Faust

Deutschland 1925/1926 Spielfilm

Das "Happy end" des Faustfilms



Dr. Hans Feld, Film-Kurier, Nr. 199, 26.8.1926


Ein bekannter Theaterkritiker hat vor ein paar Wochen in einer privaten Unterhaltung einige Worte über den "Faust"-Film gesagt, die charakteristisch sind. "Der Film fängt wundervoll an. Ein paar Szenen lang ist man völlig hingerissen. Wieder einmal ist man begeistert von den unerhörten technischen Möglichkeiten des Films. Und dann kommt das Ende: Faust und Gretchen gen Himmel schwebend. – Glauben Sie immer noch an die künstlerische Gegenwart des Films?"

Diese Worte sollten uns zu denken geben. Es muß immer wieder gesagt werden, daß die vornehmste Aufgabe des Films in Deutschland darin besteht, die Gebildeten für sich zu gewinnen. Der Film kann nur dann zum Allgemeingut werden, wenn es ihm gelingt, sich auch bei den Intellektuellen durchzusetzen.

Es ist bekannt, daß die Zeit, in der eine Annäherung dieser geistigen Oberschicht an den Film zu verzeichnen war, vorüber ist. Die Kinematographie, von der sie so viel erhofften, so viel erhoffen konnten, hat nicht gehalten, was sie versprach.

Auf diese Weise ist gerade bei den Gebildeten, die bereits begonnen hatten, für das Kino einzutreten, eine starke Enttäuschung eingetreten, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Es gilt für den Film, das verlorengegangene Gebiet zurückzuholen und darüber hinaus Neuland zu erobern.

Die Eignung des "Faust"-Schlusses zur Intellektuellen-Werbung erscheint fraglich. Über die philosophische Bedeutung des amerikanischen happy end läßt sich viel schreiben. Es entspricht der Wirtschaftsstruktur einer Nation, die im struggle for life jedermann eine chance zum Vorwärtskommen gibt.

Die alte deutsche Sage vom Erzmagier Doktor Faustus schließt mit Fausts Höllenfahrt. Bereits der Lessing zugeschriebene Faust von 1776 bringt – wie nach ihm der Goethesche – den Gedanken einer Erlösung des reuigen Sünders von ewiger Verdammnis. Soweit wäre das Eingehen Fausts in die Wonnen des Film-Himmels literarisch gerechtfertigt.

Eine Schluß-Allegorie zeigt Faust und Gretchen verschlungen auf einem Brett gen Himmel schwebend: Im Tode vereint oder die Wunder des Schnürbodens.

Murnau selbst hat offenbar das Komische dieses "bretternen" Schlusses empfunden; er hat es so kurz wie möglich gemacht. Kurz, deswegen aber noch lange nicht schmerzlos. Vielleicht wäre es besser gewesen, den kraftvollen Schluß der alten Sage, den Höllensturz Faustens beizubehalten. Die Allegorie muß auf jeden Fall verschwinden. Diese wenigen Meter können viel Schaden anrichten, denn sie verwischen den Eindruck.

Der Anfang des Films entspricht der mittelalterlichen Faust-Sage. Am Ende hat er sich bedenklich Gounods "Margarethe" genähert. "Lasse mich, lasse mich ... "

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