Deutschland bleiche Mutter

BR Deutschland 1979/1980 Spielfilm

Deutschland bleiche Mutter


Peter Hasenberg, film-dienst, Nr. 22, 00.00.1980

„Deutschland bleiche Mutter“der Titel ist einem Gedicht von Bert Brecht entnommen – ist ein sehr persönlicher Film. Er lebt ganz von den Erinnerungen der Regisseurin an ihre Mutter, deren Geschichte sie erzählt. Liebevoll, bewundernd, aber auch distanziert richtet sich die Regisseurin an Lene, ihre Mutter, die gerade verheiratet war, als der Krieg begann. Die „off“-Kommentare, gesprochen von der Regisseurin, geben dem Film einen nahezu intimen Charakter, der den Zuschauer zu einer Stellungnahme zwingt. Persönliche Filme rufen fast zwangsläufig kontroverse Stellungnahmen hervor, was sich in der Diskussion um „Deutschland bleiche Mutter“, der auf der Berlinale 1980 in einer mehr als 140 minütigen Fassung zuerst gezeigt wurde, schon bewiesen hat.

Helma Sanders-Brahms stellt ihre Heldin gleich in der ersten Sequenz in einer typischen Situation dar: Lene (Eva Mattes) muß sich gegen einen Schäferhund der Braunhemden verteidigen, der sie anfällt. Hans (Ernst Jacobi) wird Zeuge dieses Vorfalls, und er bemerkt gleich anerkennend, daß Lene nicht einmal geschrien hat: „Eine deutsche Frau.“ Hans und Lene heiraten, aber der Krieg reißt sie auseinander. Lene ist allein auf sich gestellt. Hans wird zum Töten herangezogen. Die Frontbesuche sind kurz. Entfremdungen lassen sich nicht sofort überwinden. Hans wird mißtrauisch und glaubt, Lene sei ihm untreu geworden. Lene möchte gern ein Kind und Hans willigt ein. In einer Bombennacht wird Anna geboren. Ein Bombenangriff zu Weihnachten zerstört Lenes Haus. So zieht sie mit dem Kind zu Fuß nach Berlin zu Verwandten. Mit großen Anstrengungen rettet sie sich und das Kind in den Frieden. Nach dem Krieg aber beginnt das, was die Regisseurin als den „Krieg innen“ bezeichnet. Hans und Lene sind sich fremd geworden. Hans strebt nur noch nach dem Aufstieg, die Beziehung zu Lene ist zerstört. Lene wird durch eine Gesichtslähmung äußerlich verunstaltet. Sogar gegen die kleine Anna richtet sich ihr Haß. Als sie einen Selbstmordversuch unternehmen will und das Gas aufdreht, klopft Anna so lange gegen die Tür, bis Lene sie aufschließt und zu ihrem Kind kommt. „Deutschland bleiche Mutter“ ist die Geschichte einer Liebe, die unter den Bedingungen, die die Zeit mit sich bringt, zerstört wird, aber es ist vor allem die Geschichte der Beziehung zwischen Mutter und Tochter, zwei Verbündete gegen eine feindliche Welt. Zuallererst ist der Film eine persönliche Geschichte, aber schon der Titel deutet an, daß die Regisseurin mehr wollte: Sie wollte eine exemplarische Behandlung des Schicksals der deutschen Mütter. Sanders-Brahms traut dem Zuschauer offenbar nicht sehr viel zu. Immer neigt sie dazu, alles allzu stark zu verdeutlichen. Verletzungen treten als Symbol für Verstörungen auch geistiger Natur auf, Unheil kündet sich überdeutlich in einer toten Katze im See, Ungeziefer auf der Hakenkreuzflagge, einem Nadelstich am Hochzeitstag an.

Die kritische Absicht wird zusätzlich durch das Gedicht von Brecht, der für kritische Absichten immer zitierenswert ist, wie ein Banner dem Film vorangetragen. Der Film hat zweifellos Qualitäten. Die schauspielerischen Leistungen sind sehenswert, mehrfach gelingen Bilder, die haften bleiben. Wäre es ein rein persönlicher Film, man könnte ihm die Sympathie nicht versagen. Problematisch wird er dadurch, daß die Regisseurin sich nicht auf die persönliche Erinnerung beschränkt und es dem Zuschauer überlassen hat, allgemeine Züge in der Geschichte zu entdecken. Der Film handelt nämlich nicht allein von der Heldenhaftigkeit der Frauen im Krieg, sondern auch allgemein von der Unterdrückung der Frauen in der Männergesellschaft. Im Krieg werden Männer und Frauen getrennt, bleibt die Männergesellschaft unter sich. Für die Frauen beginnt im Krieg eine Zeit der zwangsläufigen Emanzipation. Auf sich gestellt, müssen sie sich allein gegen die feindliche Welt durchsetzen. Bezeichnenderweise sagt die Regisseurin im Kommentar: Als alles zerstört war, begann unsere eigentliche gute Zeit. Als das Haus in Schutt und Asche liegt, beginnt die Zeit der Wanderschaft. Die Erzählerin vergleicht sich und ihre Mutter mit zwei Hexen, die über die Trümmerlandschaften schweben, und im Bild wird dieser „Flug“ nachvollzogen. Lenes Zerstörung beginnt, als der Krieg zu Ende ist. Die Nachkriegszeit wird als genau so schlecht dargestellt wie die Zeit davor: „Steine wurden zu Häusern zusammengesetzt, die noch schlimmer waren als vorher. Lene, wenn wir das gewußt hätten!“ kommentiert die Erzählerin. Ertönte früher Hitlers Stimme aus dem Radio, lauscht man jetzt der Stimme von Adenauer. Und wenn der ehemalige Nazi Ulrich, Hans" Freund, behauptet: „Wir sind bald wieder wer“, so klingt das kaum anders als seine Behauptung vor dem Krieg: „Wir werden die Welt erobern.“ Im Nachkriegsdeutschland besetzen die alten Nazis wieder die wichtigen Positionen – das ist inzwischen schon so häufig als kritischer Aspekt hervorgehoben worden, daß die Aussage verblaßt. Aber es geht Helma Sanders-Brahms in erster Linie um die Zerstörung der Frau. Lene, die sich im Krieg allein durchgesetzt hatte, wird, als die Männergesellschaft wieder herrscht, zurückgedrängt. Die Gesichtslähmung ist nur das äußere Anzeichen davon. Gewiß ist es kein Zufall, daß gerade ihr Mann dem Arzt die Erlaubnis gibt, Lene alle Zähne zu ziehen, obwohl diese sich dagegen wehrt. Die Szene beim Zahnarzt mit ihrer ganzen Härte verkörpert symbolisch, wie Lene die Kraft ihrer Emanzipation genommen wird.

Es fällt schwer, diese allgemeinen Bezüge des Films und die darin angeschlagenen kritischen Tendenzen ohne weiteres hinzunehmen. Sicherlich ist der Film parteiisch, da er allein der Hauptfigur gerecht wird, den anderen Figuren aber nicht. Das ist durchaus legitim, wird aber dann problematisch, wenn der Film in Richtung auf eine allgemeine Gesellschaftsanalyse geht, wie Helma Sanders-Brahms es versucht. Ein Film aber, der zwar auf einer ganz persönlichen Ebene beginnt, aber immer mehr zu allgemeinen Aussagen tendiert, kann sich nicht allein als persönlicher Film bewerten lassen. Somit bleibt der Gesamteindruck von ,,Deutschland bleiche Mutter“ recht zwiespältig: Man kann sich durchaus auf die persönliche Ebene einlassen und zu den Erinnerungen der Regisseurin eigene Erinnerungen in Beziehung setzen, aber das heißt nicht unbedingt, daß man die allgemeinen gesellschaftskritischen Momente zwangsläufig akzeptieren muß.

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