Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow

DDR 1972/1973 Spielfilm

Rollen für Unbekannte

Besetzungsmethoden des Regisseurs Siegfried Kühn



Michael Hanisch, Barbara Nix, Sonntag, Berlin/DDR, 17.9.1972




SONNTAG: Zum erstenmal auf der Leinwand wird unser Publikum einen Schauspieler sehen, der von Beruf nicht Schauspieler ist – den Berliner Theaterregisseur Fritz Marquardt. Er spielt die Hauptrolle in Ihrem neuen Film. Warum haben Sie den alten Schrankenwärter Platow, die komödiantische Demonstration dafür, daß es nie zu spät ist, sein Leben zu verändern, warum haben Sie diese Figur mit dem Laien Fritz Marquardt besetzt?


KÜHN: Ausschlaggebend für die Besetzung in diesem Fall war, daß die Persönlichkeit Marquardts der Rolle sehr entgegenkam: seine Eigenarten, seine Sensibilität, sein Humor, seine Komik, seine Vitalität. (…)



Der Filmheld Platow verjüngt sich um dreißig Jahre, verwandelt sich von einem alten Mann in einen jungen. Äußere Momente waren für diese Verwandlung nicht ausschlaggebend, vielmehr Charaktereigen­schaften. Man mußte dem Darsteller sowohl die Jugendlichkeit als auch das Alter abnehmen können. Ich brauchte einen vitalen Schauspieler, bei dem der Zuschauer überrascht ist, woher der Mann diese Vitalität nimmt, und der wiederum sein Versagen glaubhaft machen kann, wenn er zusammenbricht, wenn er sein Alter merkt, wenn er sich eingestehen muß, daß er das Lernen nicht mehr schafft. Der Filmheld Platow gerät durch die Verwandlung in tragische und komische Situationen. Kein anderer außer Marquardt schien uns dieses tragikomische der Figur, den raschen Wechsel von Tragischem und Komischem so darstellen zu können. Das ist meines Erachtens auch eine Sache, die man nicht nur spielen, kann, das muß der Darsteller mitbringen. Unter unseren pro­filierten Schauspielern habe ich keinen gefunden, der meinen Vorstel­lungen von der Filmfigur Platow so nahe kam wie Fritz Marquardt.


SONNTAG,: Es gab bei der Filmarbeit einige Besonderheiten: Der Hauptdarsteller ein Regisseur wie Sie selbst, ein Kollege also, jemand, der sich bestimmt nicht widerspruchslos den Regieanweisungen fügte. Die zweite größere Rolle spielt ein Theaterschauspieler – Jürgen Holtz, dem die Arbeit im Atelier in methodischer Hinsicht ganz anderes forderte als die auf der Bühne. Die dritte wichtige Figur ist besetzt mit Gisela Hess, einer unbekannten und filmunerfahrenen jungen Schauspielerin aus Magdeburg. Waren diese Besonderheiten eine Belastung für Sie als Regisseur?


KÜHN: Die Besetzung für diesen Film war ungewöhnlich langwierig, kompliziert. Es ist schon ein gewisses Risiko, einem Laien die Hauptrolle zu übertragen und mit filmunerfahrenen Schauspielern zu arbeiten. Das bringt Belastungen, aber auch Vorzüge mit sich. Die Vorbereitungsperiode, wo Motive gesucht werden, das Drehbuch geschrieben wird, habe ich für Probearbeiten genutzt. Das wird relativ selten gemacht. In diesem Szenarium gab es Szenen, die zu schwierig waren, als daß man sie erst vor der Kamera hätte inszenieren können, die den Drehprozeß aufgehalten hätten, Szenen, die einfach vorher gründlich durchprobiert, die gemeinsam mit den, vor allem im Genre der Komödie unerfahrenen, Schauspielern konzeptionell erarbeitet werden mußten. Diese Arbeit, lange vor Drehbeginn, hat sich nicht ausgezahlt insofern, als ich von den Aufnahmen keine für den Film übernehmen konnte, und sie haben sich ausgezahlt insofern, als ich die Schauspieler kennengelernt habe, wir gleich zu Drehbeginn aufeinander eingespielt waren, so daß eine sehr schöpferische Zusammenarbeit möglich wurde. Zum erstenmal habe ich bei diesem Film versucht, nicht "nach Drehbuch" zu arbeiten, wir waren auf Ausprobieren eingestellt. Eine Methode, die, glaube ich, einzig möglich ist, da, wo Autor, Kameramann, Szenenbildner, Regisseur, Schauspieler aufeinander eingestellt sind, wo man sich kennt. (…)

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