Seestück

Deutschland 2017/2018 Dokumentarfilm

Inhalt

Dokumentarfilm über die Natur und die Menschen an unterschiedlichen Orten der Ostsee. Volker Koepp reist unter anderem auf die Insel Usedom, zu den Stränden Polens, an die baltischen Küsten und auf die nördlichen Schären Schwedens. Er porträtiert die Region jedoch abseits ihres Images als Urlaubsziel als Heimat unterschiedlichster Menschen: Fischer, Wissenschaftler, Seeleute und junge Menschen auf der Suche nach einer Perspektive sprechen über ihre ganz persönliche Sicht auf die See. Auch die politischen Konflikte zwischen Ost und West, regionale Egoismen sowie ökologische Probleme spiegeln sich in der Geschichte und der Gegenwart der Ostsee wider. Daneben wird das Meer als eindrucksvolles Naturschauspiel gezeigt, das sich zu unterschiedlichen Jahreszeiten immer anders präsentiert.

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ewald Hellfritz ist seit Jahrzehnten Strandfischer. Aus Oberschlesien stammend war er als Kind zu Besuch in Ahlbeck und ist an der Ostsee hängengeblieben. Zander und Aale gibt es gar nicht mehr und der Heringsfang ist längst nicht mehr so einträglich wie zu DDR-Zeiten, wo auch Frauen in der Genossenschaft tätig waren. Was an der Wasserverschmutzung durch Haushaltschemikalien und Düngemittel der Landwirtschaft liegt, aber auch am Klimawandel, der die Meere erwärmt. Und am Naturschutz: Kormorane und Robben machen ihm den Fang streitig.

Der Greifswalder Romanistik-Professor Reinhard Bach, ein gebürtiger Thüringer, hat sich der Restaurierung historischer Schiffe verschrieben. Er warnt vor der Ausbeutung der Natur, zitiert den Greifswalder Romantiker Caspar David Friedrich, der den Menschen als Teil der Natur, nicht als deren Beherrscher, angesehen und in seinen Gemälden visualisiert hat.

Lucia Schreiber, die in Stockholm und Stuttgart Architektur studiert, steht an der eiszeitlichen Felsküste der Schären nördlich der schwedischen Hauptstadt und singt ein melancholisches Abschiedslied. Später werden der frühere Berufsoffizier Joakim Collin und seine Gattin Karin, eine Lehrerin, über neue Gefahren durch aggressive russische Marinemanöver an den Küsten Skandinaviens sprechen.

Kant-Denkmal am wiederaufgebauten Königsberger Dom. Wladimir Gilmanov, Sohn eines hierhin versetzten russischen Offiziers und einer ukrainischen Mutter, ist Professor für Geisteswissenschaften an der Universität Kaliningrad. Spricht über seine Beschäftigung mit den beiden berühmtesten Persönlichkeiten der russischen Exklave, Kant und Kopernikus. Und über das ratlos machende Weltgeschehen. Aber auch darüber, dass die Ostsee-Luft seinen kleinen Jungen, dem die Ärzte keine Überlebenschancen gegeben hatten, gerettet hat: Vier Monate lebte er mit ihm in einer kleinen Hütte an der Kurischen Nehrung.

Lasma Medne, die in einem Naturzentrum arbeitet, genießt die Landschaft am Kap Kolka in Lettland: am nördlichsten Punkt der Halbinsel Kurland treffen die Ostsee und die Rigaer Bucht zusammen. Für die dreifache Mutter das schönste Fleckchen Erde – zusammen mit der schon von Günter Grass beschriebenen Fischspezialität (Stein-) Butt. Ihre Eltern wohnen nahe der russischen Grenze und leben in der ständigen Angst vor dem Ausbruch des 3. Weltkriegs.

Dagegen ist das Fischerdorf Lindii inmitten eines Naturschutzgebietes an der Pernauer Bucht in Estland für Merle Jantson und ihre vierköpfige Familie der schönste Ort der Welt. Sie entstammt einer Familie mit ukrainischen Wurzeln, ihre Mutter wurde noch von den Russen als Kulakin deportiert. Ihr macht das Weltgeschehen Angst.

Michael Succow ist Biologe und Landschaftsökologe. Er kritisiert, dass die landwirtschaftlichen Flächen zu nahe am Strand liegen, sodass bei Regen phosphorhaltiger Dünger in die Ostsee fließt. Die als junges, nach Abschmelzen des Eispanzers vor 12.000 Jahren entstandenes Süßwasser-Meer nicht nur von diversen Chemie-Cocktails bedroht wird, deren Zusammensetzungen die Industrie nicht preisgibt, sondern auch vom einströmenden Nordsee-Salzwasser.

Mit Siegfried Kempe, Kapitän eines Rostocker Bergungsschiffs, geht’s durch die enge Kadett-Rinne zwischen Dänemark und Deutschland. Das Verkehrsaufkommen wird immer stärker, auch durch neugebaute LNG-Terminals in Deutschland und Polen. Von den riesigen Kreuzfahrtschiffen ganz zu schweigen: bei einer Havarie sei die Evakuierung von 4.000 Passagieren nicht handelbar. Kempe spricht sich für eine Lotsenpflicht zwischen der deutschen Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und der dänischen Insel Falster aus.

Joanna Agatowska und Lidia Vittendorf sind Stadtverordnete in Swinemünde. An der Mühlenbake, einem touristischen Hotspot, sollen nicht nur Gebäude für 6.000 Hotelbetten entstehen, sondern gleich ein ganzer Containerhafen. Die Ostsee werde immer mehr zu, Industriegelände – auch durch gewaltig dimensionierte Offshore-Windanlagen.

Else Flyger Poulsen, Gymnasiallehrerin auf Bornholm, hat Angst vor dem Hegemoniestreben Putins, der immer wieder Flugzeuge in den dänischen Luftraum schickt – aus reiner Kraftmeierei. Der Kutterfischer Bo Teju hat dagegen wirtschaftliche Sorgen: Er verkauft seine Heringe nur noch an Privatleute, alles andere lohnt sich nicht mehr. Großbetriebe hätten kleinen Fischern wie ihm Fangquoten abgekauft und beherrschten nun den Markt.

Slawa und Galina Lugatusowa leben an der Kurischen Nehrung, ihre Tochter Anna ist in Kaliningrad geboren. Die erfolgreiche Bernstein-Sammlerin verdient auch am Tourismus und hat keine Probleme, nach Litauen, Polen oder Deutschland zu reisen. Im russischen Fernsehen läuft gerade ein Beitrag über die „Spezialoperation“, in dem die Ukraine als Aggressor dargestellt wird.

„Seestück“, am 24. November 2019 vom Rundfunk Berlin-Brandenburg erstausgestrahlt, ist ein sehr persönlicher Dokumentarfilm Volker Koepps, der aus dem Off immer wieder biographische Bezüge offenbart. In Stettin geboren ist er seit den 1950er Jahren von Dresden und später von Berlin aus immer wieder ans „Meer des Friedens“ gefahren, nach Prerow etwa und nach Greifswald. Er erinnert sich, wie nach dem Mauerbau 1961 die ironisch „Südschweden“ genannte DDR-Ostseeküste rund um die Uhr streng bewacht wurde.

„Seestück“ ist ein Film über die zunehmend bedrohte Meereslandschaft der Ostsee mit berückenden Panoramaaufnahmen von Uwe Mann. Vor allem aber ein Film über die Menschen in Deutschland, Polen, Estland, Lettland, Schweden, Dänemark und im russischen Oblast Kaliningrad, die an der Ostseeküste leben - am Meer, mit dem Meer – und immer weniger auch vom Meer.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DE) Seestück

Fassungen

Original

Länge:
135 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 12.07.2018, 180681, ohne Altersbeschränkung / feiertagsfrei

Aufführung:

Kinostart (DE): 13.09.2018

Auszeichnungen

Filmwoche Duisburg 2018
  • Publikumspreis der Rheinischen Post