Die Terroristen!

Deutschland 1991/1992 Spielfilm

Die Terroristen


Conny E. Voester, epd Film, Nr. 5, Mai 1993

Philip Grönings zweiter langer Spielfilm ist ein böser Comic: Knallbunt und rüde, ironisch, frech und trotzig. Regie, Darsteller und Kamera sind Karten, Kugeln, Würfel in einem Medien-Spiel, das sich wie eine Karikatur zur Wirklichkeit verhält: "Die Terroristen!" hat innere Leere, emotionale Abstumpfung und politische Orientierungslosigkeit zum Thema – die Geschichte, die der Film erzählt und seine formale Gestaltung als Komödie mit dokumentarischem Touch, scheint alle ernsthaften politischen Diskurse der letzten Zeit (sei es die Diskussion um die längst überfällige Haft-Entlassung der noch einsitzenden Gefangenen der RAF und sympathisierender Gruppierungen, sei es die hilflose Debatte über Gewalt in den Medien) zu ignorieren. Der Plot zeigt drei Halbjugendliche, so um die zwanzig, die gemeinsam in einer Büroetage hausen und ein Attentat auf einen hohen Staatsrepräsentanten, den "Dicken", vorbereiten. Das Attentat geht schief. Einen Toten gibt es dennoch. Das Büro wird gereinigt verlassen. Die drei entschwinden in unterschiedliche Alltagsrichtungen – als hätten sie eine harmlos-nette Ferienzeit miteinander verbracht.

Das könnte man zunächst für eine simple, schlimmstenfalls sozialkritisch engagierte Story halten. Indes: die Spielregeln lauten anders. Der Regisseur und seine Darsteller entwickeln ein strikt anti-psychologisches Szenario und die einmontierten Fernsehaufnahmen von der Mauer-Öffnung oder des Kanzlers Wagenkolonne sind eingesetzt als Partikel, in denen weniger das "historische Ereignis" als vielmehr dessen audiovisuelle Etablierung zitiert wird. Die Frage: "Warum?" bleibt dabei für die Chronologie der Ereignisse uninteressant – es geht statt dessen um die Verkettung von Phänomenen, die bewußt subjektiv und willkürlich miteinander in Verbindung gebracht werden, als spontane Reaktion auf die politische Realität im vereinigten Deutschland im Jahre 1990. Deshalb erfüllt der Film auch eher die Funktion einer Momentaufnahme, eines kurz und schnell geführten Schnitts durch die öffentlichen, medial definierten Ereignisschichten.

"Die Terroristen", das sind Claudia, Michael und Jürgen. Was sie eigentlich verbindet, ist nicht ersichtlich, denn über politische Erklärungen (Texte, die Claudia zwar mit pathetischer Geste, doch unverkennbar unbeteiligt, tonlos, buchstabierend und fast leiernd vorträgt) wird beispielsweise nicht geredet: „Ich wills nicht diskutieren, ich wills nur lesen!" (Claudia). Gemeinsam ist allen dreien die Affinität zu Computerspielen und -programmen und der verbissene Versuch, sich mittels irgendeiner Aktion aus ihrer gefühlsmäßigen Isolation zu befreien.




Keiner der drei Protagonisten lädt ein zur Identifikation – die Kamera bewegt sich zwischen ihnen zwar wie eine vierte Person, doch so wenig wie Gefühle zwischen den dreien entstehen oder erkennbar werden, so wenig verändern die Kamera und die Inszenierung die emotionale Distanz zu den Personen. Durchgehend ist der Fortgang der Handlung (Warten und Brüten in der Büroetage, Banküberfall, Ausflüge, Vorbereitung, Ausführung, Scheitern des Attentats etc.) unterschnitten mit Fernseh- und Videoaufnahmen, die von der MAZ auf Zelluloid übertragen wurden und deshalb in ihrer Struktur und Farbe stark kontrastieren mit den kühlen, gleichwohl auch sehr bunten Bildern, mit denen die Fabel erzählt wird. Die Tonebene ist ähnlich collagiert mit Fernseh-O-Ton (CDU-Werbespots und Wiedervereinigungstaumel mit Haydn und den "Schöneberger Sängerknaben" beim Brandenburger Tor), Kaufhaus-Muzak (Weihnachtsklingeling) und Pop-Musik – die Aktionen, Dialoge und Monologe der Hauptpersonen jeweils kommentierend und begleitend.

Was ist daran komisch, oder gar witzig? Das Erfreuliche und Erfrischende an "Die Terroristen!" ist, daß es darin zwar eine konstante, hierzulande selten gepflegte Respektlosigkeit, jedoch nicht nur eine Art von Humor gibt: optisch/visuelle Montageeinfälle, Wortwitz und Komödienakte, bisweilen so albern wie der "Überfall" Michaels auf eine Drogerie, bei dem er den Drogeriebesitzer (und die Zuschauer) damit überrascht, daß er ein Paket Papiertaschentücher kaufen will und zwar mit übergezogener Strumpfmaske: "Ich kann meine Strumpfmaske tragen wann und so oft ich will!".


Die Analogien zu Fassbinders "Die dritte Generation" sind unverkennbar. Auch, was sich seit 1979 verändert hat: blinder Aktionismus der Protagonisten hier wie da, doch während Fassbinder die Akteure als Marionetten und Opfer einer Verschwörung interpretiert, die am Ausbau des Machtapparats und dem Abbau demokratischer Strukturen arbeitet, laufen Grönings "Terroristen" absolut isoliert und entindividualisiert, nicht einmal mehr außengeleitet, Amok. Die Vereinzelung der Akteure hat in einem Maße zugenommen, das es undenkbar erscheinen läßt, die verschiedenen Realitäts- und Medien-Ebenen hätten etwas miteinander zutun. Aus der Täter-Opfer-Spirale gibt es kein Entrinnen: "Die dritte Generation" hat die "Opfer" (die Geisel) als Täter identifiziert; "die Terroristen" der "vierten Generation" drehen den Spieß wieder um, setzen sich selbst vor die Kamera und geben Absichtserklärungen in der Haltung der Opfer ab. Freilich sind jetzt, nach fünfzehn Jahren, aus Trauer über Verrat, Vergeblichkeit und Tod (bei Fassbinder) vor allem Zorn und grelle Zitate aus erkanntem Mangel an Perspektive (bei Gröning) geworden. Die Verunsicherung ist Programm: es gibt keine klaren Handlungsanweisungen und präzisen Befunde. Filmemacher wie Philip Gröning oder auch Thomas Heise ("Der Stau"), Romuald Karmakar ("Warheads"), die sich dieser Erkenntnis verpflichtet fühlen, müssen den Druck des (halb)öffentlichen Diskurses, in dem von Kanzler Kohl unisono mit einem "autonomen Kommando Filmriß" in Berlin-Kreuzberg Eindeutigkeit eingefordert wird, aushalten. Die demokratische Öffentlichkeit wird sich in ihren bestehenden kümmerlichen Restbeständen damit auseinandersetzen müssen.

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