Der nackte Mann auf dem Sportplatz

DDR 1973/1974 Spielfilm

Der nackte Mann auf dem Sportplatz


Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, 21.4.1974


Da ist zum ersten der Eindruck von Schlichtheit, von Unaufdringlichkeit. Es gibt wenige Filme unseres nationalen Kinos, die so wie dieser bar alles Spektakulären sind, dem nichts verkrampft Angestrengtes zu eigen. Jede aufgesetzte Emotionalität ist ihm fremd. Die Schlichtheit hat viel mit der künstlerisch-politischen Moral der Autoren des Films zu tun – im Verhältnis zu ihrem Thema und in ihrem Verhältnis zum Zuschauer. Die Haltung des Mannes und Bildhauers Herbert Kemmel ist hier gleichsam identisch mit der Autorenposition. In ihr findet Selbstverständigung statt. Wenn Wolfgang Kohlhaase davon spricht, "genau hinsehen, nicht schwindeln, nicht die Folgerung vor die Beobachtung setzen", charakterisiert er Erzählweise und -moral des Films, aber auch Wesenseigenschaften der Künstlerfigur im Film und ihrer Beziehung zur Umwelt. Man hat niemals das Gefühl, es sollen Lehren vermittelt werden. Auf Thesen oder "Botschaften" wird verzichtet. Der Standpunkt der Autoren artikuliert sich im Gegenstand und in seiner Behandlung. (…)

Konrad Wolf und Kohlhaase sehen das Verhältnis zum Schöpferischen in einem weiten Bezugsfeld. Es geht um die Fähigkeit des Menschen, sich seine Umwelt gedanklich bewußtzumachen. Gedanken Wolfs zu seiner "Goya"-Adaption gelten auch für den Nerv des Films "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" : "Es geht… um das Glück des Menschen und um seine unbegrenzte schöpferische Potenz – um die menschliche Phantasie als ein Mittel, die Gesellschaft, die Umwelt zu erkennen, durchschaubar zu machen, sie für sich persönlich zu erschließen und dadurch auch wieder der Gesellschaft nützlich zu machen."


Noch einmal: der Zuschauer und dieser Film. Kein Film für den Zuschauer oder für den Zuschauer an sich. Wolf: "Meine Meinung wäre, daß die Zuschauer je nach ihrer Beziehung zu dem, was hier Hauptgegenstand ist, nach ihrer Bildung, ihrem Alter, ihrem Erfahrungswert usw. eben mehr oder weniger Schichten abtragen." Dazu trägt in hohem Maße das Offene, das Gelöste des Films bei. Er gibt der Phantasie des Zuschauers Raum, in dem sie sich bewegen kann. Der Film ist voller Bruchstellen, an denen die Phantasie ansetzen kann, in denen sich der Zuschauer aufgefordert fühlt, Verbindungslinien zu seinen eigenen Vorstellungen und Erfahrungen herzustellen (etwa das Babi-Jar-Motiv). Ich meine, daß sich der Film zu Hause erst im Kopf des Zuschauers zusammenstellt. Weshalb dies nun unbedingt eine "Herausforderung an den Zuschauer" ("Kino DDR" 4/74) sein soll, ist nebulös. Auch scheinen mir Ermahnungen, "den Zuschauer nicht zu vergessen…", einem anachronistischen Bild anzuhängen, daß der Zuschauer mit dem Erwerb des Kinobillets seine Assoziationsfähigkeit und seine Phantasie an der Kasse zurückläßt.

"Der nackte Mann auf dem Sportplatz" bedeutet in dem längst akuten Klärungsprozeß der Position unseres Kinofilms viel. Ein Film, der wachsende geistige Bedürfnisse nicht rhetorisch konstatiert, sondern mit ihnen rechnet und auf sie baut. Die Autoren des Films sind Realisten genug, um zu wissen, daß auch und gerade im Kino noch Immer "wasserspeiende Frösche" verlangt werden. Auch deshalb entstand dieser Film.

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