Lili Marleen

BR Deutschland 1980 Spielfilm

Wie lustig ist die Tyrannei?

Hans C. Blumenberg, Die Zeit, 16.01.1981

"Was wollen die Menschen von mir? Warum verfolgen sie mich? Weshalb sind sie so hart? Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler." Klaus Mann, "Mephisto", 1936

Keiner fehlt beim Tanz der Vampire. Auch Hendrik Höfgen ist dabei, der Karrierist mit dem "aasigen Lächeln", des dicken Görings Günstling, des Teufels Intendant: "ein Affe der Macht und ein Clown zur Zerstreuung der Mörder". Klaus Mann, der seinen bis heute offiziell verbotenen Roman eines illustren Mitmacher 1936 im Exil in Amsterdam schrieb, entwirft das Porträt eines durchaus nicht glücklichen Opportunisten. "Fällt es denn dem Schauspieler Höfgen nicht auf, daß die Veranstaltungen, deren fragwürdiger Held er ist, im Grund makabren Charakters sind, und daß der Tanz, zu dessen beliebtesten Anführern er gehört, die grausige Tendenz zum Abgrund hat?"

Keiner fehlt beim Tanz der Vampire. Auch Wilkie Bunterberg ist dabei, die blonde Diseuse, die sich, eher zufällig und auch nur eine Weile, mit dem sentimentalen Liebeslied die einträgliche Huld des "Führers" ersingt und eine Villa im allerpompösesten UFA-Stil dazu, die den Rest ihres Gewissens mit dem Satz beschwichtigt: "Ich singe nur ein Lied." Wilkie glaubt zu wissen, was sie will: "Zum erstenmal in meinem Leben habe ich etwas Glück. Jetzt tue ich alles, um es festzuhalten."

Als Wilkie noch nicht so berühmt ist, als der Soldatensender Belgrad noch nicht jeden Abend das Lied "Lili Marleen" ausstrahlt, sitzt sie mit ihrem Klavierbegleiter auf einem Bahnsteig und blättert in einer Illustrierten. Ihr Blick und mit ihm Rainer Werner Fassbinders Kamera bleiben auf dem Photo eines großen, allseits geschätzten Künstlers hängen. Der heißt Gründgens, den hat Klaus Mann gemeint, als er sein böses, gewiß ungerechtes "Mephisto"-Pamphlet verfasste

"Man kann sich nicht immer aussuchen, wie man leben will, wenn man überleben will": Mit diesem Satz wehrt sich in Fassbinders Film die Sängerin Wilkie gegen die Forderung ihres jüdischen Geliebten Robert Mendelsson, der heimlich aus der Schweiz nach Berlin gekommen ist, der wissen will, auf welcher Seite sie steht. Um diesen Satz geht es in der Geschichte von Wilkie Bunterberg/Lale Andersen wie in der Geschichte von Hendrik Höfgen/Gustaf Gründgens (dessen wirkliche, wohl eher positive Rolle in der Hitler-Zeit nie ganz aufgeklärt wurde, weiterhin Gegenstand von Vermutungen und Vorurteilen bleibt).

Leben, Überleben unter den Wölfen: Das war immer eins von Fassbinders liebsten Sujets, von ihm handelte zuletzt auch "Berlin Alexanderplatz". In der vorletzten Sequenz von "Lili Marleen" gehen die Sängerin und ein wieder in einen Zivilisten verwandelter Nazi-Funktionär durch eine nebelige Waldlandschaft. Da ist der Krieg schon vorbei. Von Strehlow (Erik Schumann) erzählt, daß hier einmal ein Mord geschehen ist, so um 1928, daß ein Zuhälter eine Hure erschlagen hat in diesem Wald und daß wohl auch ein Dichter einen Roman gemacht habe aus diesem Drama. Da gibt es also noch einen Schnittpunkt zwischen Geschichte und Erfindung. "Faction" heißt das bei Norman Mailer, ein Kunstwort aus "Fact" und "Fiction". So ging Klaus Mann mit der Biographie von Gründgens um, so behandelt Fassbinder die erstaunliche Karriere von Lale Andersen und ihrem Lied.
Von der ohnmächtigen Wut, die einst den "Mephisto" prägte, ist in Fassbinders "Lili Marleen" nichts zu spüren. Ein Melodram sollte es werden, die Geschichte einer unmöglichen Liebe (zwischen der Kollaborateurin und dem Widerstandskämpfer, zwischen der arischen Blondine und dem semitischen Komponisten, zwischen Schlager und Symphonie). Und ein Melodram breitet Fassbinder auch aus: aber eins mit Widerhaken. Schon im Vorspann führt er sich als "Spielleiter" ein, einer Berufsbezeichnung, die im deutschen Film seit Veit Harlan, Hans Steinhoff oder Karl Ritter aus der Mode geraten ist.

Da zeigt einer an, daß er sich der Mittel von damals bedienen will, dass er umzugehen gedenkt mit dem Pathos und mit der schwelgerischen Ästhetik der filmischen Lüge. Das konnte nur ein Drahtseilakt werden, das wagt nur einer, der "den echten, produktiven Zynismus des radikalen Genies" zu besitzen glaubt, wie es bei Klaus Mann über Hendrik Höfgen heißt.

Mitunter sieht das ganz grauenhaft aus: wenn sich Hanna Schygulla (die einige Jahre zu alt ist für diese Rolle, das Lied aber recht anmutig vorträgt) im Momenten der Erregung jene beseligte Blödheit ins Gesicht zwingen muß, die viele UFA-Schauspielerinnen so unerträglich machte; wenn eine Abschiedsszene im Niemandsland zwischen Deutschland und der Schweiz mit Weichzeichner und Star-Filter zu monströsem Kitsch erstarrt; wenn harte Männer die Waffen sinken lassen und andächtig jenem Lied lauschen, das Goebbels die "Schnulze mit dem Totentanzgeruch" nannte: im Schützengraben, im U-Boot, auch die Posten im Konzentrationslager.

Hat Fassbinder das wirklich ernst gemeint? Alles deutet darauf hin, dass er versucht hat, das spekulative Zehn-Millionen-Ding der CSU-nahen Alt-Produzenten (Luggi Waldleitner) und Alt-Autoren (Manfred Purzner) mit subversivem Zynismus von einer tragischen Schnulze in einen Essay über verkommene Kino-Formen umzuarbeiten. Waldleitner, konnte man in einem Springern-Blatt lesen, soll den Film denn auch nicht mögen.
Wäre das so, dann hätte sich Fassbinder selber für ein paar Monate in eine Höfgen-Rolle begeben: den Mächtigen dienend (den Freunden jenes Strauß, vor dem er, nach dessen Wahlsieg angeblich sofort ins Ausland geflohen wäre), bis zur Absurdität ihre Forderungen nach Kolportage übererfüllend und zugleich entlarvend. Dafür spricht zum Beispiel der ironische Einsatz von Peer Rabens Schicksalsmusik, dafür spricht auch die Art, mit der Fassbinder mit dem "Lili Marleen"-Lied umgeht: Es kommt so enervierend oft vor, daß man es – seinen Bewunderern von John Steinbeck bis Rudolf Walter Leonhardt zum Trotz – am Ende wirklich nie wieder hören mag. Dazu passt auch der Einfall, dass die Gestapo bei Fassbinder den in Berlin gefangenen Robert Mendelsson (Giancarlo Giannini, immer nur schmachtend) mit einer kaputten Schallplatte von "Lili Marleen" foltert, die er Tag und Nacht anhören muß.

Als puren Hohn kann man die Sequenz betrachten, in der Wilkie Visite beim "Führer" machen muß: Wenn die Flügeltüren zum Allerheiligsten sich öffnen, sieht man nichts mehr außer einem gigantischen Lichterglanz. Fassbinder selber leistet sich in einer kleinen, feinen Rolle als widerständlerischer Dichter Günter Weissenborn einen makabren Auftritt: ein sanfter Horror-Typ. Und wenn Hark Bohm, der Sängerin treuer Begleiter, beim Strafeinsatz an der Ostfront zu den Klängen von "Lili Marleen" seine Männer zum Angriff führt und von einer Kugel gefällt wird, meint man fast das höhnische Gelächter des Regisseurs zu hören.

Indizien also zuhauf, die ein sehr gebrochenes Verhältnis des Regisseurs zu seinem Stoff anzeigen, viele Momente, die Distanz herstellen könnten zu dieser furchtbaren Geschichte. Was Fassbinder wirklich an ihr interessiert, wird nur selten deutlich: in jener Sequenz etwa, in der Hanna Schygulla und Hark Bohm sich in ihrer neuen, von höchster Gnade verordneten Traum-Villa zu einem grotesken Erfolgsrausch auf dem Teppich wälzen; in den Szenen von der Truppenbetreuung an der Ostfront, rötlich beleuchteten Massenszenen von einer tumben, perversen Vergnügungs-Süchtigkeit, die der "Götterdämmerung" des Luchino Visconti würdig wären.

Ganz genau weiß man nie, ob Fassbinder die Überwältigungs-Dramaturgie des Nazi-Kinos nur mit List benutzt, oder ob er dem Luxus nicht mitunter wider Willen verfällt: in den gigantischen Sportpalast-Totalen etwa, bei Wilkies letztem Auftritt. Der schiere Aufwand der Produktion (der teuersten angeblich, die seit 1945 in Deutschland hergestellt wurde) lässt keinen Raum für die akustischen Verfremdungen und Kompliziertheiten der letzten Filme. Das Budget und die Produktionsbedingungen verführen zu gewissen Standardisierungen: Figuren wie die des schleimigen, tückischen Sturmführer Henkel (Karl Heinz von Hassel) und die des fanatischen jüdischen Untergrund-Kämpfers Aaron (Gottfried John) stammen direkt aus dem Fundus vertrauter Charakter-Chargen. Oder gehören auch sie zum strategischen Plan, das blühende Genre des Nazi-Glamours durch eine fast parodistische Typisierung zu unterwandern?

Vieles scheint einfach nur misslungen: die plakativen Montagen, mit denen Fassbinder versucht, die gefährliche Illusion des Liedes mit der gefährlicheren Realität der Berliner Bombennächte zu verknüpfen, erschöpfen sich in technischer Brillanz. Oft führt Fassbinder routiniert seine bekannten Manierismen vor: hier eine Rückfahrt der Kamera an einer Glaswand vorbei, dort eine aparte Einstellung durch einen angewinkelten Ellenbogen. Das kann er, das kennt man, das ist ohne rechten Bezug zur Handlung.

Überhaupt nicht funktioniert die Liebesgeschichte: weil Fassbinder vor lauter Jonglieren mit falschen Gefühlen auch die echten mit extremer Theatralik verzuckert. Zwischen Hanna Schygulla und Giancarlo Giannini, die wenig miteinander anzufangen wissen, gibt es nur Posen. Bei aller behaupteten Hitzigkeit ist "Lili Marleen" ein kalter Film, ganz anders als zuvor "Die Ehe der Maria Braun".

Man kann das wohl auch ganz anders sehen, viel gröber und eindeutiger: als einen mit schlechtem Gewissen inszenierten deutschen Großfilm von internationalem Format, als opulentes Märchen von der naiven Schlager-Mieze, die Erfüllung findet als Mata Hari, als bombastisches Spiel mit den Schauwerten einer an Schauwerten reichen Ära. Fassbinder, der öffentlich davon geträumt hat, nach den Titelbildern von Spiegel und Stern auch das vom Time Magazine zu erobern, hat, nicht nur nebenbei, einen "gezielten Bewerbungsschuß" (Kluge) abgegeben. Wo, bitte, geht"s nach Hollywood?

© Hans C. Blumenberg

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