentiellen Metapher. Eine schöne und produktive Herausforderung gerade für das Medium Film. Rainer Simon hat ohne Vorbehalte und Einschränkungen diese Herausforderung voll angenommen. Mit wenigen Zusätzen – das Ausmalen des Umfeldes, das knappe Skizzieren des Schicksals eines Kriegskrüppels –, ansonsten voller Vertrauen auf das psychologische Kammerspiel, auf die vorgegebenen Verhaltensweisen, auf das Unerhörte, das unglaubliche Ereignis. (…)

Nach der stilistischen "tour force" des "Luftschiffs" hat sich diesmal Rainer Simon selbst in die Disziplin genommen. Er setzt Metaphern behutsamer, sparsamer auch, und bringt sie gerade dadurch zu überzeugender Wirkung, so den visuell faszinierenden Auftakt: Zwei in einer leeren, steppenartigen Landschaft. Aus der Vogelperspektive das schwarze Kreuz, das auf der Steppe liegt: ein Längsgraben und ein Quergraben, in den Boden gewühlt. (bei Leonhard Frank liest man: "Der Flieger konnte nicht erraten, welchem Zwecke dieses Grabenkreuz in der unbewohnten, einsamen Steppe dienen sollte …. Auch sie (Die beiden Männer – F. G.) kannten nicht den Zweck des Kreuzes."). Mit dieser Metapher ist der Ton des Erzählens programmatisch vorgegeben, aber auch die philosophische Ambition: Die Dinge sind nicht nur so wie "sind". Ein selbstverständlich-banaler Vorgang wie das Stechen eines Grabens ist so selbstverständlich nicht. Da ist Sinn und Hinter-Sinn. (…)


Auch Simons Film atmet den vom Kammerspielfilm erstrebten Naturalismus intimer Färbung, das Spiel der Psychologie und der Gefühle, das seinen Ausdruck in einer genauen und empfindsamen Schauspielermimik, in einem nie zufälligen Gebrauch optischer Elemente findet.

Ein Dekor ist stets der erzählerische Kontrapunkt, sei es die unbehauste Steppe, sei es die Hautnähe der Wohnung. Die Kraft des filmischen Ausdrucks wächst aus der Plastik der Bilder: eine alte und doch so selten genutzte Weisheit. Ich sehe in dieser Übereinstimmung das Traditionsbewußtsein des Films, nicht nur im äußeren Indiz der Farbgebung. Die Farbe alter Fotografien und Filme bliebe ohne das "geistige Zitat" eine bloße Hülle.

Ein filmhistorischer Epilog: "Karl und Anna" wurde bereits 1928 einmal verfilmt. Regie führte der Veteran Joe May und es agierten Lars Hanson, Gustav Fröhlich und Dita Parlo. Das Thema verkam hier zur Heimkehrerschnulze ("Heimkehr" hieß auch das Ganze). "Es wurde eine mit Zucker bestreutes Schauspielchen", schrieb "Film und Volk" (1/1928).

Sehenswert allein eine Bild- und Montageidee: die "marschierenden Füße". Marschierende Soldatenstiefel verwandeln sich in Pantoffel, in zerlumpte Fußlappen, bis schließlich ein nackter und staubiger Fuß übrigbleibt.

Es sind wirklich nur Bilder, die am Ende bleiben und Zeiten überdauern.

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