40. Forum der Berlinale mit neuen Filmen von Graf, Arslan und Schanelec



Das Forum der Berlinale versammelt in seinem 40. Jahr Filme, die sensibel auf die Zeitstimmung reagieren. Selten fand man in Spiel- und Dokumentarfilmen so viele Menschen in unauflöslichen Konflikten gefangen, vor lebenswichtige Entscheidungen gestellt und mit Abgründen konfrontiert wie in der diesjährigen filmischen Auslese.


Spannend, vielseitig und in dieser Stärke überraschend ist die Präsenz des einheimischen Filmschaffens im Programm. Angela Schanelec gelingt in "Orly" das Kunststück, ein intimes Kammerspiel an einem Ort der Hektik zu inszenieren. Die Abflughalle des Pariser Flughafens Orly dient als Hintergrund für ein Mosaik persönlicher Geschichten, kleiner Dramen und existenzieller Konflikte. Tatjana Turanskyjs Langfilmdebüt "Eine flexible Frau" porträtiert mit Gespür für subtile Komik eine Frau von Anfang vierzig, die ihren Job als Architektin verliert, aber nicht gewillt ist, sich dem Druck der Hartz-IV-Gesellschaft zu beugen.

Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" handelt von der russischen Unterwelt, allerdings mitten im Berliner Westen. Als Fernsehserie konzipiert, ist das achtstündige Mammutwerk vor allem ein gewagtes Epos über Pflicht und Schuld und über die Schwierigkeit, sich in einer Welt zu behaupten, die den Platz des Einzelnen über seine Herkunft definiert. Nicht aus ihrer Haut kann auch die Hauptfigur in Thomas Arslans neuem Spielfilm "Im Schatten", in dem ein aus dem Gefängnis entlassener Räuber seinen letzten Coup vorbereitet und sich dabei eines durch und durch korrupten Polizisten erwehren muss.

Indem sie sich klassische Elemente des Gangsterdramas aneignen, stehen Arslan und Graf für den Trend, die Regeln des Genre-Kinos eigenwillig anzuwenden. So erzählt auch der französische Spielfilm "Indigène d"Eurasie" des litauischen Regisseurs Sharunas Bartas von einem Gangster, der eine Odyssee quer durch Europa antritt. Die Verfolgungsjagd über einen Kontinent voller Gegensätze gerät dabei zur düsteren Zukunftsvision. Der türkische Regisseur Tayfun Pirselimoglu suggeriert uns in "Pus" einen Kriminalplot um einen Auftragsmord, in dessen Schatten er ein lakonisches Drama vom Leben und Sterben an der Peripherie Istanbuls erzählt.


Die dokumentarischen Arbeiten des diesjährigen Forums decken ein weites Spektrum filmischer Formen und Themen ab. Der Schweizer Beitrag "Aisheen [Still Alive in Gaza]" von Nicolas Wadimoff zeichnet ein ungeschminktes Bild vom Alltag an einem abgeriegelten Ort. Die Amerikanerin Laura Poitras gewinnt in "The Oath" außergewöhnliche Innenansichten aus dem militanten Islamismus. Und der Kanadier Jean-François Caissy beobachtet in "La belle visite" das Leben in einem ehemaligen Motel, das zum Altenheim umgebaut wurde.

Die Berliner Filmemacherin Gamma Bak macht sich und ihre psychotische Erkrankung in dem essayistischen Film "Schnupfen im Kopf" mutig selbst zum Sujet. Philip Scheffners "Der Tag des Spatzen" handelt vom trügerischen Frieden in einem Land, das anderswo Krieg führt. Auch Aljoscha Weskott und Marietta Kesting geht es in "Sunny Land" um trügerische Oberflächen. Ihr dokumentarischer Filmessay ist eine Zeitreise ins Südafrika der Apartheid, ins Entertainment-Paradies "Sun City", das dabei zu einer globalen Metapher wird.

Insgesamt vier Regiedebüts aus Korea und Taiwan beschäftigen sich auf unterhaltsame Weise mit einer Generation, der die Zukunft gehören sollte. In "Au revoir Taipei" verwickelt Regisseur Arvin Chen einen jungen Mann, der ebenso eifrig wie erfolglos Französisch büffelt, um der Angebeteten nach Paris zu folgen, in eine Gangstergeschichte voll absurder Situationskomik. Auch So Sang-min interessiert sich in "I’m in Trouble!" vor allem für die komischen Seiten männlicher Liebesbeweise und schubst einen erfolglosen Poeten von einem Fauxpas zum nächsten.

Das 40. Forum der Berlinale zeigt insgesamt 34 Filme im Hauptprogramm, davon 19 als Welt- und 12 als internationale Premiere. Im Rahmen seiner Special Screenings präsentiert die Sektion in diesem Jahr eine drei Filme umfassende Hommage an den hierzulande noch zu entdeckenden Regisseur Shimazu Yasujiro, der als Modernisierer des japanischen Kinos der Vorkriegszeit gilt.

Das ganze Forum-Programm finden Sie unter:
www.berlinale.de