Olle Henry

DDR 1982/1983 Spielfilm

Draußen vor der Tür


Fred Gehler, Film und Fernsehen, Nr. 2, 1984


1945 kehrt Wolfgang Borchert in die Trümmer Hamburgs zurück. Einer aus der Reihe jener Männer, die noch House kommen, und doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Zwei Jahre bleiben ihm zum Schreiben – es ist ein Wettlauf mit dem Tode. Gepeinigt von Visionen, besessen vom Mitleiden mit den Hungernden, Krüppeln und Heimatlosen. (…)

Henry Wolters, einst genannt "Olle Henry", ist einer von denen. Auch er war lange weg. Sehr lange, und mit Sicherheit zu lange. Er ist anders wiedergekommen als er wegging. Wolfgong Borchert hat auch ihn beschrieben: "Äußerlich ist er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel (und abends manchmal auch die Menschen) zu erschrecken. Innerlich – auch." Auch Henry Wolters" Zuhause ist draußen vor der Tür. (…)

Es gibt ihn auch nicht mehr, diesen Olle Henry. Aufgebaut wird die Hülle eines Mannes. Xenias grotesk-tragischer Irrtum, dies nicht zu erkennen oder das Ahnen darum zu verdrängen: Pygmalion 1946.

Es ist viel Engherziges über "Olle Henry" geschrieben worden. Mit einem schon inflationären Gebrauch der Vokabeln vom "Niemandsland" und "Zwielicht", wo sich der Film von Ulrich Weiß und Dieter Schubert angeblich aufhalte. Befremdlich, "kühl" und "sonderbar" sei er obendrein. Mir scheint vielmehr, als hätte hier ein Großteil der Kritiker mehr mit sich selbst und dem eigenen Selbstverständnis zu tun gehabt als mit dem konkreten Film. In dieser Rezeption spiegeln sich vorab Schwierigkeiten, ein antinaturalistisches Zeitbild zu akzeptieren, eine Geschichte anzunehmen, die konsequent auf illustrativen Ballast verzichtet und ihre Figuren auf eine existentielle Substanz hin befragt und interpretiert. Olle Henry ist eine Kunstfigur, in der sich die Ängste und Beklemmungen einer konkreten Zeit verdichtet haben. Zweifellos ein Protagonist jener Jahre – genau und stimmig erfühlt. (…)


Ein "Nachkriegsfilm" im engeren Sinne ist "Olle Henry" nicht und wollte es auch nicht sein. Sein Ziel heißt nicht Nachreichen von Aufklärung. Die Geschichtsstunde findet nur im Kontext mit den Räumen und Freiräumen statt, die ein Zuschauer selbst gedanklich zu nutzen weiß. Impulse scheinen mir genügend vorhanden.

Höchst aufschlußreich, "Olle Henry" im Dialog mit den vorangegangenen Arbeiten von Ulrich Weiß zu sehen, das Wiederkehren von geistigen Motiven zu beobachten, ihre Varianten, auch ihre Umstülpung. (…)

Ein anderes Motiv mit Wiederkehr: die Sprachlosigkeit, die Schwierigkeiten menschlicher Kommunikation. Sinnfällig gemacht an Ausnahmesituationen: Einer gerät unter Menschen anderer Rasse und Farbe. Einer schwimmt isoliert im braunen Meer des Nazismus. Einer ist davongekommen und gehört doch nicht mehr recht dazu. Es kommt zum Versuch, eine Rolle zu übernehmen, für die es schon keine Voraussetzungen mehr gibt: Blauvogel soll wieder ein "Weißer" werden, Olle Henry ein Killer im Ring. Doch: man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen. (…)

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