Tattoo

Deutschland 2001/2002 Spielfilm

Tattoo

Robert Schwentke auf den Spuren großer Vorbilder




Rudolf Worschech, epd Film, Nr. 4, 25.03.2002

Normalerweise tun sich deutsche Regisseure mit dem Krimi schwer. Der whodunit ist ein Fall für das Fernsehen, und an so etwas wie einem big-caper-Movie ist zuletzt althan.com gescheitert. "Tattoo" kommt als eine Art Polizeifilm daher – aber schon seine erste Sequenz hat nichts von der sonstigen Biederkeit in diesem Genre. Eine nackte, verstörte Frau läuft im nächtlichen Regen, sie hat eine riesige Wunde am Rücken, ein Bus rast vorbei, erfasst sie und explodiert in einer Reihe parkender Autos. Diese Exposition setzt ein Zeichen für die Reise in die Nacht, die "Tattoo" unternimmt, und sie sagt auch viel über die Machart dieses Films, dem Atmosphäre über alles geht und der gekonnt links liegen lässt, was dafür nicht so wichtig ist – zum Beispiel, warum denn der Bus explodiert ist.

Am anderen Tag untersuchen zwei Polizisten die verkohlte Leiche: Minks und Schrader. Der junge Schrader, frisch gebackener Absolvent der Polizeischule, ist von dem abgebrühten Minks, den sie im Kommissariat den "Killer" nennen, gewissermaßen shanghaied worden, durch gefundene Ecstasy-Pillen. Schrader soll Minks auf die Spur seiner Tochter bringen, die vor ein paar Jahren abgehauen ist. Im Magen der Leiche findet sich ein abgebissener Finger, der die beiden zu einem Serienkiller führt, in dessen Keller sie präparierte Hautfetzen mit Tattoos und in dessen Garten sie weitere Leichen finden. Ein Junkie, der Stück für Stück seine tätowierte Haut verkauft, und die Freundin eines der Opfer bringen die beiden auf die Spur im Internet agierender Tattoo-Sammler und eines japanischen Tatoo-Meisters, der nur 12 Werke geschaffen hat - keiner der Träger lebt mehr.

Minks und Schrader, sie sind so etwas wie die deutschen Kollegen von Morgan Freeman und Brad Pitt in "Se7en". Sie müssen einen Fall lösen und stolpern in eine Hölle hinein, die sie immer mehr gefangen nimmt – und die mehr mit ihnen selbst zu tun hat als sie glauben. Christian Redl als Minks fügt seinen lakonischen Polizisten aus den Filmen von Lars Becker eine weitere Variante an: ein verschlossener Kommissar, schon ganz entfernt aus der Welt, ein in sich gefangener Mann, der mit seiner Manie und Melancholie förmlich den Tod sucht. Ein Untoter – und von fern wirkt Redl mit seiner Glatze und den abstehenden Ohren wie ein entfernter Verwandter von Max Schreck aus "Nosferatu". August Diehl dagegen: ein unsicherer Junge, der den Tod bringt ohne es zu wollen, der sich verstrickt und es gar nicht merkt.




Man nimmt es "Tattoo" nicht übel, wenn man den Fundus, aus dem der Film sich bedient erkennt. Der fetischistische Umgang mit der Haut – gab es das nicht schon in "Das Schweigen der Lämmer"? Und ist Nadeshda Brennicke als schöne Galeristin mit dem 13. Tattoo auf dem Leib nicht eine einzige Kunstfigur? Aber Robert Schwentke gelingt es, dem Film trotz aller Anleihen ein eigenes Gepräge zu geben: ein Alptraum in CinemaScope, mit fahlen, fast monochromen Bildern und mit Schauplätzen, die Seelenlandschaften der Unwirtlichkeit sind. Wenn Schwentke sich manchmal verrennt, muss man sich vor Augen halten, dass der frühere Drehbuchautor für TV-Krimis mit "Tattoo" sein Debüt vorstellt und doch stilsicher und effektiv inszeniert. "Tattoo" bedeutet für den Krimi, was "Anatomie" für den Horrorfilm war: ein gelungenes Spiel auf der Klaviatur des Genres. Und das will bei uns was heißen.

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