Eierdiebe

Deutschland 2001-2003 Spielfilm

Eierdiebe

Robert Schwentkes absurde Krebs-Komödie



Rudolf Worschech, epd Film, Nr. 2, 03.02.2004

Wie eine Burg oder eine uneinnehmbare Festung ragt das Krankenhaus vor Martin auf. In einen solchen Komplex geht nur der rein, der unbedingt muss. Der junge Martin (Wotan Wilke Möhring), für einen Zwischenstopp aus den USA nach Berlin zurückgekehrt, muss: Ein Hoden ist geschwollen und schmerzt. Martin wird ihn verlieren, denn die Diagnose lautet Krebs. Der behandelnde Arzt rät ihm nach überstandener Operation auch zur Entfernung des anderen, um auf Nummer Sicher zu gehen, macht aber keinen Hehl aus den Folgen: Impotenz ist möglich. Martin entschließt sich für die schmerzhafte und unangenehme Chemotherapie, nicht nur wegen der Folgen, sondern auch als Akt des Widerstands gegen die "Eierdiebe".

Martin wird stationärer Patient und kommt ins Zimmer von Nickel (Janek Rieke) und Harry (Antoine Monot jr), die beide schon ihre Haare durch die Chemo-Therapie verloren haben, den ganzen Tag Splatter-Filme gucken und mit denen nicht gut Kirschen essen ist, zumindest vorerst. Martin freundet sich mit Susanne (Julia Hummer) an, einer Patientin, die weiß, dass sie das Krankenhaus wahrscheinlich nicht verlassen wird.

Wer einmal im Krankenhaus gearbeitet hat oder eine längere Zeit darin verbringen musste, weiß, dass es eine ganz eigene, abgeschlossene Welt ist, mit ihren Ritualen und Gesetzen. In ihr entwickeln auch die Menschen sehr spezielle Verhaltensweisen, die für Außenstehende nur schwer verständlich sind. Krankenhaus ist Leben wie in einem Dampfkessel, aus dem allerdings der Überdruck kaum entweichen kann. Die Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, sind ziemlich abgebrüht, nennen die Patienten bei ihren beschädigten Körperteilen (Martin ist "der Hoden") und funktionieren ansonsten routiniert wie eine Maschine, ob sie nun eine Rektal-Untersuchung vornehmen, eine Spritze setzen oder sich an ihrem eigenen "Bei uns sind sie in guten Händen" berauschen.

"Eierdiebe" geht es um die absurden Momente in dieser hermetischen Welt. Und um die Selbstbehauptung der Patienten. "Tumor ist, wenn man trotzdem lacht", sagt Martin einmal zu seinem Bruder Roman (Alexander Beyer). In der schönsten Szene des Films spielen Nickel, Harry, Julia und Martin ein Kartenspiel um die Körperteile des anderen. Am Ende schleichen sie sich in die Pathologie, um Martins amputierten Hoden zu stehlen und ihn ordentlich zu begraben.

Robert Schwentke gelingt mit seinem – übrigens autobiographisch geprägten Film – "Eierdiebe" das Kunststück, nicht auf den ausgetretenen Pfaden eines Sterbedramas zu wandern und doch so etwas wie Mitleid mit seinen Protagonisten zu entwickeln. "Eierdiebe" ist voller Humor, der zumeist die Klischees vermeidet. Wenn es doch einmal zu einem kommt, wie bei einer brünstigen Sex-Szene zwischen Arzt und der (blonden!) Stationsschwester, dann bricht Schwentke im richtigen Moment ab. Zu Hilfe kommen dem Regisseur aber auch seine wunderbaren Schauspieler: Wotan Wilke Möhring entwickelt einen mimischen Stoizismus, mit der er immer so wirkt, als ob er selbst nicht glaubt, was mit ihm geschieht. Julia Hummer spielt die Susanne mit einem Lebenshunger, der von dem Wissen kommt, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Schwentke macht auch keinen Hehl daraus, dass die Freundschaft – und Liebe – zwischen beiden ganz pragmatische Gründe haben: Das Leben läuft ihnen weg. Und Janek Rieke und Antoine Monot jr. legen ihre Figuren als professionals des Krankenhausbetriebs an, abgebrüht und sehr, sehr eigen.

Robert Schwentke hat vor den Eierdieben "Tattoo" gedreht, einen spannenden Thriller auf den Spuren von "Das Schweigen der Lämmer" (vgl. epd Film 4/02), der sich die Unheimlichkeit des Alltags zunutze machte. Diesen Zugang zum Stoff merkt man auch Eierdieben an. Er beginnt mit drei Leichen auf Bahren, die im Keller des Krankenhauses wie in einem Zug in die Totenwelt zur Pathologie gefahren werden. Immer wieder zeigt die Kamera von Florian Ballhaus mit fahlem Licht die langen Gänge und Korridore, unheimlich und fremd. Hinter dem Witz und der Skurrilität kommt immer wieder die Angst hervor.

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