Preisträger der 42. Duisburger Filmwoche

Nach einer Woche vielfältigen Programms fand die 42. Duisburger Filmwoche am Sonntag ihren Höhepunkt in der feierlichen Preisverleihung. Im filmforum am Dellplatz wurden fünf Auszeichnungen im Gesamtwert von 23.000 Euro vergeben.

Der 3sat-Dokumentarfilmpreis ging an "Kulenkampffs Schuhe" von Regina Schilling. Der Arte-Dokumentarfilmpreis wurde an "Barstow, California" von Rainer Komers vergeben. Den Förderpreis der Stadt Duisburg erhielt "Der Funktionär" von Andreas Goldstein. Der "Carte Blanche" – Nachwuchspreis des Landes NRW ging an "Aggregat"  von Marie Wilke und mit dem Publikumspreis der Rheinischen Post wurde "Seestück" von Volker Koepp ausgezeichnet.

Insgesamt wurden in der letzten Woche 23 Dokumentarfilme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt und diskutiert. Festivalleiter Werner Ružička resümiert: "Es war eine ganz wunderbare Filmwoche, diese letzte, die ich leiten durfte. Großartige Filme, sehr engagierte Diskussionen und viel Publikum. Die Duisburger Filmwoche und der Dokumentarfilm sind bestens aufgestellt für eine glänzende Zukunft. Mir bleibt zu sagen: danke!"

3sat-Dokumentarfilmpreis

Der mit 6.000 Euro dotierte 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm, überreicht durch Natalie Müller-Elmau, Koordinatorin 3sat, ging an

"Kulenkampffs Schuhe"
von Regina Schilling
DE 2018 | Farbe | 92 Min.

Begründung der Jury:
"'Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen', heißt es bei William Faulkner. Was das für die deutsche Geschichte heißt, zeigt dieser Film. Er öffnet einen neuen Blick auf die NS-Zeit und ihre Nachwirkungen, die vor einem Begriff wie 'Stunde null' eben nicht Halt gemacht haben. Der Film tut das mit alten Bildern: mit privaten Aufnahmen vom scheinbaren Familienidyll der Wiederaufbaujahre und Fernsehmaterial aus jener Zeit. Die Geschichte eines Vaters, der bei Kriegsende ein junger Mann war, wird übergeblendet in eine Mediengeschichte der Bundesrepublik, in der die Generationsgenossen Hans Joachim Kulenkampff, Hans Rosenthal und Peter Alexander zu Ersatzautoritäten werden. In seiner Revision des populären Bewegtbilds der ersten Nachkriegsjahrzehnte legt der künstlerisch konsequente und erzählerisch präzise Film frei, was immer nur am Rande gesagt werden kann, weil alle von dem Gleichen schweigen: Schuld und Trauma. Nicht zuletzt ist diese Arbeit ein unbedingtes Plädoyer für die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Archive: Was dort an Schätzen gehoben werden kann, zeigt 'Kulenkampffs Schuhe'. Und wenn die ARD den Überraschungserfolg in ihrem Sommerprogramm wirklich verstanden hat, dann muss sie einen anderen Zugriff auf solches Material möglich machen als bislang – auch um zu verhindern, dass dieser Film nach Ablauf irgendwelcher Rechte wieder verschwindet."

Synopse:
Samstagabend mit vom Wirtschaftswunder ermatteten Eltern vor den Empfängern: Kulenkampff, Alexander und Rosenthal sind so alt wie Papa. Sie bieten neuartige Zerstreuung, kleinbürgerliche Selbstvergewisserung, Therapie für ein Land in Amnesie. In Versprechern, Unbeholfenheiten, Subtilitäten wiegt die beschwiegene Vergangenheit gleichwohl schwer auf der leichten Unterhaltung und ihren Zuschauern.

10. November 2018, die Jury: Matthias Dell, Tereza Fischer, Lena Stölzl

ARTE-Dokumentarfilmpreis

Der mit 6.000 Euro dotierte ARTE-Dokumentarfilmpreis, überreicht durch Dr. Markus Nievelstein, Geschäftsführer ARTE Deutschland, ging an

"Barstow, California"
von Rainer Komers
DE/US 2018 | Farbe | 76 Min. | Deutsche Erstaufführung

Begründung der Jury:
"'Meine Haut fühlt sich warm und lebendig an, diesen September in Saint Quentin. Als wäre ich eine Eidechse, die sich auf einem großen Stein sonnt.' Das sagt die Stimme des Dichters und Häftlings Spoon Jackson, während wir auf Landschaftsbilder der sonnendurchtränkten Mojave-Wüste in Kalifornien schauen. Der Film "Barstow, California" (der Geburtsort von Spoon Jackson) ist sowohl ein ergreifendes Portrait der Kalifornischen Wüste und des in ihr eingeschriebenen Lebens als auch eine Begegnung mit Jackson, der seit 1977 in zahlreichen Gefängnissen in lebenslanger Haftstrafe einsitzt. Komers lässt Jackson Passagen aus dessen Autobiographie verlesen, die wir im Off hören, ohne ihn selbst je ins Bild zu bringen. Stattdessen sehen wir eine virtuose und überraschende Kollage von kinematographisch eindrucksvollen Landschaftsbildern der Gegend, in der Jackson seine kurze Kindheit und Jugend verbrachte. Diese wird uns mitunter vorgestellt von zwei der 18 Brüder Jacksons, die in Freiheit leben und Auskunft geben über eine Familiengeschichte, die geprägt ist von Armut, Gewalt, Einsamkeit und Rassismus. All das wird verhandelt, ohne je ins Zentrum gerückt zu werden: So entsteht ein Bild von Spoon Jackson aus kleinen und kleinsten Teilen, die nie zu eindeutig, nie zu klar, nie zu einfach sich zueinander fügen und gerade darin den Mensch wie den Ort zum Schillern bringen. Herzlichen Glückwunsch Rainer Komers!"

Synopse:
Die Brache eines Mythos: Der kleine Ort Barstow liegt in der Mojave-Wüste vor L.A. Hier treffen sich Straßen, Gleise, immer weniger Menschen. Felsen werden abtransportiert, Geschichten bleiben. Spoon Jackson verbüßt seit 1977 eine lebenslange Haftstrafe. Seine Stimme, die Geschichte seiner Herkunft, seiner Adoleszenz, legt sich versonnen über das Hinterland eines Traums, das er nicht mehr betreten darf.

10. November 2018, die Jury: Alejandro Bachmann, Pepe Danquart, Antje Ehmann

Förderpreis der Stadt Duisburg

Der mit 5.000 Euro dotierte Förderpreis der Stadt Duisburg, überreicht durch den Beigeordneten Thomas Krützberg, Leiter des Dezernats für Familie, Bildung und Kultur, Arbeit und Soziales der Stadt Duisburg, ging an

"Der Funktionär"
von Andreas Goldstein
DE 2018 | Farbe & s/w | 72 Min.

Begründung der Jury:
"Dem Vater nachspüren, die Vergangenheit verstehen, sich in eine Zeit und ein Denken einfühlen: Diese drei Bewegungen setzen eine Suche in Gang, die das Zueinander von Filmemacher und Vater zu etwas Größerem machen: Insistierend und ruhig, sezierend und zugleich betroffen – in dieser Mischung aus Dringlichkeit und Vorsicht verwebt Andreas Goldstein die Systeme und Funktionsweisen des Staates und der Medien mit dem System Familie, ohne dies je in zu einfachen Analogien aufgehen zu lassen. Das kann der Dokumentarfilm: Ich sagen und sich selbst befragen und dabei nach außen deuten, um die Bedeutungen von Bildern – von Vätern, Idealen, Ideologien – zu vervielfachen und so – for better or worse – lebendig zu halten. Der Förderpreis der Stadt Duisburg geht an Andreas Goldsteins 'Der Funktionär': Herzlichen Glückwunsch!"

Synopse:
Der Vater führt ein Leben im Sprechen, ein Leben im Apparat: Klaus Gysi ist Schauspieler der Macht; beherrscht ihre Gesten, die Choreographien öffentlichen Sprechens in der DDR. Er macht Karriere, solange Seilschaften funktionieren. Zuhause übt er Reden vor dem Spiegel. Seine Kinder, seine Familie erleben ihn nur in Momentaufnahmen, auf Probe.

10. November 2018, die Jurys: Alejandro Bachmann, Pepe Danquart, Matthias Dell, Antje Ehmann, Tereza Fischer, Lena Stölzl

"Carte Blanche"
Nachwuchspreis des Landes NRW

Der mit 5.000 Euro dotierte "Carte Blanche" – Nachwuchspreis des Landes NRW, überreicht durch Ruth Schiffer, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, geht an

"Aggregat" 
von Marie Wilke
DE 2018 | Farbe | 92 Min.

Begründung der Jury:
"Von 'Haltung' reden zumeist die Leute, die keine haben. Das Wort funktioniert als Gratislob, das überall draufgepappt werden kann, weil es nie begründet werden muss. Was Haltung fürs Filmemachen bedeutet, zeigt dieser Film: Er versucht sich an einer Deutschland-Beschreibung unserer aufgekratzten Gegenwart und er hat sich Gedanken gemacht, wie das zu bewerkstelligen ist. Die Kamera beobachtet verschiedene Öffentlichkeiten – vom Bundestagsbesucherzentrum über Bürgergespräche und Pegida-Aufmärsche bis zur 'Bild'-Zeitungsredaktionskonferenz – und sie tut das aus nüchterner Distanz. Zwischen den Szenen steht langes Schwarzbild: Auch damit schützt sich der Film vor jener unterreflektierten Faszination, mit der Medien häufig auf kalkulierte Beeinflussungen von rechts reagieren. 'Aggregat' wird so zur Beobachtung der Beobachtung, in der sich mit Abstand betrachten lässt, was die Newsproduktion tatsächlich produziert: etwa einen absurden, weil immer nur auf Rassismen rumhackenden Fernsehbeitrag über den Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Die Fernsehjournalisten würden, darauf angesprochen, vermutlich sagen, sie fragen nur, was sich eh jeder fragt. Dass es komplizierter ist, zeigt Marie Wilkes Film: Hier kann man dem Framing bei der Arbeit zuschauen."

Synopse:
Eine Demokratie im Sprechen, manchmal im Gespräch: Gerahmt oder enthemmt, gespielt oder entschieden. Simulierte Abstimmungen und bemühte Volksnähe. Im bunten Infomobil, in kalten Konferenzräumen und warmen Kneipen, auf Demonstrationen im Regen und in wohnlichen Redaktionen: Ergriffene und erteilte Worte durchdringt ein neuer Ton.

10. November 2018, die Jurys: Alejandro Bachmann, Pepe Danquart, Matthias Dell, Antje Ehmann, Tereza Fischer, Lena Stölzl

Der Preis soll Ansporn sein, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Das Potenzial, das der Siegerfilm zeigt, soll weiter ausgeschöpft werden. Die Preisträgerin wird dabei durch ein Mentorat unterstützt und soll beim nächsten Projekt von einem erfahrenen Filmemacher oder einer erfahrenen Filmemacherin begleitet werden.

Im Anschluss an die Überreichung der "Carte Blanche" verlieh das Land NRW, vertreten durch Ruth Schiffer, ein Arbeitsstipendium für den künstlerischen Dokumentarfilm für Kinder oder Jugendliche, das in Kooperation mit dem Filmbüro NRW und doxs!/Duisburger Filmwoche organisiert wird und mit 9.900 Euro dotiert ist.

Dana Linkiewicz ist mit ihrem Projekt "Die große Stille" die erste Stipendiatin des neuen Stipendiums des Landes NRW. Ihr Projekt widmet sich der prekären sozialen Situation einer jungen Generation in Deutschland und will Jugendlichen Anstoß geben, wieder für ihre Zukunft zu kämpfen.

Publikumspreis der Rheinischen Post

Der mit 1.000 Euro dotierte Publikumspreis der Rheinischen Post, überreicht durch Peter Klucken, geht an

"Seestück"
von Volker Koepp
DE 2018 | Farbe | 136 Min.

Synopse:
Die Orte, deren Licht einst romantische Bildnisse inspirierte, sind noch da. Die Erzählungen ändern sich. Windparks ragen nunmehr in die diesigen, hohen Himmel über der Ostsee. Kreuzfahrtschiffe funkeln in der Dämmerung. Ein Raum, überformt durch Bilder, Politik und Lebensweise verändert sich in den Worten derer, die ihn beschreiben.

10. November 2018, die Jury: Margret Daniels, Kurt Große-Gehling, Markus Hainbach, Rosa Menges, Marianne Neumann

doxs!-Preise

Bereits am Freitag, den 9. November 2018, gewannen im Rahmen von "doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche 17" Filmemacher André Hörmann und Anna Bergmann mit ihrem Festivalbeitrag "Obon" (DE 2018, 15 Min.) die mit 5.000 Euro dotierte "Große Klappe" in Duisburg. In dem Gewinnerfilm erinnert sich eine der letzten Überlebenden an den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Der Schmerz ist noch lebendig, doch die 93-Jährige verbindet mit der Katastrophe auch eine positive Erfahrung: Ihr bis dahin unnahbarer und überstrenger Vater war danach ein anderer Mensch und schenkte seiner Tochter endlich die Aufmerksamkeit und Nähe, nach der sie sich immer gesehnt hatte.

Eine lobende Erwähnung sprachen die Juroren für "Operation Jane Walk" (AT 2018) von Leonhard Müllner und Robin Klengel aus. Der 21-minütige Kurzfilm folgt zwei Reiseleitern auf ihrer Sightseeingtour durch ein postapokalyptisches New York im Gewand eines Computerspiels.

Neun europäische Produktionen aus dem Festivalprogramm waren 2018 für die mit 5.000 Euro dotierte "Große Klappe" nominiert. Die Auszeichnung wird in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb vergeben und würdigt Dokumentarfilme, die Kinder und Jugendliche ansprechen und dabei in besonderem Maße ästhetische und politische Debatten anstoßen.

Der ECFA Documentary Award, der in diesem Jahr zum dritten Mal im Rahmen von doxs! vergeben wurde, ging an "Apollo Javakheti" (GE 2017, 16 Min.) des georgischen Regisseurs Bakar Cherkezishvili. Im Mittelpunkt des prämierten Films steht ein Junge, der mit seiner Mutter unter einfachen Bedingungen in der georgischen Provinz lebt – und fest entschlossen ist, eines Tages als Astronaut zum Mond zu fliegen. Was ihm dafür an Mitteln fehlt, gleicht er mit seiner Fantasie aus.

Quelle: www.duisburger-filmwoche.de