Energie aus Materie

BR Deutschland 1956 Kurz-Animationsfilm

"Energie aus Materie" (1956) von Georg Zauner – Die Stecknadel im Universum

von Jeanpaul Goergen


Der 1956 entstandene Kurzdokumentarfilm "Energie aus Materie" behandelt ebenso wie "Der Griff nach dem Atom" von 1949 die Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke. In 15 Minuten führt der Schwarz-Weiß-Film allgemeinverständlich in die Welt der Atome und der Kernspaltung ein und greift dazu auf anschauliche Trickzeichnungen zurück.

Produzentin war die Göttinger Kultur-, Dokumentar- und Lehrfilmproduktion von Hans-Heinrich Kahl. Regie führte Georg Zauner, ein Verantwortlicher für die Animationen, die rund die Hälfte des Films ausmachen, wird nicht genannt. Ausweislich des Vorspanns erschien der Film in der Reihe "Filme des Wissens".

Der am 17. April 1920 in Göttingen geborenen Georg Zauner lebte und arbeitete bis Ende 1961 in seiner Heimatstadt, ehe er nach Vaterstetten in Bayern verzog. Nach 1945 verdiente er sein Geld als Kunstmaler, ab Ende 1949 als freiberuflicher Graphiker und Filmzeichner. Bei dem zusammen mit Friedrich Wollangk aufgenommenen Kurzfilm "Fliegende Untertassen" (1953) wird er ebenso als Trick-Kameramann angeführt wie bei dem im gleichen Jahr entstandenen Bundesbahn-Film "Mechanisierte Gleiserneuerung". Das Göttinger Adressbuch verzeichnet ihn in den 1950er Jahren als "Graphiker und Trickfilm-Zeichenatelier" bzw. mit einem "Trickfilm-Atelier", gelegen am Nonnenstieg 38. Dies alles deutet darauf hin, dass Zauner selbst die Trickzeichnungen für "Energie aus Materie" realisierte. Ab 1961/62 arbeitete er dann für die Insel-Film in München. 1980 begann er mit der Veröffentlichung von Science-Fiction-Romanen. Georg Zauner starb am 4. Oktober 1997. 

Im Gegensatz zu "Der Griff nach dem Atom" verzichtet "Energie aus Materie" auf eine teure Rahmenhandlung mit Schauspielern, sondern setzt auf einen belehrenden und erklärenden Off-Kommentar, die sogenannte "Geisterstimme". Mehrfach angesprochenes Anliegen des Films ist die Popularisierung der friedlichen Nutzung der Atomenergie, um einer drohenden Energieverknappung zu begegnen. Wir stünden erst am Anfang der Entwicklung, heißt es im Film, erste Kraftwerke seien aber bereits im Bau. Die Angst vor einem neuen, mit zerstörerischen Nuklearwaffen geführten Weltkrieg spricht Zauner nur indirekt an, auch verzichtet er auf die beunruhigenden Bilder eines Atompilzes: "Groß sind die Gefahren, die dieses Mittel Atomenergie in sich birgt, wenn es missbraucht wird – groß aber sind auch die Möglichkeiten, die der Förderung und Sicherung unserer Zivilisation auf lange Zeit dienen können." Trotz der schwammigen Formulierung dürfte Mitte der 1950er Jahre allen klar gewesen sein, dass mit "Missbrauch" der kriegerische Einsatz von Atomwaffen mit ihrer gewaltigen Zerstörungskraft gemeint war.

"Energie aus Materie" erklärt mit Hilfe von anschaulichen Zeichnungen und eingängigen Animationen die unsichtbare Welt der Atome. Zur Visualisierung greift Zauner auf das Bild einer Stecknadel zurück. Unter dem Elektronenmikroskop wird deren raue Oberfläche sichtbar: Diese Vergrößerung auf zweieinhalb Kilometer entspricht einer riesigen Nadel, die quer über New York liegen würde. Die Atome würden allerdings erst bei einer zehntausendmal stärkeren Vergrößerung sichtbar; eine weitere Zeichnung zeigt die Nadel, die man sich nun länger als die Erdachse vorstellen muss. 

Im Reich der Atome sei alles in Bewegung: Der Zeichentrick zeigt ein wolkig-waberndes unebenes Feld aus kugelförmigen Erhebungen. Die Atomkerne erscheinen als ein Meer von kleinen zitternden Punkten. Aus der Nähe betrachtet und in seiner rasenden Umdrehung angehalten greift der Trick einen einzelnen Atomkern heraus: Es ist das bekannte Modell mit den gebündelten Neutronen- und Protonenkugeln. Das große Radium-Atom als eines der schwersten Atome der Natur ist unstabil: Im Trick bewegt es sich, pulsiert und verliert einen Helium-Kern. Dieser Vorgang werde als Radioaktivität bezeichnet – eine natürliche Kernumwandlung, "eine Katastrophe in der Stecknadelspitze." 

Die Atomphysiker können die Flugbahnen der Atome in einer Nebelkammer sichtbar machen. Im Zeichentrick trifft ein freies Neutron auf Uran 235 und löst eine Kernspaltung aus; weitere Neutronen verlassen den Kern. Abgebremst, lösen diese weitere Kernspaltungen aus und nach und nach entsteht eine Kettenreaktion. Brummen, Zirpen und andere elektronisch erzeugte Geräuscheffekte untermalen das trickzeichnerisch vorgestellte Geschehen in der Atomwelt. Laut Vorspann war Zauner auch für die Musik verantwortlich. Im Förderantrag beim Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte der Produzent darauf hingewiesen, dass hier zum ersten Mal elektronische Musik in einem Zeichenfilm "zu einer akustisch-optischen Synthese" gebracht werde.

Die Kettenreaktion erzeugt Wärme, Wasser wird erhitzt, der Dampf treibt Turbinen ein, die nun Strom erzeugen. "Ungeheuer groß" sei die Energie aus einem Uran-Würfel mit vier Zentimeter Kantenlänge, würde sie doch eine Millionenstadt drei Tage lang mit Strom versorgen! Im Folgenden verdeutlicht Zauner die Funktionsweise eines Atomreaktors und die darin stattfindenden Kettenreaktionen. Schädliche Strahlung würde durch einen Betonmantel abgefangen. Neben Forschungsreaktoren gäbe es bereits welche, die schon Energie für die Wirtschaft lieferten. 

Die Botschaft des Films ist klar: Nur die Energiegewinnung durch Atomkraftwerke könne die Lücke füllen, die früher oder später in der Energieversorgung durch Kohle und Erdöl auftreten werde. Deren Lagerstätten seien allmählich erschöpft, der Abbau würde unrentabler und "unsere technische Zivilisation müsste mehr und mehr eingeschränkt werden." Dagegen seien die Lagerstätten an Uran, die zudem im Tagebau erschlossen werden könnten, "vorerst" in unerschöpflichen Mengen vorhanden: "Im rechten Augenblick fand der Mensch ein Mittel, die drohende Energieverknappung zu überwinden." 

Im Kino startete "Energie aus Materie" am 5. September 1957 im Vorprogramm zu dem Lustspiel "Witwer mit 5 Töchtern" (R. Erich Engels) mit Heinz Erhardt. Bereits 1956 hatte er beim Deutschen Filmpreis ein Filmband in Silber als "bester sonstiger Kurzfilm in schwarz/weiß" erhalten. 1957 stellte das Bundesministerium für Atomfragen den Landesfilmdiensten für Jugend und Volksbildung eine größere Anzahl von Kopien zur Verfügung, "um der Furcht vor dem Atom den Gedanken an die aufbauenden Kräfte der Atomwirtschaft gegenüberzustellen." (Schwan 1957, S. 31) Die CDU-nahe Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise setzte ihn bei ihren Filmveranstaltungen zur Förderung des Demokratiegedankens ein. (Jahn 1987, S. 360) Die FWU wies darauf hin, bei der Auswertung des Films auch "die weltpolitischen Hintergründe" im "Zeitalter der Atomangst" zu berücksichtigen. (Grieger 1960, unpag.) 1958 lief "Energie aus Materie" auch als wissenschaftlicher Film in der Gruppe "Atom" auf der Weltausstellung in Brüssel.

Vom 8. bis 22. August 1955 tagte in Genf die "1. Internationale Konferenz über die friedliche Verwendung der Atomenergie", die weltweit eine Euphorie über die in Aussicht gestellten Segnungen der Atomenergie auslöste. Der Bundesrepublik war allerdings die Kernforschung durch ein alliiertes Kontrollratsgesetz verboten. "Wie unter einem Schock wurde man sich des großen Rückstandes in einer wichtigen neuen Technologie bewusst, entstand das Gefühl, in den zehn Jahren des Verbots für ein Industrieland Wesentliches versäumt zu haben." (Müller 1990, S. 10) 

Bereits vor der Genfer Konferenz hatte es Überlegungen gegeben, wie es nach dem Wiedererlangen der Souveränität – diese erfolgte am 5. Mai 1955 – mit der wirtschaftlichen Ausnutzung der Kernenergie weitergehen sollte. Am wichtigsten war wohl die im November 1954 gegründete "Physikalische Studiengesellschaft". An den vorbereitenden Sitzungen war auch der am Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen tätige Physiker Dr. Rudolf Schulten beteiligt. Auf Empfehlung von Prof. Werner Heisenberg, dem Leiter des Instituts, arbeitete er am Drehbuch von "Energie aus Materie" mit und bürgte für die wissenschaftliche Exaktheit der Trickzeichnungen; er dürfte auch die inhaltliche Argumentation des Films beeinflusst haben. 

Der Produzent Hans-Heinrich Kahl hatte die Herstellungskosten von "Energie aus Materie" mit 29.042,75 DM kalkuliert und beim Kultusminister des Landes NRW einen Landeszuschuss von 50 % beantragt. Dabei argumentierte er nicht nur mit der wissenschaftlichen Mitarbeit von Dr. Schulten, sondern auch mit dem nationalen Interesse: Das Max-Planck-Institut unter Prof. Heisenberg sei daran interessiert, "dass in der Öffentlichkeit durch einen wissenschaftlich fundierten Kulturfilm Verständnis für die Pläne der deutschen Atomphysiker" geweckt werde. (Hans-Heinrich Kahl an das Kultusministerium, 30.9.1955)

Das Kultusministerium lehnte den Förderantrag allerdings ab, der Film sei auf Grund seines wissenschaftlichen Gehalts nur für einen kleinen Kreis von Fachleuten geeignet. Wer "Energie aus Materie" schließlich mitfinanziert hat, ist nicht bekannt; der Geldgeber dürfte wohl aus dem Umfeld der um 1955 überall entstandenen "Arbeitskreise, Ausschüsse und andere Sonderorganisationen für Atomfragen" (Müller 1990, S. 11) gekommen sein.


Archiv:
Stadtarchiv Göttingen
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, NW 0060 / KM Bildende Kunst NW 0060, Nr. 1386

Literatur:
Landrat Schwan: Die Landesfilmdienste für Jugend- und Volksbildung. Aufgabe und Leistung. In: Kommunalpolitische Blätter, Nr. 2, 25.1.1957, S. 29-32
Stephan Grieger: Filme für die Gruppenarbeit. München: Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, 1960
Hans Edgar Jahn: An Adenauers Seite. Sein Berater erinnert sich. München, Wien: Albert Langen 1987
Wolfgang D. Müller: Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland. Anfänge und Weichenstellungen. Stuttgart: Schäffer Verlag für Wirtschaft und Steuern, 1990
Gustav Meier: Filmstadt Göttingen. Bilder für eine neue Welt? Hannover: Reichold Verlag 1996

(Jeanpaul Goergen, März 2025)
 

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