Der kleine Herr Friedemann

Deutschland 1990 TV-Film

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Heinz17herne
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Reges Leben herrscht im Lübecker Hafen, drei Fischerfrauen (Eva Schäfer, Christel Leuner und Gertraud Kreißig) haben alle Hände voll zu tun, die Kisten mit dem Fang ihrer Männer vom Kutter zu bugsieren. Dass ein Pompfünebrer mit einem Sarg im offenen Wagen vorbeifährt, übrigens ein immer wiederkehrendes Motiv in Peter Vogels Literaturverfilmung, fällt nicht weiter auf: Tod und Leben gehören eng zusammen.

Trinchen hat gerade am Kai ihr Baby gestillt, als eine „fliegende Kuh“ ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht: Gerade werden Rinder von einem Portalkran aufs Schiff verladen. Von einem älteren Herrn angesprochen, kommt sie nach ärztlicher Untersuchung als Amme in die Kaufmannsfamilie Friedemann. Frau Konsulin hat ihren ersten Jungen zur Welt gebracht. Doch Trinchen ist dem Alkohol verfallen, sodass sie den etwa einen Monat alten Säugling aus den Augen verloren hat, als dieser vom Wickeltisch fällt.

Jahrzehnte später lebt der mit einem „weit ausladenden Rücken“ gezeichnete Johannes Friedemann zusammen mit seiner inzwischen verwitweten, kränkelnden Mutter und seinen drei älteren, immer noch ledigen Schwestern Henriette, Friederike (Jenny Gröllmann) und Pfiffi unter einem Dach. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitet er vor allem mit dem Holzhändler Schlievogt (Dietrich Körner) zusammen, hat aber nicht wirklich viel zu tun und kann sich seinen musikalischen, Johannes spielt Violine, und literarischen Passionen widmen.

Er hatte sich als 16-Jähriger erstmals in ein Mädchen verliebt, die Schwester eines Klassenkameraden, doch die ist nun, so suggeriert Peter Vogels Adaption, die Gattin (Petra Gorr) seines Freundes, des Großkaufmanns Stephens (Johannes Terne). Beide sind die einzigen Gäste neben seinen Schwestern, die Mutter ist inzwischen gestorben, zu Johannes‘ 30. Geburtstag, auf dem er sein Inneres preisgibt: Zur Genussfähigkeit gehört Bildung und für seinen Seelenfrieden genügt die häusliche Behaglichkeit mit einer guten Zigarre zur Lektüre eines interessanten neuen Buches, freilich bisweilen auch ein Theaterbesuch und ein Spaziergang in den Anlagen vor der Stadt.

Schlievogt schalt ihn einen Epikureer, weil er die Einladung zu einem Fest, bei dem sich die höheren Töchter der Stadt im heiratsfähigen Alter präsentieren, ablehnt. Dabei ist er – mit dem nötigen Abstand von seiner Loge – gar nicht abgeneigt, die graziöse Schönheit einer Primaballerina (Jutta Deutschland) zu bewundern. Mit dem Seelenfrieden ist es freilich endgültig vorbei, als Gerda von Rinnlingen, die selbstbewusst-burschikose Gattin des aus der Hauptstadt gekommenen neuen Bezirkskommandeurs Oberstleutnant von Rinnlingen im selbst gelenkten Einspänner durch Lübecks Straßen prominiert und sich über den sogleich einsetzenden Klatsch der Provinzler wie etwa der Rechtsanwältin Hagenström (Lissy Tempelhof) und ihrer Tochter (Johanna Schall) stolz hinwegsetzt.

Ob in der engen Theaterloge bei einer Wagner-Oper, beim verspäteten Antrittsbesuch im Hause Rinnlingen oder bei einem großen Empfang des neuen Bezirkskommandeurs: Johannes Friedemanns glühende Leidenschaft für diese im Grunde unkonventionelle, Männern gegenüber zumeist abweisend-kühle, aus heutiger Sicht emanzipierte Frau, die offenbar mit ihrem Dienstmädchen Emma mehr Spaß hat wie mit ihrem verknöcherten Gatten, sich beim Baden im Fluss ein Glas Sekt bringen lässt und überhaupt ihrem Geschlecht offen zugetan ist, führt zwangsläufig in die Katastrophe…

So weit, so Thomas Mann, dessen Novelle „Der kleine Herr Friedemann“ zunächst im Mai 1897 als Beitrag in der Zeitschrift „Neue Deutsche Rundschau“ und im Jahr darauf in Buchform erschienen ist. Wer aus einer nur 25-seitigen Vorlage einen 95-minütigen Film gestalten will, kann die frühe Novelle des Literatur-Nobelpreisträgers nur als Handlungsgerüst nehmen. Dabei ist manches gelungen wie die (Alp-) Traumsequenzen der Titelfigur („Ich kann mir ja doch nicht entgehen“), einiges ist dem Zeitgeist geschuldet (Gerdas lesbische Neigung) oder dem Auftraggeber DDR-Fernsehen, das sich wieder in Deutscher Fernsehfunk umbenannt hat (Bernd Michael Lade spielt die hinzuerfundene Rolle des Kontoristen Fries, eines sozialistischen Agitators).

Einiges wie der gescheiterte Versuch Friedemanns, mit Beethovens Romanze in F-Dur ohne Begleitung vom Kapellmeister (Eckhard Becker) ins Theater-Orchester aufgenommen zu werden, geht als sinnvolle Ergänzung eines weiteren Scheiterns durch, die Zeichnung seiner drei Schwestern als einfältige Wesen ist dagegen noch nicht einmal unter dem Aspekt künstlerischer Freiheit akzeptabel. Und das Overacting des ansonsten großartigen, auch als Erzähler aus dem Off fungierenden Ulrich Mühe in der finalen Szene, die im Gegensatz zur Vorlage auch noch von der ganzen Gesellschaft beobachtet wird, wirkt schlichtweg kontraproduktiv.

Der opulente, häufig mit Originalzitaten gespickte Film, eine Produktion des Defa-Studios für Spielfilme (PL Katrin Wiedemann), ist erst nach der Erstausstrahlung in der ARD kurz vor Toresschluss in der DFF-Länderkette gezeigt worden. Die Musik von Richard Wagner und Arnold Schönberg ist vom Defa-Sinfonieorchester unter der Leitung Manfred Rosenbergs eingespielt worden.

Pitt Herrmann

Credits

Director

Screenplay

Director of photography

Cast

All Credits

Director

Screenplay

Director of photography

Production design

Cast

Commissioned by

Duration:
95 min
Screening:

Uraufführung (DE): 29.03.1991, ARD

Titles

  • Originaltitel (DE) Der kleine Herr Friedemann

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Original

Duration:
95 min
Screening:

Uraufführung (DE): 29.03.1991, ARD