Nackt unter Wölfen

DDR 1962/1963 Spielfilm

Nackt unter Wölfen. Ein nationales Filmereignis



Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 15, 14.4.1963


Legitimation eines Films Die grassierende Unsitte, Filme in thematische Schubkästen einzusortieren und – je nach Befund – Opulenz oder gähnende Leere zu konstatieren, macht vor keinem filmischen Kunstwerk halt. "Nackt unter Wölfen" scheint mit dem Etikett des ersten deutschen KZ-Films versehen zu werden. Die Voraussetzungen eines solchen Schubladendenkens stimmen nicht: Es gibt nicht den KZ-Film. Die Transponierung der faschistischen Höllen auf die Leinwand, nach 1945 unter den verschiedensten ideologischen und künstlerischen Vorzeichen erfolgt, ist 1963 nur legitim, wenn sie aus der politischen und geistigen Situation der 60er Jahre ihren künstlerischen Ausgangspunkt bezieht. Waren Filme wie "Die letzte Etappe" in ihrer angestrebten Authentizität Appelle an das Weltgewissen, an eine aus dem faschistischen Krieg gerade entlassene Generation, geht es 1963 nicht mehr um geschichtliche Reminiszenzen. Die Filmschaffenden sehen sich konfrontiert mit "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch". Dies nicht zu berücksichtigen ergäbe eine gefährliche Halbwahrheit beim Aufgreifen der KZ-Thematik, böte sogar die Möglichkeit des Alibis für die Gegenwart. Das Etikett KZ-Film selbst sagt also nichts über die politische und künstlerische Legitimation eines Films.

"Nackt unter Wölfen" ist jedoch nicht einfach das Schließen einer thematischen und künstlerischen Lücke. Die Konzeption dieses Films beruht auf der politischen Notwendigkeit, 1963 einen solchen Film zu machen. 1945 ist mit den geschichtlichen Erfahrungen der verflossenen achtzehn Jahre gesehen, mit dem Wissen um Weg und Ziel der deutschen Nation. Und daraus erwuchs letztlich die Pflicht von Filmschaffenden des deutschen Staates des Humanismus und des Sozialismus, das Geschehen auf die Leinwand zu bringen.



Unterschiedliche Entstehungsjahre schaffen unterschiedliche künstlerische Maßstäbe und Ausgangspunkte. Ein Buchenwaldfilm, etwa vor fünfzehn Jahren geschaffen, hätte sich damit "begnügen" können, Dokument des Grauens und des Widerstandes zu sein. Die Authentizitätswirkung "So war es" wäre eine ausreichende Legitimation gewesen. Ein Buchenwaldfilm 1963 kommt an der Tatsache nicht vorbei, daß die 1945 im Lager existierenden Fronten inzwischen ihre politische Inkarnation in zwei deutschen Staaten und ihren Repräsentanten erfuhren. Eine Verfilmung ist so nur wahrhaft zeitgenössisch, wenn sie darauf verzichtet, eine minutiöse Dokumentation dessen zu sein, was Buchenwald war, wenn sie sich bemüht, der Konvergenz von Problemen und Konflikten 1945–1963 nachzuspüren, sie aufzudecken. Nur so erhält die Verfilmung nationale Wirkung, erhält sie den großen Gegenstand, das nationale Format. Bruno Apitz" Buch war dafür ein geeigneter Vorwurf. Apitz machte das KZ auf dem Ettersberg zu einer Stätte der extrem zugespitzten Klassenkampfsituation. Die beiden Wege der deutschen Entwicklung werden deutlich. Der Kampf der Krämer, Bochow, Höfel, Pippig um die Bewahrung des Kindes weist sie als legitime Erben der humanistischen Traditionen der deutschen Nation aus. Die Alternative der Kluttig, Reineboth ist der Sturz in die Barbarei, die Pervertierung zur Lust an den Gaskammern, am Todesröcheln der Erschlagenen und Erwürgten. "Nackt unter Wölfen" reicht über Klage und Anklage hinaus, legt die moralischen Wurzeln des Sieges, der Solidarität der Häftlinge von Buchenwald bloß. Wir finden die historische Logik ihres Sieges über die Henker, ihres siegreichen Überlebens. Der Film wählte aus der epischen Fülle gerade diese Grundideen zu seiner Konzeption. (…)

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