Töchter zweier Welten? Frauenfiguren, Filme von Frauen

Ein beliebtes Sujet des deutschen Migrationsfilms der 70er und 80er Jahre war das Schicksal der türkischen Frau: zweifach fremd als Frau und als Ausländerin – sprachlos, rechtlos, ausweglos. Große Veränderungen fanden seitdem im Leben der zweiten und dritten Generation der Deutschtürkinnen statt. Eine Generation selbstbewusster Filmemacherinnen steht nun hinter der Kamera. "Von deutscher Seite werden noch immer sozialkritische Filme erwartet. Ich will aber Geschichten mit Seelen und Herz machen", sagte Buket Alakus, die 2001 den Spielfilm "Anam" in die Kinos brachte, in einem Interview im "Schnitt". Der Film sollte "unterhalten, aber trotzdem stellenweise an Konventionen kratzen. (...) Anam selbst ist schließlich auch keine Türkin, wie sie das Filmklischee zu kennen glaubt."

 
© Wüste Filmproduktion, Foto: Romano Ruhnau
Saskia Vester, Nursel Köse, Audrey Motaung in "Anam" (2001)

Die Probleme der arrangierten Hochzeit und der Gewalt in der Ehe werden von Serap Berrakkarassu in dem Dokumentarfilm "Töchter zweier Welten" zwar thematisiert, doch es wird kein Opfertum zelebriert. Im Zentrum des Films steht der Dialog zwischen zwei Frauengenerationen, die einen eigenen Weg entlang zweier Kulturen finden müssen. In "Mädchen am Ball" und "Nach dem Spiel" porträtiert Aysun Bademsoy fünf deutsch-türkische Fußballerinnen. Im Mittelpunkt ihrer 30-minütigen Dokumentation "Ein Mädchen im Ring" steht die Boxerin Fikriye Selen, die in Köln im Verein "Faustkampf" mit 40 Männern trainiert. In "Wie Zucker im Tee" zeigt Hatice Ayten Menschen, die "charmant lächelnd die Zähne zeigen und Schluss mit der alten Leier von der zerrissenen Identität" machen.Ayşe Polat schaffte es, mit "Auslandstournee" kulturelle Umbrüche und geschlechtliche Grenzen humorvoll zu porträtieren. In diesem Roadmovie reist ein schwuler Schlagersänger mit einem elfjährigen Mädchen von der Türkei nach Deutschland auf der Suche nach ihrer verschollenen Mutter. Ihr zweiter Film "En Garde" erzählt von der Freundschaft zweier außergewöhnlicher Mädchen: der kurdischen Asylsuchenden Berivan und der deutschen Großbürgerin Alice. "En Garde" wurde beim Internationalen Filmfestival von Locarno mit dem Silbernen Leoparden ausgezeichnet.

© X Verleih
Pinar Erincin, Maria Kwiatkowsky in "En Garde" (2004)

Auch die Schauspielerin Idil Üner wagte erfolgreich den Wechsel hinter die Kamera: Ihr Regiedebüt, die Komödie "Die Liebenden vom Hotel Osman" erhielt 2001 den Deutschen Kurzfilm-Preis in Gold. Ein erfrischendes Beispiel für den filmischen Umgang mit transnationalen Identitäten gibt Nachwuchsregisseurin Canan Yilmaz, wenn sie fragt "Ben Kimim? / Wer bin ich?" (2003): In dem vierminütigen Film sieht man eine junge Frau im schwarzen Pullover und mit Dreadlocks, die sich im Raum dreht. Auf die Zuschauer gerichtet, fragt sie sich (und ihr Publikum) in Deutsch und in Türkisch: "Ben Kimim? / Wer bin ich?" Und sie antwortet gleich: "Ich bin eine Deutsche! Eine Türkin! Eine deutsch-türkische Bürgerin. Eine Deutschtürkin, eine in Deutschland geborene Türkin. Eine türkischstämmige Deutsche, eine Halbdeutsche. Deutsch, Türkisch, Deutsch-Türkisch?" Am Ende des Films trägt sie ambivalent und augenzwinkernd pathetisch ein Gedicht auf Türkisch vor: "Der Tag wird kommen, da wirst auch du wissen, was du bist. Mein Herz blutet, mein Herz brennt. Was bin ich? Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Wer bin ich?" Die junge Frau, nun mit Kopftuch und vollkommen in blaue Seide eingehüllt, dreht sich in dem Raum. Der Körper der Regisseurin/Darstellerin ist hier gleichzeitig Authentifizierung – für ihre nicht an Stereotypen festzumachende Identität – und Spielwiese. "Ben Kimim" ist gleichermaßen ein Spiel mit der Kamera wie mit Eigen- und Fremdbildern – mit ihren (der Regisseurin) eigenen und denen der Zuschauer, die beim Zuschauen Teil des Spiels geworden sind.