Nur über meine Leiche

Deutschland 1994/1995 Spielfilm

Fisch sucht Truthahn


Volker Gunske, TIP Magazin, Nr. 18, 1995

Eine deutsche Fantasy-Komödie - das klingt wie ein Widerspruch in sich. Aber der Kinodebütant Rainer Matsutani hat sie tatsächlich gedreht. "Too funny to be german" urteilte denn auch die amerikanische Filmzeitung "Variety". "Nur über meine Leiche" erzählt von einem unverwüstlichen Lebemann, dem der Tod eine zweite Chance gibt. Der TIP traf den Jungregisseur auf dem Fantasy Filmfest, wo der Film mit großem Erfolg lief.

Da spielt ein Truthahn mit, da muß ich auch dabei sein!"Udo Kiers Reaktion auf das Drehbuch zu "Nur über meine Leiche" war eindeutig. Seite an Seite mit dem sprechenden Truthahn mimt Udo Kier einen kaltblütigen Profikiller. Ein lebenslustiger Schürzenjäger, ein selbstloses Mauerblümchen, eine blutrünstige Ehefrau, der Fährmann des Todes und ein monströs mutierter Fisch namens Käpt"n Nemo komplettieren das illustre Ensemble in Rainer Matsutanis Fantasy-Komödie. Schon die Figuren sind ein unübersehbarer Hinweis, daß es sich bei "Nur über meine Leiche" um eine etwas andere deutsche Komödie handelt.

Zuerst glaubt man allerdings, in eine weitere dieser Beziehungskomödien geraten zu sein, die hierzulande gerade allerorten gedreht werden. Immerhin nimmt die Geschichte in einem Eheanbahnungsinstitut ihren Lauf. Fred, ein unverwüstlicher Weiberheld, der nichts anbrennen läßt, dreht dort die Videos von vermittlungswilligen Singles, unter anderem das von dem Ladenhüter Rita, die seit fünf Jahren auf Partnersuche ist, während Freds hintergangene Frau den Laden schmeißt. Hört sich ganz danach an, als würde der Rest des Filmes sich mit der üblichen turbulenten Partnersuche beschäftigen. Obwohl genau das in der deutschen Kinobranche derzeit als das Erfolgsrezept gehandelt wird, hat Rainer Matsutani gottseidank einen anderen Weg eingeschlagen. "Ich habe nichts gegen Beziehungskomödien", erzählt Matsutani, "aber ich hab" jetzt in "Variety" gelesen, daß 14 davon in Planung sind. Da wurde mir echt schlecht. Eine richtige Horrormeldung. Deswegen finde ich es gut, daß wir infamerweise mit einer Beziehungskomödie anfangen und Stück für Stück immer absurder und verrückter werden. Und das Publikum geht mit."


Der erste Schritt weg vom herkömmlichen Weg ist der Auftritt der durch und durch bösartigen Gattin, die einen Profikiller engagiert, um ihren Ehemann ein für alle Male vom Fremdgehen zu kurieren. Spätestens als der bezahlte Mörder seine Arbeit halbwegs erledigt hat und der Hallodri Fred auf einem heruntergekommenen Schiff aufwacht, das ihn geradewegs ins Reich der Toten bringen soll, sind wir in einem Fantasyfilm gelandet. Damit nicht genug. Fred kann den Fährmann des Todes überreden, ihn wieder zu den Lebenden zurückzubringen. Allerdings stellt der Tod eine Bedingung. Fred muß innerhalb von drei Tagen drei Frauen, die er unglücklich gemacht hat, wieder mit dem Leben versöhnen. Falls er diese Aufgabe nicht bewältigt, fährt der fidele Stecher direkt zur Hölle. Ein hysterischer und hochkomischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Rainer Matsutani und sein Co-Autor Sebastian Niemann haben keine falsche Scham vor Zitaten aus der Filmgeschichte. Nicht nur, daß sie hemmungslos im Fantasy-Genre gewildert haben; der Slapstick, der Actionfilm und das Horror-Genre mußten ebenfalls dran glauben. Und sogar vor einer der schönsten Schlußszenen Hollywoods, der nächtlichen Billy Wilders "Manche mögen´s heiß", haben sie nicht zurückgeschreckt. Respektlos und unverkrampft zitiert "Nur über meine Leiche" die Filmgeschichte herbei, ohne damit angeben zu wollen oder ein Suchspiel für beflissene Cineasten daraus zu machen. Für Rainer Matsutani ist der spielerische Rückgriff auf andere Filme eine Selbstverständlichkeit: "Man wächst heute als Medienmensch auf, der sich sehr viel über Medien definiert, über Filme und Popmusik. Und dadurch, daß man die Filme in Retrospektiven oder im Fernsehen sieht, ist auch eine gewisse Gleichzeitigkeit vorhanden. Das Zitieren ist ein legitimes Mittel. Das wird seit jeher gemacht." "Nur über meine Leiche" sei aber vor allem ein Märchenfilm, meint Matsutani. "Da ist die böse Hexe, das Aschenputtel,der verwunschene Prinz und sogar ein Troll. Die Hexe verabreicht eben keinen vergifteten Apfel, sondern verschießt Giftpfeile, und sie wird nicht in den Ofen, sondern in den Brunnen geschmissen. Klassisch Grimms Märchen." Nur eben sehr viel komischer und manchmal auch sehr albern.


Eine Fantasy-Komödie aus deutschen Landen - das klingt mittlerweile so unglaublich wie
ein experimenteller Avantgardefilm aus Hollywood, obwohl die Ursprünge des Fantasy-Genres mit Filmen wie "Der Golem" oder "Nosferatu" in Deutschland liegen. So ist es auch gerade die Monokultur der deutschen Kinolandschaft, die den Jungregisseur entsetzt. "Ich denke, daß "Nur über meine Leiche" ein Befreiungsschlag ist Was gibt es heute auf dem deutschen Markt? Da sind einerseits die Nachzügler des deutschen Autorenfilms, eine ganz tote Sache, und es gibt diese Beziehungskomödien. Kino ist etwas viel Vielseitigeres, es hat etwas viel Reicheres zu bieten als diese Begrenzung. Manchmal frage ich mich wirklich, ob ich hier recht am Platz bin." Natürlich ist Rainer Matsutani mit seiner unbändigen Lust am Geschichtenerzählen hier genau recht am Platz. Ein weiterer trostloser O8/15-Filmer wäre das letzte, was das hiesige Kino braucht.

Schon sehr früh hat der 1964 geborene Rainer Matsutani über den deutschen Tellerrand blicken können, als er für einige Zeit in Japan aufwuchs. "Japan ist eine unglaublich reiche mythische Welt. Alles, ganz Japan, scheint mit Comics bebildert zu sein", erzählt Matsutani. Als Fünf-, Sechsjähriger hat er dort nachmittags die Horror-und Gespensterfilme aus den Hammer-Studios gesehen, die in Deutschland heute nur noch im Sparprogramm zu sehen sind. "Ich habe die alle im Kopf behalten. Und als ich mit sieben Jahren nach Deutschland zurückkam, gab"s einen Kulturschock schlechthin. Anfang der 70er, da war es richtig öde hier." Statt Godzilla und Superhelden flimmerten medienpädagogisch wertvolle Sendungen wie "Das feuerrote Spielmobil" und "Rappelkiste" über die Glotze. "Ganz furchtbar pädagogisches Femsehen, das die Kinder bevormundete", stellt der Horror- und Fantasy-Fan rückblickend fest. "Und die Lust an Action und am Fabulieren fehlte völlig."

Wer weiß, vielleicht waren es ja tatsächlich die Billigproduktionen der japanischen Hammer-Studios, die dem deutschen Kino ein erzählerisches Talent beschert haben, das mit Kinobildern ebenso vertraut ist wie mit phantastischen Geschichten. Allein der hinreißend animierte Truthahn, dem übrigens die Synchronsprecherin des "Golden Girl" Sophia ihre Stimme lieh, besitzt mehr Charme und Witz als ein ganzes Dutzend braver Beziehungskomödien.

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