Stein

DDR Deutschland 1990/1991 Spielfilm

Stein



Axel Geiss, Filmspiegel, Berlin, Nr. 3, 1991



Sara kämpft mit den Tränen. Die Ohrfeige kam überraschend und mit Wucht Aber schon nach wenigen Sekunden hat sie sich wieder in der Gewalt Langsam steuert sie auf die vor Zorn bebende Laura zu. Betont kühl blickt sie ihr in die Augen – und revanchiert sich. Dann geht sie, würdigt die mit dem klitschnassen Haar in ihrem verschlossenen Bademantel jetzt eher kläglich wirkende Dreizehnjährige keines Blickes.

Der Mann, dem der Streit gilt liegt seelenruhig in seinem Bett. Ahnt er, was sich in seinem Wohnzimmer abspielt? Zumindest weiß er, wie eifersüchtig Laura über ihn wacht, daß er für Sara mehr ist als ein pflegebedürftiger alter Mann. (…)


Franziska Herold, die Darstellerin der Sara, kann das nachempfinden. "Der große Altersunterschied war kein Problem, vor allem wegen der Vielschichtigkeit der Beziehung. Außerdem habe ich in Sara sehr viel von mir gefunden", sagt sie. Das merkt man ihrem Spiel an. Als die Szenen im Wohnzimmer – das im Atelier des Babelsberger Dokfilm-Studios aufgebaut ist – gedreht werden, wirkt sie bei aller Konzentration ebenso unverkrampft wie bei den vorangegangenen Proben – trotz oder vielleicht wegen der nicht seltenen Änderungen, die sich Regisseur Egon Günther immer wieder einfallen läßt Auch als sie die Ohrfeige einstecken muß, spielt sie von innen heraus. Besonders bei der dritten Aufnahme, Eveline Dahm, die Darstellerin der Laura, hatte ihre Hemmung endlich überwunden und des Regisseurs "stärker!" wörtlich genommen. Es klatscht beachtlich, und Franziska Herold muß tatsächlich mit den Tränen kämpfen.



Egon Günthers Art, Regie zu führen, dürfte die im Buch angelegte Vielschichtigkeit noch fördern. "Bei ihm muß man immer mit Änderungen rechnen", meint ein Mitarbeiter seines Drehstabes, "es ist vorher nie klar, was vom geplanten Ablauf bleibt. Das führt natürlich zu einer höheren Anspannung." Den Darstellern kommt das zugute, besonders den Laien. Seine Improvisationslust mit der er auch mal über den Haufen wirft, was gerade erst erprobt wurde, bringt sie dazu. Widerspräche in den Figuren sichtbar zu machen und Zwischentöne zu treffen.



Die vielschichtige Beziehung des Ernst Stein zu Sara ist natürlich nicht zuletzt von seinem Darsteller abhängig. Wer Rolf Ludwig noch aus "Der Dritte" von Egon Günther oder als "Hölderlin" in Herwig Kippings gleichnamigen Diplomfilm in Erinnerung hat dürfte eine Vorstellung davon haben, daß diese Rechnung in "Stein" aufgehen müßte und daß es ebensowenig an komischen Brechungen der im Grunde tragischen Konstellation mangeln wird. Rolf Ludwig versteht sich mit Egon Günther, der seit "Ursula" (1978) ausschließlich im Westen gearbeitet hat, "besser denn je". Er empfindet die Rolle des Ernst Stein als sich auf den Leib geschrieben, auch wenn Helga Schütz als Ausgangsmaterial für ihr Szenarium vielleicht eher Motive aus den späten Lebensjahren des Dichters und Chefredakteurs von "Sinn und Form", Erich Ahrendt verwendet hat Auch Ludwigs Karriere war durch Zwangspausen unterbrochen. Zum Beispiel nach der Premiere von Egon Günthers Johannes R. Becher-Verfilmung "Abschied", bei der Ulbricht an der Spitze seiner Gefolgschaft demonstrativ das Kino verlassen hatte. Den ersten Anruf, er solle den Ernst Stern spielen, nahm er deshalb skeptisch auf. Denn das war lange vor Öffnung der Mauer; Durch diesen Umbruch, meint Rolf Ludwig, hat "Stein" noch an Brisanz gewonnen. "Das Drehbuch wurde umgeschrieben, paßgerechter gemacht manches brauchte nicht mehr verschwiegen zu werden." Daß damit die kommerziellen Chancen für einen leisen Film nicht gestiegen sind – noch dazu, wenn er von der DEFA kommt –, quittiert er mit einem Achselzucken. "Man muß", sagt er, "Geschichten erzählen, die die Leute betreffen, egal, ob sie sie wollen oder nicht".

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