Das Fräulein

Schweiz Deutschland 2005/2006 Spielfilm

Das Fräulein


Claudia Herzog, film-dienst, Nr. 2, 2007


Das "Fräulein" heißt Ruza und ist eine 50-jährige Serbin. Ruza kam in jungen Jahren in die Schweiz, beseelt vom Traum von einem besseren Leben. Die Frau aus dem Osten führt nun eine Betriebskantine im Westen von Zürich und hat sich durch viel harte Arbeit und noch mehr Selbstdisziplin eine unabhängige, finanziell gesicherte Existenz aufgebaut. Mehr, denkt Ruza, kann sie vom Leben nicht erwarten; denn sie will nichts geschenkt, nicht einmal das Fleisch auf "Kosten des Hauses" von ihrem Metzger. Ruza ist eine von der Liebe enttäuschte Frau, die vor mehr als 30 Jahren von ihrer großen Liebe versetzt wurde und diesen Schmerz nie überwunden hat. Anders als ihre langjährige Angestellte – die einzige Verheiratete im Film –, die Kroatin Mila, die sich aus ihrem tristen Kantinenalltag in Tagträume von einer Zukunft im mühsam abgesparten Haus in ihrer alten Heimat rettet; anders auch als die Bosnierin Ana, die in der Kantine ihren Kolleginnen zur Hand geht. Die junge Frau, die in Sarajevo den Krieg hautnah erlebte, ist auf der Flucht vor ihrer tödlichen Krankheit und wild entschlossen, sich den Lebenshunger zu erhalten. Ana will das Leben und alles, was es zu bieten hat, bis zum letzten Atemzug auskosten. Ruza, Mila und Ana – sie alle haben gemeinsame Wurzeln, sind aber ohne Heimatgefühl.

"Fräulein" ist im schweizerischen Sprachgebrauch ein abschätziger Begriff, der unverheiratete Frauen diskreditiert. Zugleich ist es der Titel eines Romans des jugoslawischen Literatur-Nobelpreisträgers Ivo Andric, der Regisseurin Andrea Staka inspirierte, weil die Ambivalenz des altmodischen Begriffs gut zu ihren Hauptfiguren passt – jenen drei Frauen aus Ex-Jugoslawien, die in der Schweiz heimatlos zwischen zwei Kulturen leben. Obwohl Ruza die Titelheldin ist, konzentriert sich Andrea Staka fast mehr auf Ana, die in ihrer Leichtigkeit an die junge, hoffnungsvolle Ruza erinnern soll. Die zarte Freundschaft zwischen Ana und Ruza steht im Zentrum der Geschichte um Einsamkeit, Entwurzelung und die Suche nach innerer wie äußerer Heimat. Ana, deren Hab und Gut in ein Schließfach am Hauptbahnhof passt und die dank "One Night Stands" für eine Nacht ein Dach über dem Kopf findet, bricht eines Tages in Ruzas streng strukturierten Tagesablauf ein. Sie hilft in der Kantine aus, schneidet nicht nur die Radieschen zu hübschen Rosen, sondern sorgt für frischen Wind in der Küche. Eine von ihr heimlich organisierte Geburtstagsparty für Ruza wirft die Routine der Chefin über den Haufen. Anfangs sitzt Ruza verklemmt am Rand ihrer eigenen Tanzparty, bis sie von Ana zum Tanz aufgefordert wird. Mit dem ersten Schritt auf dem Linoleum vergisst sie sich, tanzt die halbe Nacht durch und wacht erst in einem fremden Bett wieder auf. Das Leben wartet nicht mehr auf Ruza, es fordert sie heraus. "Menschen wie Ruza leben zwischen zwei Leben, in einer Art Zwischenraum, der sehr zerbrechlich ist", sagt Andrea Staka. "Das Fräulein" ist ein persönlicher Film, der viel mit der Regisseurin selbst zu tun hat: Sie, das jugoslawische Einwandererkind, war in der Schule immer "die Jugoslawin", in den Ferien in Jugoslawien immer "die Schweizerin. Richtig kompliziert wurde es durch den Bürgerkrieg, denn Stakas Vater stammt aus Kroatien, die Mutter aus Bosnien, weitere Verwandte kommen aus Serbien. Als sie 2006 in Locarno den "Goldenen Leoparden" erhielt, sagte sie: "Es ist schon lustig, dass man mich nun plötzlich als bosnische, kroatische oder Schweizer Regisseurin für sich reklamiert, doch es macht mir nichts aus, denn ich bin das alles." Ihre drei Frauenfiguren haben mit ihren mehrschichtigen Identitäten da schon größere Mühe. Während der Film Entwicklungen bei Ruza und Mila zeigt, bleibt Ana irritierend in der Schwebe. Engelsgleich hilft sie den beiden, und obwohl sie es ist, die die Kolleginnen endlich in ihrem Leben ankommen lässt, weiß sie selbst am Ende nicht, wo sie hin will. Trotz der psychologisch ungenau gezeichneten Ana fesselt "Das Fräulein", auch wegen der eigenwilligen, sehr schönen Bildsprache: Schärfe wechselt mit Unschärfe, lenkt den Blick auf die genaue Beobachtung von Details; Gefühlszustände werden sichtbar, erscheinen an der Bildoberfläche. Solche Details im grauen Alltag – drinnen und draußen – von Zürich machen den Film ebenso zum Erlebnis wie das sensible Spiel der Darstellerinnen.

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