Stielke, Heinz, fünfzehn...

DDR 1985/1986 Spielfilm

Ein untaugliches Objekt



Heinz Kersten, Der Tagesspiegel, Berlin, 15.3.1987

Zu antinationalsozialistischer Thematik führt die längste und wohl auch beste Traditionslinie der DEFA. Für die Babelsberger Regisseure der ersten und zweiten Studio-Generation bedeuten Filme dieser Art Auseinandersetzung mit einem Stück eigener Vergangenheit. Für die jüngeren gehören Stoffe aus jenem Themenkreis bereits zu nicht selbsterlebter Geschichte.
Als Ulrich Weiß, Jahrgang 1942, 1981 Willi Bredels antifaschistischen Roman "Dein unbekannter Bruder" verfilmte, kommentierte er seine Absicht mit den Worten: "Ich wollte nicht so tun, als sei ich dabeigewesen. Ich habe versucht, mich mit Bildern auseinanderzusetzen, darin gibt sich mein Verhältnis zu erkennen. Meine Wirklichkeit ist es, ein Spiel vorzuführen, das das Publikum annehmen kann." Ulrich Weiß hatte es bei seiner Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten für ein altes Thema schwer, sich gegen konventionelle Sehgewohnheiten durchzusetzen. Unter den Babelsberger Filmen, die sich mit den zwölf Jahren Nazi-Herrschalt beschäftigten, ragt seine Arbeit aber als einer der interessantesten und ernsthaftesten Beiträge hervor.


Das läßt sich von der jüngsten DEFA-Produktion zu diesem Themenkomplex leider nicht sagen. Michael Kann, der damit sein Regiedebüt lieferte und zusammen mit Manfred Schmidt auch das Szenarium schrieb, gehört zum Jahrgang 1950. Er stützte sich bei seinem Blick auf eine Zeit, die er nicht selbst erlebt hatte, auf Wolfgang Kellners Jugendroman "Abenteurer wider Willen". Halbwüchsige will er nach eigenen Worten auch vor allem ansprechen mit seinem Film "Stielke, Heinz, fünfzehn". Der Titelheld ist ein strammer Hitlerjunge, sein Vater "für Führer, Volk und Vaterland gefallen". Aber eines Tages, man schreibt das Jahr 1944, wird der eben noch zum Rottenführer ernannte Gymnasiast zum Rektor gerufen und erfährt, daß er Halbjude sei und die Schule zu verlassen habe. Das ist der Beginn einer abenteuerlichen Odyssee.
Von den Klassenkameraden nun plötzlich verfolgt, rennt er um sein Leben, gerät in einen Luftangriff, bei dem seine Mutter zu Tode kommt, und wird darauf von einem menschlich fühlenden Polizeikommissar, der seine, ihn rassisch diskriminierenden Papiere verschwinden läßt, in ein katholisches Waisenhaus nach Thüringen geschickt. (…)"

Kein Film über Antisemitismus, keine Ursachenforschung zum Thema Faschismus, kein Psychodrama um die inneren Auseinandersetzungen eines plötzlich "aussätzig" Gewordenen" hätten sie im Sinn gehabt, ließen die Autoren des Films verlauten. Gereizt hätten sie "die Spannungsmomente und das Abenteuerliche". Der Vergleich mit einem früheren DEFA-Film wie "Die Abenteuer des Werner Holt" drängt sich auf, und dabei wird noch deutlicher, wie sehr das antifaschistische Thema in "Stielke, Heinz, 15" zur Kolportage verkommen ist. So sehr man jede Chance für den Nachwuchs in Babelsberg begrüßen möchte: hier wurde dafür ein untaugliches Objekt vergeben.

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