Berlin - Alexanderplatz

Deutschland 1931 Spielfilm

Berlin – Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf


E. J. (= Ernst Jäger), Film-Kurier, Nr. 237, 9.10.1931


Reichen Beifall, viele Vorhänge fand gestern in einer Festvorstellung des Berliner Capitol der Allianz-Film "Berlin-Alexanderplatz", nach dem Roman von Alfred Döblin.

Hanns Brodnitz hatte auf den Rängen und im Parkett ein Ensemble der Prominenten des Berliner Lebens versammelt, wie man es noch zu keiner Premiere dieser Saison gesehen. Höchste Erwartungen waren auf das Werk gesetzt, das Interesse allgemein,– Gründe genug, anzunehmen, daß auch überall im Reich für den verfilmten Döblin der Zulauf eines besonderen Publikums einsetzen wird.

Das Publikum soll sagen: "Ah, der berühmte Roman . . ." und ins Kino strömen. Der Produzent Preßburger will mit einer guten Sache locken; dieser freigebige, nie entmutigte, wagemutige, nie enttäuschende, vorstoßende Produzent (er bringt ja auch Pallenberg-Kortner).

Oft schon hat der Film auf dem Alexanderplatz gestanden; schnitt die Sinfonie "Berlin" (Ruttmann-Meisels Meisterwerk) zusammen, atmete, lebte mit der Unterwelt, blickte in die Zille-Höfe der "Verrufenen" (Lamprecht) – fast immer aber aus romantischer Sentimentalität, Dirnenmystik, Verbrecher-"Gloriole". Diese Milieu- und Menschen-Reportagen vom Berliner Alexanderplatz waren nicht neu; Alfred Döblins Roman, die Geschichte des Franz Biberkopf, in Film zu überblenden, reizte, weil die literarische Formung des Berliner Wildmenschen rund um den Alex so enthüllend-revolutionär ist. Döblins Buch "Alexanderplatz" fixiert mit einzigen, einmaligen Blicken die Menschen dieser Zeit und gestaltet, die dunkle Macht hinter allen Dingen, die Dinge selbst, die Außenfront der Welt und ihr Innerstes, dazwischen homo simplex Biberkopf, ein Exemplar nur, nicht zu lösen von seiner Welt-Umgebung. Die Dichtung selbst wurde mit Kamera-Augen geschrieben, hundert montierte Einfälle auf jeder Dokumentenseite des Romans, mit dem Mikrophon eines Geistes registriert, der höchst zu bewundern bleibt – dem die Mikrophone der Tonfilm-Ateliertechnik nicht zu folgen vermochten...

Denn zu konstatieren bleibt: dieser literarische Film blieb eine Literatur-Kopie eines Romans; Extrakt fürs Kino, die Umarbeitung größerer Werte in einen bescheidenen Wert. Man irrte in einem: der Filmautor Döblin mußte gegenüber dem Dichter Döblin ein Amateur bleiben. (Und Hans Wilhelm, der Mitautor, ist nicht das Gestalter-Genie, das dem Dichter des Biberkopf vom Filmgestalten her kongenial wäre; so einen aber hätte der Film gebraucht.) Der Roman wurde nicht filmisch vervielfältigt – man vereinfältigte ihn.

Vereinfältigung eines literarischen Meisterwerkes für den Film. Der Mangel kongenialer Filmautoren begründet den Charakter-Fehler, – es muß noch einmal klärend gesagt werden. Film hat seine eigene Sprache, muß neu erfunden werden, nicht abgeleitet, sonst entsteht: ein Dichtungs-Ableger.

Bitte nicht mißverstehen: wir möchten Filme sehen, keine Literaturbearbeitungen.

Die Genußwerte des Döblin-Films liegen also in literarischer Sphäre – in die filmische Wirkungssphäre dringen sie nicht vor. (...)

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