Der Zauberberg

BR Deutschland Frankreich Italien Österreich 1981/1982 Spielfilm

Der Zauberberg


Günther Bastian, film-dienst, Nr.5, 09.03.1982

Der zweiteilige „Zauberberg“, 1924 erschienen, war für Thomas Mann selbst „ein Lebensbuch“. Mit dem durch humanistischen, kosmopolitischen Gehalt und vollendete Form sich auszeichnenden Roman versuchte Mann „ein Dokument der europäischen Seelenverfassung und geistigen Problematik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts“ zu geben. Die bahnbrechenden Jahrhundertideen (Marx, Freud), die technischen Entwicklungen und der damit verbundene Glaube an den „Fortschritt der Menschheit“ – das alles breitet sich in seinen janusköpfigen Wirkungen vor allem aus in den gewaltigen, zeitumfassenden Disputen zwischen einem „lebenspädagogischen“ Humanisten und literarisierenden Freimaurer (Settembrini) und einem ätzend-rationalen, dem Kommunismus zuneigenden Jesuiten (Naphta).

Die menschheitsgeschichtlichen, theologischen und philosophischen Redeschlachten der beiden innerhalb der zwischen 1907 und 1914 spielenden Vorgänge sind aber nicht nur die „zeitauffüllende Beschäftigung“ zweier Lungenkranker in Davos. Sie sind vielmehr immer wieder enzyklopädische Unterweisungen und engagierte Lebenserziehungsversuche für einen unerfahrenen 24jährigen Mann aus einer Hamburger Patrizierfamilie. Nur für einen dreiwöchigen Besuch seines Vetters ist dieser „simple Jüngling“ namens Hans Castorp in das Davoser Luxussanatorium „Berghof“ heraufgekommen – und bleibt dort schließlich, ohne selbst wirklich krank zu sein, als ein Opfer der verzaubernden Hermetik dieses Ortes sieben Jahre, bis ihn der Ausbruch des „Weltfestes des Todes“, der Beginn des Ersten Weltkrieges, der „Berghof“-Atmosphäre von Krankheit und morbider Erotik gewaltsam entreißt.

Zwar bleibt die Außenwelt dem inselhaften Dasein Hans Castorps in all den sieben Jahren fern und für seinen unermüdlich auf Willen und Aktivität dringenden Mentor Settembrini ist er unverändert stets ein „Sorgenkind des Lebens“ – problematisches Sinnbild einer lebens- und leistungsabgewandten Jugend. Aber Krankheit, Liebe und Tod rühren doch immer wieder mahnend und schreckenauslösend den monotonen Leerlauf von Hans Castorps Tagen an, zeigen die entscheidenden Möglichkeiten zur „Umkehr in die Erfüllung“ auf und bringen den „simplen Helden“ im Verbund mit der schleichend und geheim verändernden Zeit doch noch zu „innerem Wachstum“ und zur Abwendung von der „Faszination der Nichterfüllung des Lebens und des Todes“.

Von diesen Faszinationen ist in Geißendörfers Verfilmung ebenso wenig zu spüren wie von den zahllosen ironischen Brechungen, mit denen Thomas Mann seine tiefenschichtigen Vermischungen von Tod, Amüsement, bürgerlichen Ehrbarkeiten und makabren Abenteuern umgeben hat. Verfilmung muß absolut nicht sklavisch an der literarischen Vorlage kleben. Verkürzungen, Umstellungen und Schnitte sind „durchaus von legitimer Notwendigkeit“; zumal bei einem Riesenwerk wie dem „Zauberberg“. So sind z. B. die Rededuelle zwischen Naphta und Settembrini allenfalls mit ausgewählten Signalsätzen in der Art eines Aufklärungsdigest filmisch „machbar“. Doch Gehalt und Aussagen der Vorlage sollten im gesamten bewahrt werden. Andernfalls verfällt jede Literaturverfilmung der Unsinnigkeit.

Zwar ist Geißendörfer bemüht, aus dem verbalen Sektor stammende Impulse durch adäquate optische Informationen zu ersetzen. Aber er leistet sich tiefgreifende Verfehlungen, wenn er feine Motorik in zappelige Hektik und innerdramatische Vorgänge in lärmende Direktheiten überträgt. Er versteht es größtenteils nicht, die Irrealitäten innerhalb der „Berghof“-Realität zuverdeutlichen; das Gefühl für die „unsichtbaren Wirklichkeiten und Wichtigkeiten“ zu mobilisieren. Er begreift nicht, was Thomas Mann alles an der Liebe als Phantasieleistung darstellen wollte, als er Hans Castorp die Erfüllung seiner existenzaufwertenden Liebe zur „kirgisenäugigen“ Madame Chauchat, einer Mitpatientin, versagte – während Geißendörfer grobschlächtig gerade diesen parabolischen Drehpunkt zu Gunsten einer „Betterfüllung“ aufhebt, bei deren Darstellung man momentan gar Beate Uhse als Mitproduzentin vermutet.

Nur unbefriedigend genutzt sind auch die von Thomas Mann gebotenen Chancen, bürgerlichen und berufsständischen Snobismus der Kritik des Komischen zu unterziehen und die Komik in der Tiefe menschlichen Elends zu entsiegeln. Die fein verästelten Spannungen zwischen den einzelnen Personen und ihren Zuständen, die Filter von Verhaltenheit über den Phänomenen des individuellen Begegnens und der Wahl, die weite Skala von Zwischentönen – sie gehen in der Mehrzahl verloren durch unangemessenen Schreistil und eine unausgeglichene Darstellung, die nur vereinzelt den „Zauberberg“-Charakteren nahekommt (Naphta/Aznavour, Ziemßen/Radszun, Chauchat/Pisier) und in Rod Steigers Brüllschmieren-Peeperkorn und dem geradezu aufreizenden Nichttalent des Castorp-Spielers ihre trostlosen Tiefpunkte hat. Vermutlich wäre es besser gewesen, Geißendörfer hätte den „Zauberberg“ letztlich genau so für filmisch unbezwingbar gehalten wie Losey, Visconti und Zadek.

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