Bomben auf Monte Carlo

Deutschland 1931 Spielfilm

Ein feiner Kerl

Analyse eines Ufa-Films



Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung, Nr.672-674, 10.9.1931


Obwohl ich mir am Ende den Vorwurf zuziehe, daß ich ein leichtes Sujet zu ernst nehme – tatsächlich verträgt richtige Leichtigkeit jede Belastung –, kann ich doch der Versuchung nicht widerstehen, den neuen Ufa-Tonfilm "Bomben auf Monte Carlo" zu analysieren: Er ist unter der Produktionsleitung Erich Pommers von Hanns Schwarz inszeniert worden, und zweifellos setzt man große Stücke auf ihn. Die Beschäftigung mit ihm ist um so lohnender, als er die kommende Saison eröffnet und durchaus dem Produktionsprogramm der Ufa entspricht, das in Notzeiten wie den unsrigen vom Film nicht Aufklärung fordert, sondern Zerstreuung.

In dieser Filmoperette ist die entscheidende Pointe die: ihr Held, der Kommandant irgendeines Balkan-Kriegsschiffes, fährt entgegen der ihm zuteil gewordenen Instruktion nach Monte Carlo, verspielt dort die Gelder, mit denen er seine Mannschaft hätte entlohnen sollen, und erklärt dann dem Spielsaalinspektor, daß er das Kasino beschießen werde, wenn man ihm nicht binnen 24 Stunden die verlorene Summe zurückerstatte. Und wirklich trifft er an Bord seines Schiffes alle Anstalten zum Feuerüberfall, und daß die Kanonen nach der festgesetzten Frist doch nicht losgehen, ist keineswegs seiner Einsicht, sondern nur den äußeren Umständen zu danken. Nicht die Unmöglichkeit eines solchen Vorgangs wird der Operette verübelt werden können; wohl aber seine Anrüchigkeit. Was stellt er denn dar? Dem unvoreingenommenen Blick, den das Schimmerlicht Monte Carlos nicht blendet, enthüllt er sich als eine Veruntreuung, die durch eine brutale Erpressung noch erheblich verschlimmert wird. Vertrauensbruch, Defraudation und widerrechtliche Anwendung von Gewalt: ein reizender Tatbestand. Das bietet die Ufa zwischen ein paar harmlosen Gesängen, Liebesszenen und Landschaftsbildern dem Publikum an, das nennt sie wahrhaftig Zerstreuung. Aber diese Zerstreuung zerstreut uns nicht inmitten der Not; sie beweist höchstens, daß die Not viele Hemmungen und Gewissensskrupel zerstreut hat.

Da kein Zuschauer die Verfehlungen des Helden gutwillig hinnähme, müssen sie sanktioniert werden. Nichts einfacher als das. Indem man den Helden als einen "Kerl" hinstellt, glaubt man, seine Handlungsweise nicht nur entschuldigt, sondern gar in höhere Sphären erhoben zu haben. Freund und Geliebte stimmen am Schluß darin überein, daß er trotzt seiner Charakterlosigkeit der feinste Kerl sei, den es überhaupt gebe. Natürlich wird er von Hans Albers gespielt, dessen Bestimmung nachgerade zu sein scheint, den Typus des feinsten Kerls zu verkörpern. Wider das Kerltum wäre nun kaum etwas einzuwenden, wenn es nicht an eine Stelle aufrückte, die ihm nicht zukommt. Statt daß der Prachtkerl sich bei allem Leichtsinn und Übermut den Moralbegriffen unterordnet, die eine gesittete Gesellschaft zusammenhalten, erlaubt er sich, was ihm gefällt, und ernennt sich selber zur letzten Instanz; statt daß er sich durch die Gesetze begrenzen läßt, macht er seine Art zum Gesetz. Ungestraft und nur, weil er ein Kerl ist, darf der Held des Films den Kasinoverwalter einlochen und die nichtsahnenden Besucher Monte Carlos in Schrecken versetzen. Ihn zum Idol emporsteigern, heißt nichts anderes, als dem blinden Triebleben den Primat vor der Vernunft zu erteilen, mit der die menschliche Gemeinschaft sich selbst einschränkt, um zu bestehen.



Die bloße Natur wird zum Trumpf und ihre unkontrollierbaren Ansprüche erniedrigen die des Rechts. Ein Rückfall ins Mythologische, der vermutlich die weltanschaulichen Bedürfnisse des rechts orientierten Publikums befriedigt. Und wie um ihnen noch mehr entgegenzukommen, hat die Ufa auch die Tatsache ausgenutzt, daß von der unkritischen Naturanbetung nur ein Schritt zur Vergötzung des militärischen Apparates ist. Das Atelierschlachtschiff blitzt, der Waffenrock des Kommandanten blitzt, und auch die Matrosen sind blitzende Kerls. Ohne zu murren, befolgen sie den Befehl, die Kanonenrohre auf das Kasino zu richten, und durch ihren unangebrachten Gehorsam wird nach dem Willen der Ufa nicht etwa die Militärspielerei desavouiert, sondern umgekehrt: das kriegerische Matrosenleben dient dazu, die Erpresserallüren mit einer Gloriole zu umweben. Der Betrug schadet nicht der Uniform; diese vielmehr erhöht den zweifelhaften Kerl vollends zum Staatskerl, dem der Betrug nachgesehen werden muß.

Trauriger beinahe als diese Haltung, die, wenn ich mich nicht täusche, für zahlreiche Ufa-Produkte und damit selbstverständlich auch für weite Kreise des Publikums bezeichnend ist, stimmt die Fülle der in den Film gesteckten Arbeit. Sie ist in einem entscheidenden Sinne wertlos. Denn die Ehrlichkeit im kleinen macht die Fragwürdigkeit des Ganzen nicht gut, sondern wird durch sie nur entwertet, und der auf die Details verwandte Fleiß unterstreicht unnachsichtig die Denkfaulheit, durch die das Erzeugnis verschuldet worden ist. Ihr sind wohl auch jene Szenen zuzuschreiben, die plump den einen oder anderen Effekt des Films: "Liebesparade" zu kopieren versuchen, ohne daß es ihnen gelänge, seine Anmut mit herüberzunehmen. Arme Anna Sten, die in einer solchen Umwelt auftreten muß; sie ist – man weiß es aus dem "Karamasoff"-Film – zu viel, um in ihr etwas zu sein. (...)

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

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