Fräulein Else

Deutschland 1928/1929 Spielfilm

Fräulein Else



Rudolf Kurtz, Lichtbild-Bühne, Nr. 57, 8.3.1929


(...) Paul Czinner, der auch das Manuskript geschrieben hat, bemüht sich um möglichst naturalistische Zeichnung des Milieus und statt dramatischer Spannungen verläßt er sich auf das Suggestive der Stimmungsmalerei. Die großen Szenen des Films hat die Bergner mit sich allein. Der Manuskriptmann Czinner sieht das Wesentliche seiner Aufgabe darin, die seelischen Vorgänge subtil und möglichst restlos ins Bild zu bringen. Das ist im Film möglich und sogar wirksam: wenn ein festes, dramatisches Gefüge vorhanden ist, das der seelischen Tönung Halt und Schwungkraft gibt. (...)

Der Verzicht auf alle geräuschvollen, theatralischen Effekte führt Czinner dazu, mit leisen, dramatischen Mitteln seine Wirkungen zu suchen. Er beherrscht das Register der Retardierungen: es ist ausgezeichnet gemacht, wie die Bergner nicht wagt, den brutalen Burschen anzusprechen, wie sie hinter ihm herläuft, sich abwendet, wieder herankommt, hinter einem Pfeiler verschwindet, wieder ein paar Schritte vor – bis das endliche Zusammentreffen fast wie eine dramatische Erlösung wirkt. Mit den gleichen Mitteln inszeniert Czinner den Schluß, wenn die Bergner in das Zimmer des Kunsthändlers geht, ihn nicht findet, ihn verfolgt – während schon das Gift ihre Lebenskräfte vernichtet.

Czinner hat das Manuskript mit eindringlicher Starrheit für Elisabeth Bergner geschrieben, wie er sie auffaßt. Sie ist für ihn die große Gestalterin seelischer Zwischentöne, zart vorüberfliegender geistiger Feinheit, ein Mensch, der mit seltener Kunst sein Inneres ganz zum Ausdruck bringt. Zweifellos ist das die Stärke der Bergner, aber mit dieser Kunst allein sind die Voraussetzungen für einen wirksamen Film nicht gegeben. Filmwirkung ist dramatische Wirkung mit optischen Mitteln: und was die Bergner braucht, ist vor allem der starke, festgefügte dramatische Rahmen, in den sie sich einfügen kann, der die Möglichkeiten für ihr Können hergibt, und gleichzeitig den Zuschauer in das Gefüge einer zu Herzen gehenden Handlung einspannt.

Wieder und immer wieder muß es gesagt werden: die Bergner ist ein großer Besitz des deutschen Films. Es gibt kaum eine Darstellerin in der ganzen Welt, deren Gesicht, deren Körper so reiner Ausdruck ihres Innenlebens ist. Mit einer unfaßbaren Klarheit spricht aus ihrem Ausdruck Leid und Freud ihrer Seele, hier ist kostbares Material, das nur mit starker Hand in die filmischen Gelegenheiten einzuordnen ist. Nur einer Künstlerin von hohem Rang ist es möglich, mit Bildmonologen, ohne Partner, nur auf sich selbstangewiesen, eine innere Spannung zu erzeugen, die echt dramatisch wirkt. Auch das Äußerlichste verwandelt sich in ihr in seelische, stark gefühlte Echtheit: selbst die Vergiftung wirkt wie aus einer inneren Zwangsläufigkeit. Bezaubernd, wenn sie im Kampf mit sich ist, um den Mann anzusprechen. Ein dramatisches Hin und Her spielt auf ihrem Gesicht, das unmittelbar auf den Zuschauer wirkt. Herrlich die ganz kleinen, menschlichen Mittel, mit denen sich tiefes Leid bildlich verwirklicht. Ein kostbarer deutscher Besitz, der allerdings mit harter Faust den Notwendigkeiten des Films angepaßt werden muß.

Albert Steinrück schritt noch einmal über die Leinwand, in einer meisterhaft getönten, bei aller Brutalität zurückhaltend gespielten Figur. Er bringt keine groben Unterstreichungen, mit unmerklichen Gesten, Augenzwinkern, Haltungen des Kopfes schafft er die Atmosphäre jener Brutalität, an der Else zerbricht. (...)


Das Publikum applaudierte lebhaft: Die Darsteller erschienen nicht. Weil sie, wie ein Sprecher verkündet, mit Steinrück nicht mehr erscheinen konnten und ohne den Freund und Mitarbeiter nicht vor das Publikum treten wollten. Eine schöne Geste. Abschließend aber ist über den Film zu sagen: dieses Werk will zu einseitig mit literarischen Mitteln wirken, mit Stimmung und Psychologie. Die Zeit ist vorbei. Der Regisseur darf heut die Welt der filmischen Gestaltung nicht mehr aus der Perspektive des Buchs oder der Bühne sehen: es gibt für ihn nur einen Gesichtswinkel und den schreibt die Kamera und ihre Möglichkeiten vor. Die Filmkunst ist nicht mehr Literatur, sie ist ein optisches Ausdrucksmittel eigener Kraft geworden.

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