Wildes Herz

Deutschland 2014-2017 Dokumentarfilm

Inhalt

Dokumentarfilm über Jan "Monchi" Gorkow und dessen ostdeutsche Punkband Feine Sahne Fischfilet. Die 2007 gegründete Band aus Mecklenburg-Vorpommern singt in ihren Liedern gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie an; zugleich engagiert sie sich gegen Abwanderung und versucht, den Menschen das Gefühl von Perspektivlosigkeit und Frust zu nehmen. So kommt es zu dem Paradox, dass Feine Sahne Fischfilet eine der erfolgreichsten deutschen Punkbands ist, gleichzeitig aber wegen des Vorwurfs einer anti-staatlichen Haltung sowie linksradikaler und gewaltbetonter Texte Probleme mit dem Verfassungsschutz bekam; von der Polizei wird sie als "Vorpommerns gefährlichste Band" bezeichnet. Der Regisseur Charly Hübner (bekannt vor allem als Schauspieler) stammt selbst aus Mecklenburg. Er begleitete die Band über einen Zeitraum von drei Jahren: Vor und hinter den Kulissen, bei Konzerten und auf einer Wahlkampftour.

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Was geht, was nicht, das entscheidet das Gericht…“ brüllt „Monchi“ ins Studio-Mikrophon. Sein voluminöser, mit Tattoos übersäter nackter Oberkörper gerät in Bewegung. Schnitt. Die Gruppe „Feine Sahne Fischfilet“ gibt unter dem Motto „Good Night White Pride“ ein Open-Air-Konzert im Rahmen einer Demonstration gegen rassistische Propaganda und Neonazis. Der Rostocker Polizeichef Michael Ebert bekundet, Jan Gorkow aus der Hansa-Ulltra-Szene zu kennen. Und der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag, Dr. Norbert Nieszer, gesteht ein, dass man über „Monchis“ stark provozierende Texte unterschiedlicher Meinung sein kann. Pfarrer Lothar König von der Jungen Gemeinde Jena dagegen nimmt das Wort „Christliche Urband“ in der Tradition von „Ton, Steine, Scherben“ in den Mund.

Gleich in den ersten Minuten wird klar, dass man dem Phänomen „Monchi“ nicht einfach auf die Spur kommt. Der Frontmann einer der erfolgreichsten Punkbands Deutschland, die der Schweriner Innenminister Lorenz Caffier vor Jahren als „Vorpommerns gefährlichste Band“ vom Staatsschutz observieren ließ, stammt aus der Peene-Stadt Jarmen, wo er mit seinem Bruder Stefan in eher kleinbürgerlichen Verhältnissen aufwuchs. Seine Eltern Angela und Axel Gorkow sprechen offen über ihre damaligen Probleme mit der sich auch in nackter Gewalt äußernden Radikalisierung ihres heute so geerdeten, gesellschaftlich hellwachen Sohnes „Monchi“, den sie einst nach einem Hansa-Gastspiel im Westfalen-Stadion aus dem Dortmunder Polizeigewahrsam abholen mussten. Der hält freilich immer noch das völlig grundlose Umstoßen von Mülltonnen am Straßenrand für den Ausdruck persönlicher Freiheit. Wenn es sich nicht um eine wohlfeile Punker-Attitüde vor Martin Farkas‘ Kamera fürs Fanpublikum handelt.

Zusammen mit seinem Mitschüler Kai Irrgang gründete Jan auf Anregung des Musiklehrers eine erste Band, die im Gemeindezentrum der Kirche proben konnte. Daraus ist heute eine sich nicht nur politisch verstehende, sondern geradezu erzieherisch wirkende Punkband entstanden, die ihre nicht zu überhörende Stimme gegen Neonazis, gegen Leerstand auf dem platten Land und den daraus folgenden Frust der Wendeverlierer immer dann erhebt, wenn der Fisch ‘mal wieder vom Kopf her stinkt – mit „Monchi“, Olaf Ney (Schlagzeug), Gitarrist und Sänger Christoph Sell, nach wie vor Kai Irrgang (Bass), Jacobus „Köbi“ North (Trompete) und Max Bobzin (Trompete). In ihren Statements werden durchaus unterschiedliche Auffassungen über den ausgestellten Furor in Aussage und Auftreten deutlich. In der wesentlichen Frage aber sind sich alle einig: Bleiben oder Gehen ist für sie keine Alternative.

Das klare Bekenntnis zum Heimatland Mecklenburg-Vorpommern schließt kompromissloses Auftreten in anderen Teilen der offenbar immer noch nicht richtig vereinten Republik keineswegs aus. Aber es sind vor allem ihre Auftritte in den ostdeutschen Regionen, mit denen „Feine Sahne Fischfilet“ Zeichen setzen will, ob gegen Asylantenhetze in Rostock-Lichtenhagen oder gegen „rechte“ Vereinnahmung des 70. Jahrestags der militärisch völlig sinnlosen Bombardierung Dresdens durch die Alliierten. „Monchi“ und seine Genossen gehen dabei alles andere als zimperlich vor: „Helme warten auf Kommando, Knüppel schlagen Köpfe ein“ heißt es in „Wut“ und: „Niemand muss ein Bulle sein!“ Die Feindbilder sind einfach gestrickt: die Forderung nach einer „bullenfreien Ostsee“ stellt das staatliche Gewaltmonopol in Frage.

Der Schauspieler Charly Hübner, selbst gebürtiger Mecklenburger, erzählt in seinem Regiedebüt „Wildes Herz“ die Geschichte der Band unter besonderer Berücksichtigung des Gründers und Frontmanns „Monchi“, gräbt auch mittels privater Filmaufnahmen tief in dessen Kindheit, befragt Familienangehörige und Freunde wie seine „Ex“ Ulli, die seinerzeit Angst und Unbehagen empfand bei der Vorstellung, ständig vom Verfassungsschutz überwacht zu werden. Auch Campino kommt zu Wort, Überraschungs-Promi-Gast in der sog. „national-befreiten Zone“ Anklam im Rahmen einer Konzerttournee im MV-Landtagswahlkampf 2016 (im Epilog: NPD draußen, aber AfD mit 21 Prozent vor der CDU), die im September geradezu familiär in Jarmen endet.

„Die Regisseure Charly Hübner und Sebastian Schultz begeben sich auf eine sehr ehrliche und humorvolle Reise mitten ins wild schlagende Herz einer aufgewühlten Region zwischen Verlierern und Gewinnern, zwischen Rückschlägen und tanzenden Triumphen“ heißt es im Pressetext des Filmverleihs Neue Visionen. Was eine Umschreibung dafür ist, dass sich die beiden „Dokumentaristen“ mit eigenen politischen Statements keineswegs zurückhalten.

Uraufgeführt am 31. Oktober 2017 beim 60. Festival DOK Leipzig und am 12. April 2018 in den Kinos gestartet wurde „Wildes Herz“ am 7. April 2019 von der ARD erstausgestrahlt. Mit gleich vier Preisen war die als „Film von Charly Hübner“ plakatierte Dokumentation die erfolgreichste bei der Leipziger DOK: Defa-Förderpreis Langfilm, Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts, Filmpreis der Gewerkschaft Ver.di sowie Gedanken-Aufschluss-Preis einer Jury aus jungen Strafgefangenen. 2018 kamen weitere Auszeichnungen hinzu: „Bester Dokumentarfilm“ der Gilde-Filmkunsttheater und des Bolzano Film Festival Bozen, auf dem Reeperbahn-Festival Hamburg der VIA! VUT Indie Award („Bestes Experiment“) des Verbandes unabhängiger Musikunternehmer und der Preis für die „Schönste Geschichte“ des Vereins zur Förderung der Popkultur.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Dreharbeiten

    • 01.09.2014 - 01.09.2016
Länge:
94 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
Farbe, Stereo
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 09.10.2017, 170956, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung: November 2017, Leipzig, DOK;
Kinostart (DE): 12.04.2018

Titel

  • Weiterer Titel Wildes Herz kennt keine Ruh
  • Originaltitel (DE) Wildes Herz

Fassungen

Original

Länge:
94 min
Format:
DCP
Bild/Ton:
Farbe, Stereo
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 09.10.2017, 170956, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung: November 2017, Leipzig, DOK;
Kinostart (DE): 12.04.2018

Auszeichnungen

Gilde Filmpreis 2018
  • Gilde Filmpreis, Bester Dokumentarfilm
DOK Leipzig 2017
  • DEFA-Förderpreis, Deutscher Wettbewerb - Langfilm
  • Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts
  • Preis der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
  • Gedanken-Aufschluss-Preis
FBW 2017
  • Prädikat: besonders wertvoll