Ein Lied von Liebe und Tod - Gloomy Sunday

Deutschland Ungarn 1998/1999 Spielfilm

Das Lied von Liebe und Tod


Wilhelm Roth, epd Film, Nr. 11, November 1999


Das Dritte Reich ist nach wie vor Thema im deutschen Kino, in diesem Herbst laufen gleich drei Filme an, die sich mit dieser Zeit beschäftigen: "Viehjud Levi" (epd Film 10/99), "Der Vulkan" (Kritik in diesem Heft) und "Das Lied von Liebe und Tod", prägnanter im englischen Titel: "Gloomy Sunday". Sie spielen in der Provinz ("Viehjud Levi"), unter Emigranten in Paris ("Der Vulkan") und in Budapest ("Gloomy Sunday"), also eher in den Randzonen des Geschehens, sie beschäftigen sich nicht mit der großen Politik, sondern erzählen von Individuen und wagen sich an Liebesgeschichten. Während "Viehjud Levi" und "Der Vulkan" eher kleine Filme sind, Kammerspiele, geht "Gloomy Sunday", in die Vollen, riskiert das große Melodram, wie es Fassbinder schon vor 20 Jahren gelang mit der "Ehe der Maria Braun" und "Lili Marleen". An dieses Vorbild reicht Schübels Film nicht heran, "Gloomy Sunday" ist ein Film mit Schauwerten, einem Song, der sich einprägt und interessanten Schauspielern, aber es fehlt ihm die persönliche Vision: Im Fernsehen (WDR, Arte und Premiere haben mitproduziert) wird er ein Highlight sein.

Eine Dreiecksgeschichte, die zum Viereck wird: Laszló Szabó (Joachim Król), Restaurantbesitzer im Budapest der dreißiger Jahre, liebt Ilona (Erika Marozsán), die bei ihm bedient und mit ihm lebt. Aus der Zweierbeziehung wird ein Dreieck, nachdem Laszló den jungen Pianisten András Aradi (Stefano Dionisi) engagiert hat, dem Ilona sofort verfällt, ohne aber Laszló verlieren zu wollen. Der vierte im Bunde, der deutsche Tourist Hans Eberhard Wieck (Ben Becker), hat dagegen keine Chance, auch nicht, als er im Krieg als SS-Offizier wieder nach Budapest kommt. Schließlich nimmt er sich mit Gewalt, was ihm nicht gewährt wird. Die Rache folgt 50 Jahre später, als Wieck, erfolgreicher, hoch geehrter deutscher Industrieller, in Budapest im selben Lokal seinen 80. Geburtstag feiert.


Zum roten Faden der Geschichte wird das "Lied vom traurigen Sonntag", eine Komposition aus dem Jahre 1935, geschrieben von Rezsö Seress. Unter dem Titel "Gloomy Sunday" haben u.a. Artie Shaw, Billie Holiday, Serge Gainsbourg und Sinead O"Connor das Lied aufgenommen. Im Film ist András der Komponist der schwermütigen Melodie, er schreibt sie für Ilona. Aber auch Laszló und Wieck kommen von dem Lied der Einsamkeit und Todessehnsucht nicht los, es wird überdies zum Markenzeichen des Restaurants. Immer wieder wollen die Gäste es hören, schließlich wird es auch im Film zum internationalen Erfolg, häufig auf makabre Weise: Manche Selbstmörder legen die Schallplatte auf, wenn sie sich umbringen. Dieses Motiv gibt dem Film seine Melancholie und Ausweglosigkeit, nicht nur in den Liebesgeschichten, sondern auch in der Politik: Gegen die Naziherrschaft zu kämpfen, scheint sinnlos, man kann nur bangend vor dem Radio sitzen und lauschen, wie nahe denn nun die Russen schon sind.

Ein Melodram also, wie man es Rolf Schübel, dem früheren Dokumentaristen, kaum zugetraut hätte. Es arbeitet oft mit holzschnittartigen Dialogen und Effekten, die Personen sind meist nicht als Charaktere ausgeformt, sondern erfüllen ihre Funktion als Typen. Ilona verdreht allen Männern den Kopf und hat selbst in Gefahr und größter Not noch immer mindestens den obersten Knopf ihres Kleides offen. András verkörpert den romantischen Künstler mit Vier-Tage-Bart und tragischem Blick. Laszló, der Restaurantbesitzer, ist anpassungsfähig und tüchtig, ob im Geschäft oder in der Liebe, Wieck, der Deutsche als verliebter Tourist unbeholfen und sentimental, als SS-Offizier brutal und listig.

Im Laufe der Handlung aber gewinnen Laszló und Wieck als die eigentlichen Gegenspieler eine Kontur, die den Film wenigstens passagenweise interessant macht. Die Figur des Laszló profitiert vor allem von der schauspielerischen Leistung von Joachim Król, der das Stehaufmännchen und den Opportunisten aus seiner Typen-Funktion befreit und zu einer Charakterrolle macht. Ben Becker bleibt als Darsteller des Wieck zwar eindimensional, aber das Drehbuch hat ihm den spannendsten Part zugewiesen: Wieck nutzt seine SS-Machtbefugnis, um ungarischen Juden die Ausreise zu gestatten, er berechnet die Gunstgewährung mit 1000 Dollar. Noch wichtiger aber ist ihm, der nicht mehr an den Endsieg glaubt, die Rückversicherung: Nach dem Krieg soll ihm die Rettung so vieler Juden bei seiner Karriere helfen. Ein Anti-Schindler. Der Plan gelingt, wie die Rahmenhandlung demonstriert, die heute spielt.

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