Die Leiden des jungen Werthers

DDR 1976 Spielfilm

Warum dieser Selbstmord?


Rosemarie Rehahn, Wochenpost, Berlin/DDR, 9.9.1976


(…) Sich der literarischen Vorlage mit Respekt und schöner Selbstverständlichkeit nähernd, gelingt den Filmschöpfern ein Werk, das historisch ist und heutig in eins.

Warum hat er sich erschossen? War das nur aus unglücklicher Liebe oder war"s das Ganze; fragt zu Beginn des Films Wilhelm, der Freund Werthers und Adressat der Briefe des nun Toten. Mit dem Vorweg-Wissen um das tödliche Ende und mit der Suggestion der Fragestellung machen die Filmschöpfer sich den Zuschauer zum Verbündeten bei der Aufhellung der intimen und gesellschaftlichen Vorgänge der Handlung und ihres Miteinanderverwobenseins. (…)

Die Filmleute verdichten die seitenlange Schilderung gepflegter feudaler Scheußlichkeit zu einer Szene voll brillanter ätzender Satire. Auf spiegelndem Parkett in weiß-goldner Salonpracht der Aufzug geputzter und geschminkter Lemuren. Verwesungsatem, als wäre der Geruchsfilm erfunden. Haßschwelender Zusammenprall mit Werther, dem Lebendigen auf dieser Gespensterparty.

Künstlerisch nicht gelöst aber erscheint mir am Schluß der Szene der blutige Sadismus als Entladung der Aggression, die sichtbarliche Verwundung Werthers – auch wenn ich zu verstehen glaube, daß von diesem Blut hier symbolisch eine Linie führt zum fast unerträglich anzusehenden Blutigscheren des unglücklichen Knechts Reinhard und schließlich zum roten Todesmal an der Schläfe des entleibten Werthers.


Die Liebesgeschichte findet statt zwischen einem Werther, der beileibe nicht schlecht bei Leibe ist, keineswegs der romantische überfeinerte Jüngling, der in unserem Kopf steckt, und einer zwar sehr zarten Lotte, aber von irdisch heutigem Wesen. Mich fesselt an Katharina Thalbachs Darstellung der Schwebezustand zwischen Kind und Frau, der jähe Wechsel zwischen unbeschwertem, mutwilligem Mädchencharme und ahnungsvoll aufbrechender, noch unerprobter Weiblichkeit. Von anmutiger Natürlichkeit die häuslichen Szenen mit der Geschwisterschar.

Die stärksten Momente der Schauspielerin liegen, meine ich, gegen Ende des Films, wenn sich für Sekunden ein leidenschaftsbereites Gesicht enthüllt, wenn da Angst sichtbar wird vor unerlaubten Gefühlen und doch Lockung da ist. Ein seltnes, kostbares Talent, das gefördert, und das heißt immer wieder gefördert werden sollte. (So möchte ich der jungen Darstellerin auch nicht durchgehen lassen, daß da – Muttersprache, Mutterlaut – gelegentlich ein paar muntre Berlinismen im Lahntal erklingen.)

Für den Absolventen der Rostocker Schauspielschule Hans-Jürgen Wolf ist der Werther die erste Bewährungsprobe. Man glaubt ihm die leidenschaftliche Beziehung zur Natur, zu den einfachen Menschen, die Offenheit für alle Eindrücke des Lebens, das brennende Verlangen, Menschen und Welt in Harmonie zu sehen, sich selber in dieser Harmonie voll entfalten zu können. So einer muß sich wundstoßen an jener seiner Zeit. Schwieriger hat es der Darsteller, den Liebestumult in der Brust sichtbar, nacherlebbar zu machen, obgleich da mitunter bewegende Töne der Schwermut aufklingen.

Ein Meisterakt der Regie ist die mit großer Sensibilität, mit feinstem Filmgespür gestaltete Todes-Montage, endend mit dem Bild einer fernen Gletscherwand, enormer Einsamkeit. Nachdenken, wohl auch streiten wird man über den gegenüber dem Buch herausfordernd veränderten Schluß. Das Leben geht banal-brutal über alles hinweg. Peinigende (etwas zu grelle!) Aktenbetriebsamkeit in Alberts Kanzlei. Als letztes das jäh erstarrende Bild eines Kanzleibeamten, der sorgsam eine Topfblume gießt. (…)

Rights statement