Alraune

Deutschland 1927 Spielfilm

Alraune



Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung (Stadt-Blatt), 12.2.1928


Der Roman von Hanns Heinz Ewers, nach dem dieser Film der Ufa-Lichtspiele gedreht ist, hat es in sich. Seine Heldin, ein dämonisches Wesen, das ein berühmter Naturforscher auf dem Weg der künstlichen Zeugung erschaffen hat, wobei er sich eines Gehenkten und einer Dirne bediente. Kaum ist das Mädchen erwachsen, geht der Spuk los; es stürzt Jünglinge ins Unglück, brennt durch, dringt in einen Löwenkäfig, macht sämtliche Männer verrückt. Zu guter Letzt auch den berühmten Professor, der sich als ihr Vater ausgegeben hat; hinter welche fromme oder unfromme Lüge Alraune gelegentlich des Durchblätterns seines Tagebuchs kommt. Nachdem er von ihr ruiniert worden ist, läuft sie mit seinem Neffen davon. Wahrscheinlich wird er das Schicksal des Onkels teilen. So eine Art von Lulu-Ersatz.

Die etwas falschen Schauer im Text sind von der Ufa und ihrem Regisseur Henrik Galeen weidlich ausgenützt worden. Galeen hat Sinn für Wirkung und arbeitet geschickt. Er hat die Zirkusszenen gut gebaut, kann Spielsäle stellen, bezieht überhaupt die Architektur in weitem Umfang ein. Wie er durch die Führung des Objektivs eine unheimliche Stimmung erzeugt, wie er die Lichtverteilung und Spiegeleffekte sich dienstbar macht – das alles ist einwandfrei. Auch vergreift er sich nirgends in der Auswahl der Typen.

Dennoch hat der Film kompositionelle und technische Schwächen. In dem Roman mag die Heldin aus dem Tagebuch des Professors ihre wahre Herkunft erfahren: im Film wirkt das Tagebuch so öde, daß man sich wünschte, sie hätte auf eine andere, jedenfalls nicht handschriftlich fixierte Weise das Geheimnis ergründet. Auch ist wieder einmal zuviel und zu sichtbar gestellt: die Einleitungsszene, in der die Puppe eines Gehenkten gruseln machen soll, wäre besser gestrichen geworden; und ist es denn wirklich immer nötig, winzige Eisenbahnzüge im Modell durch die künstliche Nacht rollen zu lassen? Schließlich wird manchmal über dem Auspinseln der erotischen Gefühle vergessen, daß es doch weitergehen soll. Paul Wegener als Professor: ein Koloß von Mann, dem man die kaltblütige Inszenierung jener sonderbaren Zeugung glaubt. Sein Gesicht wie aus Erde gestampft. Er scheint kaum zu spielen, sondern einfach er selbst zu sein. Der allmähliche Übergang aus dem Vater, vor dem das Mädchen sich fürchtet, in den begehrlichen Liebenden, den sie zum Irrsinn treibt, ist mit vollendeter Sicherheit durchgeführt. Brigitte Helms Alraune ist ebenfalls eine ansehnliche Leistung. Ein blutarmes Gesicht, aus dem die Haare zurückgekämmt sind; die Augen traurig, haftlos und leer. Etwas Aufsaugendes wohnt ihr inne. Ausgezeichnete Szene im Gesellschaftskleid, in der sie den Pseudovater verführt. Man spürt hinter alledem den Regisseur. Hier und da scheint er locker zu lassen, dann schimmert unfreiwillig Naivität durch die vampirhafte Außenseite hindurch. – Zu nennen noch: Wolfgang Zilzer, der für anständige Jünglinge wie geschaffen ist, und Louis Ralphs Zauberkünstler, eine Erscheinung von robuster Zweideutigkeit. – Die Musik begleitet verständnisvoll.

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

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