Werkschau Helke Sander im Kino Arsenal

Von 21. bis 27. Februar zeigt die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin eine Werkschau anlässlich von Helke Sanders 85. Geburtstag. Sechs Lang- und fünf Kurzfilme der Regisseurin und Autorin werden in neuen, digital restaurierten Versionen präsentiert. Die sieben Filmabende werden von Gesprächen und Einführungen begleitet.

 

Seit 1966 widmet sich Helke Sander in ihren Filmen spezifisch weiblichen Erfahrungen und Sichtweisen auf die Realität. Zentrale Themen ihres Œuvres sind das ungleiche Geschlechterverhältnis und die patriarchal geprägten Gesellschaftsstrukturen in Deutschland. Zugleich versuchte Sander stets, diese Verhältnisse auf der Grundlage ihres eigenen künstlerischen Wirkens zu verändern. Ihr Werk reflektiert die Wechselwirkung von künstlerischer Praxis, feministischem Engagement und theoretischer Reflexion. So flossen ihre Erfahrungen als alleinerziehende Freiberuflerin ebenso in ihre Filme ein wie ihr Engagement für eine zeitgemäße Kinderbetreuung. Helke Sander gründete ein Frauenfilmfestival und die erste feministische Filmzeitschrift in Europa, "Frauen und Film".

Die Werkschau aus Anlass des 85. Geburtstages der Regisseurin beleuchtet ihr filmisches Schaffen aus vier Jahrzehnten und präsentiert neueste digitale Restaurierungen ihrer Werke. Auftakt der Werkschau bildet ein Programm mit Kurzfilmen, das zwanzig Jahre filmischer Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen und den Lebenserfahrungen von Müttern reflektiert. "Subjektitüde" (BRD 1966), ihr erster Film an der Filmhochschule dffb, durchbricht mit Witz die klassische Filmkonstellation 'Boy meets Girl'. Eine junge Frau und zwei Männer taxieren sich gegenseitig an einer Bushaltestelle. Die junge Frau ist selbstverständlich Subjekt in dieser Ménage-à-trois der Blicke und nicht bloß Objekt einer männlichen Perspektive. In "Silvo" (BRD 1967) filmt Helke Sander den Alltag ihres kleinen Sohnes und fragt nach den Bedürfnissen von Kindern, die in den filmischen und politischen Emanzipationsdiskursen keine Rolle spielen. "Nr. 1 – Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste" (BRD 1985) zeigt, zu welch halsbrecherischen Maßnahmen eine Mutter angesichts der damals in Berlin herrschenden Wohnungsnot greift: Mit dem vor den Bauch gebundenen Kind besteigt sie einen haushohen Kran, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. In ihrem Beitrag zu dem Episodenfilm "Sieben Frauen – Sieben Sünden" widmet sich Helke Sander der Todsünde Völlerei: "Völlerei – Völlerei? Füttern!" (1986). "Muss ich aufpassen?" (BRD 1986) ist der zweite Teil des Episodenfilms "Felix", in dem ein moderner Mann – gespielt von Ulrich Tukur – ein unverbindliches Abenteuer sucht. Dabei trifft er auf zwei Frauen, die ihn lehren wollen, dass lustvolle Sexualität mit Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein zusammenhängt.

Helke Sanders erster Langfilm "Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers" (BRD 1978) ist eine gewitzte Schilderung der gesellschaftlichen Realität berufstätiger, alleinerziehender Mütter. Die von der Regisseurin gespielte Hauptfigur lebt prekär als freie Fotografin von Job zu Job und zieht außerdem alleine ihre Tochter groß. Zeit für eigene Interessen oder ein Liebesleben bleibt da kaum. Über die hellsichtige Darstellung der in Doppel- und Dreifachbelastungen gefangenen Frauen hinaus ist "Redupers" ein authentisches Dokument des ummauerten West-Berlin sowie eine Studie über den Widerspruch zwischen künstlerischer Freiheit und ökonomischem Zwang. "Der subjektive Faktor" (BRD 1981) ist ein autobiografisch gefärbter Rückblick auf die Zeit der Studentenbewegung und die Rolle der Frauen darin. Dokumentarisches Material und Spielfilmhandlung sind in lose verbundenen Szenen zu einer hellsichtigen Bestandsaufnahme montiert: Eine junge Studentin mit Kind engagiert sich politisch und erkennt zunehmend, dass die Idee der Befreiung auch im eigenen Alltag Anwendung finden muss. Sie schließt sich mit anderen Frauen zusammen, um gegen die gesellschaftlichen Strukturen zu kämpfen, durch die Frauen auch in politisch linken Zusammenhängen benachteiligt sind.

"Der Beginn aller Schrecken ist Liebe" (BRD 1984) widmet sich dem scheinbar rein privaten Bereich großer Gefühle wie Eifersucht und Liebe. Freya und Irmtraut müssen nicht mehr um ihre ökonomische Unabhängigkeit oder die Vereinbarkeit von Beruf, Engagement und Mutterschaft kämpfen. Aber in der Konkurrenz der beiden Freundinnen um einen Mann werden für überholt gehaltene Geschlechterklischees wieder wirksam. Ironisch werden romantische Ideale, Rollenverhalten und Frauensolidarität auf den Prüfstand gestellt. "Die Deutschen und ihre Männer. Bericht aus Bonn" (BRD 1989) ist ein satirischer Dokumentarfilm mit fiktionalen Elementen: Lieschen Müller aus Österreich kommt in die damalige Bundeshauptstadt Bonn, um sich im Politikbetrieb nach einem geeigneten Mann umzusehen. Sie befragt die Alphamänner in diesem seltsamen Soziotop nach ihrem Selbstverständnis als (deutsche) Männer und entlarvt die Bonner Republik als ziemlich Feminismus-resistent. "BeFreier und Befreite" (D 1992) ist das Ergebnis einer jahrelangen Recherche zu den Massenvergewaltigungen durch die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs. In zwei Teilen und zusammen 190 Minuten legt die Regisseurin erstmals konkrete Zahlen über das Ausmaß der Gewaltverbrechen vor. Sie interviewt vergewaltigte Frauen, ehemalige Angehörige der Roten Armee und die aus den Übergriffen entstandenen Kinder und montiert diese Aussagen mit Archivmaterial und Dokumenten. Eine Emotionalisierung des Themas wird vermieden, nicht zuletzt um zu verhindern, dass dem Film revanchistische Absichten unterstellt werden. Helke Sander geht es ausdrücklich um die Feststellung, dass Vergewaltigungen als Kriegsmittel eingesetzt wurden, und nicht um Fragen von Schuld und Gerechtigkeit. Dass die Vorkommnisse von 1945 exemplarisch zu verstehen sind, bestätigte sich kurz nach der Uraufführung des Films bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin auf grausame Weise, als es im Jugoslawienkrieg zu massenhaften brutalen Übergriffen auf Bosnierinnen kam.

"Mitten im Malestream" (D 2005) ist schließlich Rückblick und Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung und ihren Anfängen: Was hat sich bezüglich der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft geändert, wie aktuell sind die Kämpfe für eine bessere Kinderbetreuung oder die Abschaffung des Abtreibungsverbots? Was hat sich im Geschlechterverhältnis getan? Archivmaterial und Filmausschnitte werden in einer Runde von acht Künstlerinnen und Aktivistinnen diskutiert. 

Die Filme von Helke Sander sind im Filmverleih der Deutschen Kinemathek verfügbar. Die neu digitalisierte Fassung von "Redupers" wird ab dem 1.3.22 den Kinos zur Wiederaufführung angeboten und außerdem auf der SVOD-Plattform "Cinemalovers" parallel neben zwei weiteren Filmen der Regisseurin zur Verfügung gestellt.

Quelle und vollständiges Programm: www.deutsche-kinemathek.de