Halbe Treppe

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Halbe Treppe

Zwei Paare in Frankfurt/Oder – Currywurst und Beziehungsstress



Martina Knoben, epd Film, Nr. 10, 02.10.2002


5.49 Uhr in Deutschland. Chris (Thorsten Merten), Moderator bei einem Privatsender, verströmt "Dauerpower vom Powertower" ins Mikrofon. Katrin (Gabriela Maria Schmeide), seine Frau, fährt auf der Vespa zur Arbeit; sie sitzt in einer Art Mauthäuschen am Grenzübergang nach Polen und weist LKW-Fahrern Parkplätze zu. Uwe (Axel Prahl) kauft für seine Imbissbude "Halbe Treppe" ein, vor allem Fleisch und Paletten voll Bierbüchsen. Seine Frau Ellen (Steffi Kühnert) treibt währenddessen die Kinder zur Schule; später geht sie Parfüm verkaufen.

Die Arbeit gibt den Rhythmus vor in diesem Film, das war schon in Andreas Dresens Die Polizistin so und in gewisser Weise auch in Nachtgestalten. Die Arbeit formt und deformiert, und sie beschleunigt den Abrieb in den Beziehungen. Uwe steht bis spätabends in seinem Imbiss und hat kaum noch Zeit für seine Frau und die Kinder. Und bei Chris, dem Möchtegern-Intellektuellen und Schmalspur-Journalisten, spürt man den Frust über die gescheiterten Karriereträume. Wenn er später eine Affäre mit Ellen, der Frau seines Freundes, beginnt, dann ist das auch Ausdruck einer sprachlosen Sehnsucht nach Veränderung.

Auf der diesjährigen Berlinale, wo neben "Halbe Treppe" auch Dominik Grafs "Der Felsen" im Wettbewerb lief, waren die Kritiker gespalten. Es gab "Der Felsen"-Fans und die "Halbe Treppe"-Fraktion; und diejenigen, die Grafs Korsika-Melo aufregend und innovativ fanden, konnten Dresens gefälligem Realismus meist wenig abgewinnen und umgekehrt. Dabei haben die beiden Filme mehr gemeinsam als nur die Tatsache, dass sie mit der Digitalkamera gedreht wurden. Beide Regisseure erzählen von Menschen, die gefangen sind in ihrem Leben und denen sich schließlich ganz neue Möglichkeiten auftun. Beide gehen alles andere als naiv mit dem Authentizitätsversprechen der Digitalkamera um, und beide haben mit ihren Filmen etwas ausprobiert und sich dabei ein gutes Stück vom üblichen Unterhaltungskino entfernt.


Im Abspann von "Halbe Treppe" werden die vier Hauptdarsteller als Autoren genannt. Tatsächlich wurde der Film mit einem kleinen Team weitgehend improvisiert. Es gab kein Drehbuch, nur eine lose Figurenkonstellation. So hat Gabriela Maria Schmeide beispielsweise für einen Take die Tür "ihres" Badezimmers geöffnet – und für die Schauspielerin überraschend saßen Thorsten Merten (als Chris) und Steffi Kühnert (als Ellen) gemeinsam in der Wanne. "Tschuldigung", sagt Katrin in dieser Szene und macht die Tür wieder zu. Solche Szenen sind komisch. Und das ist das Überraschendste an Dresens Film, dass er so witzig, so voller Ironie und Situationskomik ist.

Dass das Konzept der Improvisation funktioniert und die Figuren lebendig, sympathisch und echt wirken, ist wohl vor allem den vier hervorragenden Darstellern zu verdanken: Axel Prahl und Gabriela Maria Schmeide waren schon in "Die Polizistin" angenehm frisch und unverkrampft; und Steffi Kühnert und Thorsten Merten, die wie Schmeide an der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin studiert und danach vor allem Theater gespielt haben, sind ebenbürtige Partner. Wie schon "Die Polizistin" ist auch "Halbe Treppe" ein Film aus dem Osten Deutschlands, aus Frankfurt an der Oder. Wenn Chris aus seinem Studiofenster guckt, geht sein Blick bis nach Polen. Das gibt dem Film eine ganz eigene Note, in vielen Details ist die DDR noch präsent.

Und wie schon in "Nachtgestalten" und "Die Polizistin" hat Dresen auch hier wieder einen wunderbar zärtlichen Blick für seine Figuren. Sie sind oft gefährlich nah am Rande der Karikatur angesiedelt – wenn etwa Ellen und Uwe in ihrer Plattenbausiedlung nach dem entflogenen Wellensittich Hans Peter suchen, Witzfiguren aber sind sie nicht. Dresen schenkt ihnen wunderbare Momente. Als Chris sich in Ellen verliebt, erkundet auch die Kamera ihr Gesicht und ihr Dekolleté, bis der Zuschauer plötzlich die Schönheit der zunächst etwas verhärmt wirkenden Frau erkennt. Als sie und Chris sich dann lieben, unter einer Autobahnbrücke, sind ihre Gesichter ganz entspannt und ihre Augen strahlen. "Hörst du den Vogel", sagt Chris. Und dann tollen die beiden am Fluss herum wie die Teenager. Man hält den Atem an, weil die beiden plötzlich so wunderbar verwandelt sind.

"Halbe Treppe" ist vor allem auch ein Film über die Sehnsucht, die sich Bahn bricht in diesem Strohfeuer der Liebe, die aber auch in den Bildern der Sonnenuntergänge zu spüren ist, die Ellen und Uwe im Urlaub fotografiert haben. Da ist ein Sehnen, für das keiner der vier Worte findet. Sie sind sprachlos in ihren Ehen und sogar sprachlos gegenüber sich selbst. Und wenn sie dann doch nach Worten suchen für ihre Gefühle, ist das meist lächerlich. Wer von diesen verschütteten Sehnsüchten profitiert, deutet Dresen immerhin an: In Ellens Parfümerie, von Chris" Privatsender und auch im Küchenstudio, durch das Ellen und Uwe in ihrer Mittagspause hetzen, werden die Träume von einem Leben mit mehr Stil und Flair gleich mit verkauft.

Wenn Dresen das Ehepaar im Zeitraffer an den Küchen vorbeihetzt oder die Figuren direkt in die Kamera sprechen und einem unsichtbaren Frager quasi ein Interview geben, fällt auf, wie verspielt der Regisseur mit der Digitalkamera und den Stilmitteln des Dogma-Films umgeht. "Die Polizistin" wirkte stellenweise noch wie ein Dokumentarfilm, diesen Look strebt Dresen in "Halbe Treppe" erst gar nicht an. Besonders schön ist hier ein Running-Gag: Ein Straßenmusiker mit Dudelsack, der vor seiner Imbissbude spielt, nervt Uwe gewaltig. Und täglich werden es mehr und mehr Musiker, bis schließlich ein ganzes Orchester auf dem Treppenabsatz vor seiner Bude steht. Ihre Musik ist gleichzeitig ausgelassen und melancholisch und sorgt damit gerade für die richtige Stimmung in diesem Film.

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