Einer trage des anderen Last...

DDR 1987/1988 Spielfilm

Leben in einem Haus


Henryk Goldberg, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 5, 1988

Wo Deutschland lag, buddeln Trümmerfrauen die Zukunft aus dem Dreck und das neue Land, Stein für Stein, Zukunft beginnt immer heute: Dokumentaraufnahmen aus den frühen fünfziger Jahren. Dann junge Männer in Uniform, an der Grenze, auf der Baustelle. Bilder zwischen Kunst und Wirklichkeit, kaum zu scheiden von den Originalaufnahmen. Einer hustet in das Taschentuch, ein Fleck bleibt, färbt sich rot, die Bilder werden farbig. Ein Film von Lothar Warneke. Das Schloß am anderen Ufer, Haus der schweren Tore. Zeit ist ein anderes Wort, wenn jeder Tag den Blutsturz bringen kann, Röntgenbilder wie ein Gottesurteil. (…)

Wolfgang Held war früher Kommissar der Volkspolizei; Lothar Warneke Student der Theologie, es ist gleichsam wie im Kino. Gemeinsam gelang ihnen ein wichtiger ein schöner Film, der einen großen gedanklichen Ansatz hat und eine überzeugende künstlerische Gestalt. Der Kommunist und der Christ, wie leben sie gemeinsam, in einem Zimmer, in einem Haus, in einem Land? Auf der Erde. Wie finden sich beider Zukunfts-Utopien in gegenwärtiger Realität zu gemeinsamem Wirken, wenn es ums Überleben geht? Wie viele Widerworte muß, kann einer unterdrücken, damit er mit dem andren reden kann?
Wolfgang Held schrieb ein Szenarium, das Situationen wie Figuren schon genau erfaßt, Menschen zeichnend auch durch ihre Sprache. Lothar Warneke inszeniert mit heiterer Gelassenheit, fand genau auch jenen Grat, auf dem das schwere Thema mit einer Art von leisem Humor zu balancieren ist, ohne je sein Gewicht zu verlieren. Da ist sehr konzentriert, atmosphärisch inszeniert, die wenig wirklich wichtigen Figuren tragen die Geschichte und vor allem spielerisch das schwere Thema. Außerordentlich: Die alles entscheidende Partnerbeziehung des Polizisten und des Theologen. Warneke läßt Jörg Pose und Manfred Möck gleichgewichtig miteinander spielen. Wenn ich richtig sah, wird Pose immer stärker, ohne daß der Partner das bezahlen muß. Da es junge Männer sind, hat ihr Duell was von Jungen-Herrlichkeit. Mit Schaum vorm Mund singen sie sich ihre Lieder vor, zitieren einer aus des anderen Buch. Jörg Pose gibt den jungen Polizisten als forschen Zukunftsbauer, die Ärmel hoch und runter das Visier; übermorgen kommt der Kommunismus. Ein Hauch von Ironie, doch wenn"s ans Eingemachte geht, da weht ein heiliger Ernst um diesen Atheisten. Manfred Möck ist ein wenig intellektueller, zurückhaltender, doch nicht weniger bestimmt, anfangs dominiert er sanft die Szene: Der Mann ist nicht nur überzeugt von seiner Sache, er hat sie auch studiert, dafür weiß er, was ihm fehlt: die Macht.


Karin Gregorek als Oberschwester: Voll hochgeschlossener Strenge, die Augenbrauen ein wenig hochgezogen über diese Zeiten, doch unbeirrt den Dienst am Nächsten übend und übend auch wohl den Gedanken: Das bleibt jetzt vielleicht immer so. Allein im Zimmer raucht sie und trinkt roten Wein. Wenn sie mit dem Chefarzt tanzt, dann lächelt sie ein wenig, ihr Lachen muß irgendwann verschollen sein.

Der Chefarzt, Humanist und NSDAP, das Sanatorium ist sein Lebenswerk, es zu bewahren ginge er in jegliche Partei, dies Haus ist seine Insel. Bürgerliche Grandezza, dahinter die Ahnung einer Schuld, er wird"s durch Arbeit sühnen. Heinz-Dieter Knaup trägt das weg mit edlem Gestus, schützt die Figur vorm UFA-Frauenarzt. Einen so gelösten DEFA-Film in so unaufdringlicher Ernsthaftigkeit sah man wohl des längeren nicht mehr…

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